„Wir haben ein ernsthaftes Problem“Karnevals-Experten blicken mit Sorgen auf Weiberfastnacht

Sänger Erry Stoklosa von der Band Bläck Fööss bei ihrem exklusiven Silvesterkonzert in der Lanxess-Arena.

E-Bläck-Fööss-Sänger Erry Stoklosa (hier bei seinem Abschiedskonzert am 31. Dezember 2022) sieht die Entwicklungen um den Kölner Karneval skeptisch.

Drohen in Köln an Weiberfastnacht ähnliche Szenen wie am 11.11.? Viele Karnevals-Experten blicken mit Sorgen auf die Planungen der Stadt. Zudem sehen viele die allgemeinen Tendenzen im Fastelovend kritisch.

von Marcel Schwamborn (msw)

In knapp vier Wochen werden wieder Hunderttausende in Köln auf den Beinen sein, um an Weiberfastnacht die tollen Tage endgültig einzuläuten. Die Stadtverwaltung ist bereits im Alarmzustand. Die Szenen, die sich am 11.11.2022 vor allem rund um das „Quartier Latäng“ abgespielt haben, sollen sich nicht wiederholen.

Damit es beim Zugang zur Zülpicher Straße zu keinen gefährlichen Szenen kommt, wird die Stadt Teile der Uniwiese als Entlastungsfläche nutzen. Dort wird das Landschaftsschutzgebiet mit Bodenplatten abgedeckt, Alkohol ausgeschenkt und ein DJ auflegen. Ist das ein stimmiges Konzept?

Köln-Talk diskutierte die Verhältnisse rund um die Zülpicher Straße

Über die zu erwartenden Verhältnisse und die Probleme im Kölner Karneval wurde am Dienstagabend (17. Januar 2023) intensiv beim Köln-Talk „Loss mer schwade“ im Brauhaus Johann Schäfer in der Südstadt debattiert.

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Hans Kölschbach, der seit 18 Jahren Präsident der Altstädter ist, macht sich Sorgen. „Die Verhältnisse werden zunehmend zum Problem. Das ist aber kein Problem des Kölner Karnevals, sondern ein soziales. Die Auswüchse werden uns aber zugeschrieben. Wir Karnevalisten können das Problem nicht bändigen. Man versucht immer, uns das in die Schuhe zu schieben.“

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Dem konnte Bläck-Fööss-Gründungsmitglied Erry Stoklosa (75) nur zustimmen: „Für mich ist das ein gesamtgesellschaftliches Problem geworden. Das hat mit Köln und Fastelovend nichts zu tun. Die feiern ihre Party, geben Gas und dann steigt die Aggressivität. Das belastet die Stadt und die Menschen. Wir haben ein ernsthaftes Problem.“

Till Quitmann (52), der in dieser Session mit dem „Prima Kleber Leed“ einen Überraschungserfolg gelandet hat, wundert sich nicht über die Zustände: „Der Karneval hatte ein paar Jahre starke Mallorca-Tendenzen. Wenn man die Menschen aus Hamburg, München und Berlin anlockt, darf man sich jetzt nicht beschweren, dass sie da sind. Da kommen Massen, die wissen gar nicht, was Karneval ist. In München gibt es das Phänomen auch, dass Leute nur zum Saufen kommen und mit dem Oktoberfest gar nichts zu tun haben.“

Hans Kölschbach, Till Quitmann, Moderator Martin Schlüter, Stefan Löcher und Erry Stoklosa debattieren zusammen.

Beim Köln-Talk „Loss mer schwade“ wurde sogar geschunkelt: Hans Kölschbach, Till Quitmann, Moderator Martin Schlüter, Stefan Löcher und Erry Stoklosa.

Bei der Suche nach Lösungen sind auch die Experten ratlos. „Die Stadt muss schon etwas anbieten. Die jungen Leute, die zur Zülpicher Straße pilgern, bekommt man nicht umgelenkt. Dann müssten dort schon die Kneipen und Kioske geschlossen werden“, glaubt Kölschbach. „Klappstuhl-Till“ brachte im Gespräch bei Moderator Martin Schlüter eine Feiermeile zwischen Zülpicher Platz und Chlodwigplatz mit Ständen und Bühnen ins Gespräch.

Veranstaltungs-Profi Stefan Löcher (51) sieht das Stadt-Konzept rund um das „Quartier Latäng“ kritisch. „Einzäunen birgt immer Risiken. Wir können vielleicht sogar froh sein, dass am 11.11. Zäune umgekippt sind und die Massen abgeleitet wurden. Wenn man nur einen Zufluss zu einem Gelände hat, ist es problematisch. Gut, dass es an Weiberfastnacht schon mal zwei Zugänge geben wird.“

Lanxess-Arena-Chef Löcher schlägt Beobachtung aus der Luft vor

Sein Vorschlag: „Man braucht eine Beobachtung aus der Luft, wodurch dann gesteuert wird, wie mit den Menschenströmen umgegangen wird. Massensituationen sind kritisch. Daher plädiere ich dafür, dass das Gelände permanent aus der Vogelperspektive beobachtet wird, um dann eventuell mit Gittern frühzeitig abzuriegeln.“

Stoklosa fühlte sich bei der Debatte ans Jahr 2008 erinnert. Damals veröffentlichte seine Band den Song „Ävver bitte, bitte met Jeföhl“ aufgrund der Zustände am 11.11.

„Es war uns zuwider, was sich damals abgespielt hat. Man hörte den ganzen Tag nur das Martinshorn. Wir hatten keinen Bock mehr aufzutreten. Deshalb haben wir gesagt: Bei der Scheiße machen wir nicht mehr mit.“

Nun driftet wieder vieles – zumindest im Zülpicher Viertel und teilweise auch schon in der Südstadt – in diese Richtung.

„Bei den Sitzungen gibt es auch die Entwicklung, dass immer weniger Büttenredner und Tanzgruppen auftreten, stattdessen nur noch zahlreiche Bands am Stück“, kritisierte der ehemalige Fööss-Sänger. „Deshalb haben sich Flüster- und Nostalgie-Sitzungen entwickelt, wo bewusst die Menschen hingehen, um zuzuhören. Es findet eine Spaltung statt.“

Altstädter-Boss Kölschbach kritisiert hohe Preise beim Sitzungskarneval

Altstädter-Boss Kölschbach konnte das nur bestätigen: „Eine Herrensitzung braucht mehr Redner, die Mädchen wollen mehr singen und auf die Stühle. Das Publikum entscheidet, was es haben will. Wir versuchen gegenzusteuern. Es ist auch schwieriger, die jüngeren Leute im Saal ruhig zu bekommen. Die wollen Party machen.“

Was ihm zusätzlich Sorgen bereitet, ist die Preisgestaltung. „Ich kann auch die jungen Leute verstehen, wenn sie keine Lust mehr auf die klassischen Sitzungen haben. Für eine Flasche Wasser neun Euro, für ein Kölsch drei Euro. Dazu kommt der Eintritt von mindestens 50 Euro. Dann noch ein Taxi, etwas essen.“

Dennoch verzeichnet sein Traditionskorps enormen Zuwachs an Menschen ab 19, 20 Jahren. Das Interesse am „echten“ Karneval sei also durchaus noch da.