Schicksalsspiel für KoemanBarça startet Trainersuche – Fjörtoft bringt Jogi Löw ins Spiel

Ronald Koeman senkt den Kopf, fasst sich mit der linken Hand vor das Gesicht.

Es läuft einfach nicht: Barcas Trainer Ronald Koeman ist der Verzweiflung und einem Rauswurf nahe. Das Bild entstand beim Unentschieden gegen Cadiz am 23. September 2021.

Der FC Barcelona galt einst als das Nonplusultra der europäischen Vereinsfußballs. Diese Zeit ist endgültig vorbei. Weil sich unter Trainer Ronald Koeman der Absturz beschleunigte, steht der Niederländer vor dem Aus.

von Julian Meiser (jm)

Barcelona. Wo vor einigen Jahren noch Ronaldinho (41), Deco (44) und Lionel Messi (34) mit ihrem Tiki-Taka die Massen verzauberten, ist spätestens im Jahr 2021 Ernüchterung eingekehrt: Der FC Barcelona befindet sich in einer Krise.

Die sportlichen Leistungen lassen zu wünschen übrig, die Finanzlage ist desaströs und die Identität des ganzen Vereins bröckelt. Trainer Ronald Koeman (58) steht kurz vor dem Rausschmiss. Über potentielle Nachfolger wird bereits diskutiert. Erstmals fällt dabei auch der Name Joachim Löw (61).

Barcas Klatsche gegen Benfica Lissabon

Im zweiten Vorrundenspiel der Champions-League-Gruppenphase (29. September 2021) setzte es eine herbe 0:3 bei Benfica Lissabon. Die Katalanen stehen damit auf dem letzten Platz der Gruppe E - mit 0 Punkten und einem Torverhältnis von minus 6.

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„Koeman hat sich bei seinem Drahtseilakt einen Fehltritt erlaubt“, schrieb Barcas Hausblatt „Sport“ und folgerte: „Er hat sich sein eigenes Grab geschaufelt.“ Die Konsequenz: „Eine radikale Veränderung ist nötig. Und die sollte ohne Zweifel auf der Trainerbank beginnen.“

Nach der Niederlage ist es wenig verwunderlich, dass die Vereins-Bosse aktuell über die Zukunft des Trainers beraten, der kaum noch Fürsprecher im Verein besitzt. Noch in der Nacht fand nach der Rückkehr aus Lissabon eine erste Krisensitzung bis 4 Uhr am Morgen statt.

Offensichtliches Ergebnis der Krisensitzung: Koemans Aus nach dem Spiel am Wochenende bei Meister Atlético Madrid scheint beschlossene Sache zu sein, berichten mehrere spanische Zeitungen übereinstimmend. Und nun werden auch schon die ersten Kandidaten gehandelt. So kämen der ehemalige Barca-Profi Xavi (41), der bei Juve geschasste Andrea Pirlo (42) oder auch Belgiens Nationaltrainer Roberto Martinez (48) in Betracht.

Der ehemalige Eintracht-Profi Jan Aage Fjörtoft (54) warf sogar den Namen Joachim Löw in den Raum, der bis Sommer die deutsche Nationalmannschaft trainierte und 2014 die WM in Brasilien gewann.

Die Niederlage im Estádio da Luz (deutsch: Stadion des Lichts) hält Barca den Spiegel vor. Jahrelang haben die Verantwortlichen der Katalanen Misswirtschaft betrieben und mit Geld um sich geschmissen, obwohl gar keins da war. Für Philippe Coutinho (29), Ousmane Dembélé (24) und Antoine Griezmann (30) blätterte Barcelona je über 120 Millionen Euro hin. Nun steht der Klub mit 1,35 Milliarden Euro in der Kreide, verkündete Präsident Joan Laporta (59) unlängst. Das fällt dem Verein jetzt auf die Füße.

Der Abgang von Lionel Messi nahm Barca die Identität

Den Vertrag von Lionel Messi (34) hat Barcelona wegen der Schulden nicht verlängern können, sein Gehalt war einfach nicht mehr zu stemmen. Auch eine von Messi angebotene Gehaltsreduktion auf die Hälfte seines jährlichen Salärs überstieg die finanziellen Mittel. Jetzt spielt er bei PSG.

Doch mit dem Argentinier verlor der Klub nicht nur ein fußballerisches Genie, sondern auch ein Stück Identität. Fußballfans auf der ganzen Welt kauften Trikots des spanischen FCB, um ihre Zuneigung zu Messi zum Ausdruck zu bringen.

Wunderkind Messi spielte ab 2004 für die Barca-Profis und mutierte zum Publikumsliebling. Nachdem Carles Puyol (43), Xavi (41), Andrés Iniesta (37) und eben Messi nicht mehr da sind, ist vom Leitspruch „Mes que un club“ (deutsch: Mehr als ein Verein) ist nicht mehr viel zu spüren. Trainer Koeman sagt: „Es macht natürlich keinen Sinn, das jetzige Team mit dem von vor ein paar Jahren zu vergleichen. Das ist so klar wie Wasser.“

Wird der FC Barcelona das neue Arsenal?

Ohne alles schwarz malen zu wollen: Der FC Barcelona muss nicht so enden wie der FC Schalke, der im Sommer 2021 in die 2. Bundesliga abstieg. Momentan stehen die Katalanen auf Platz 6 von LaLiga und haben sogar ein Spiel weniger. Barca wäre nicht der erste Spitzenklub, der einen Absturz hinlegt. Gedacht sei an den FC Arsenal aus London.

In der Saison 2003/2004 blieb die Truppe von Arsene Wenger (71) in der Premier League ungeschlagen, Torwart Jens Lehmann (51) musste in 38 Spielen nur 26-mal hinter sich greifen. Prompt belegten Presse und Fans den Klub mit dem Spitznamen The Invincibles (deutsch: die Unbesiegbaren).

Inzwischen sieht das ganz anders aus: Arsenal ist das Gespött der Liga, zahlreiche höhnische Memes wandern durchs Internet. Der Verein, bei dem einst Thierry Henry (44), Patrick Vieira (45) und Dennis Bergkamp (52) die Kinderaugen zum Funkeln brachten, ist im Mittelmaß der Liga angekommen. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Der viel zu spät erfolgte Abgang des langjährigen Erfolgstrainers Arsene Wenger konnte nie richtig aufgefangen werden. Hinzu kommt, dass andere Klubs - dank ihrer spendablen Gönner - den FC Arsenal schon rein finanziell überflügeln konnten: So zum Beispiel Chelsea oder auch Manchester City. Und nun sind da auch Vereine wie Leicester City und der Erzrivale Tottenham Hotspur, die sich im Ranking der englischen Topvereine an Arsenal vorbeigeschoben haben.

Ein ähnliches Szenario ist auch in Spanien denkbar. Zu den großen zwei Klubs, Real Madrid und Barcelona, hat sich schon längst der aktuelle Meister Atlético Madrid gesellt. Auch beim FC Sevilla, Villarreal, Real Sociedad und Betis Sevilla wird zumindest im sportlichen Bereich gut gearbeitet. Sie sind bereit, langfristig am FC Barcelona vorbeizuziehen. (jm)