„Darüber rege ich mich auf“Löw schießt gegen eigenen Arbeitgeber und die UEFA

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Leroy Sané hatte Krämpfe und musste nach gut einer Stunde ausgewechselt werden.

Stuttgart – Im Stuttgarter Stadion herrschte bereits gespenstische Stille. Ein paar Arbeiter bauten die TV-Kameras ab, vor der Arena kreischten einige spanische Fans, als sie ihre Lieblinge beim Einsteigen in den Bus sahen. Als Joachim Löw (60) das Podium betrat, war es aber vorbei mit der Ruhe. Der Bundestrainer war geladen und schoss einige Giftpfeile ab.

Es war nicht der Frust über den Ausgleich zum 1:1, den seine Mannschaft in der 96. Minute gegen Spanien hinnehmen musste, der Löw zusetzte. Sorgen macht ihm viel mehr der brutal eng getaktete Spielkalender, der den Nationalspielern bis zur EM alles abverlangen wird. „Wir müssen aufpassen: Die Gesundheit der Spieler steht über allem“, sagte Löw und gestand: „Einige sind richtig platt und sind auf dem Zahnfleisch gelaufen.“

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Joachim Löw (l.) diskutiert angeregt mit seinem Assistenten Marcus Sorg.

Diese Warnung schon vor (!) dem ersten Bundesliga-Spiel und nach (!) der Sommerpause sollte aufhorchen lassen. „Irgendwann leidet die Qualität im Fußball. Und das ist über viele Jahre hinweg so nicht zu verkraften. Deshalb bin ich extrem sensibel, wenn man weiß, was für ein Programm ansteht. Wenn man da nicht aufpasst, haben wir Probleme im April und Mai. Das versuche ich zu verhindern“.

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Joachim Löw kritisiert DFB und UEFA

Löws Kritik zielte auf zwei Entscheidungen. Zum einen hat der DFB neben den beiden Nations-League-Duellen im Oktober und November noch jeweils ein Freundschaftsspiel angesetzt, um mit den TV-Millionen die durch Corona klamme Verbandskasse aufzubessern. „Natürlich vertrete ich auch die Verbandsinteressen. Und der Verband freut sich über die Einnahmen. Aber: In zehn Tagen drei Spiele wie im Oktober und November - damit bin ich nicht einverstanden. Dass man da noch zwei Freundschaftsspiele reinlegt, macht aus sportlicher Sicht wenig Sinn“, schoss der Coach gegen seinen Arbeitgeber.

Und noch etwas stieß dem Bundestrainer sauer auf. Dass der europäische Fußball-Verband UEFA nicht wie in anderen Wettbewerben wie der Champions League fünf statt drei Wechsel ermöglicht, stinkt Löw, wie EXPRESS-Leser seit Donnerstagnachmittag exklusiv wussten. „Der zweite Punkt, über den ich mich aufrege: Die ganze Zeit gab es fünf Wechsel, das fand ich sinnvoll. Jetzt wird es zurückgenommen - gerade jetzt! Gerade jetzt hätte es das gebraucht. Einige sind auf dem Zahnfleisch gelaufen - dann passieren die Verletzungen“, sagte Löw energisch.

Julian Draxler: 90 Minuten sind zu riskant

Julian Draxler (26) unterstrich, wie unsinnig die Rücknahme der Wechsel-Regel ist: „Es ist riskant, direkt 90 Minuten zu spielen, wenn du gerade zweimal trainiert hast. Manche von uns hatten einen Saisonabbruch wegen Corona, andere kommen gerade aus dem Urlaub. Da sind fünf Wechsel schon sinnvoll“.

Leroy Sané musste mit Krämpfen vom Feld

Ein Beispiel für die drohende Überbelastung war Leroy Sané (24). Der Bayern-Neuzugang bestritt nach seinem Kreuzbandriss das erste Pflichtspiel und musste nach 63 Minuten mit Krämpfen vom Feld. Niklas Süle, ebenfalls lange wegen Kreuzbandriss außer Gefecht, musste durchspielen.

Karl-Heinz Rummenigge fordert weniger Spiele

Unterstützung bei seinem Kampf gegen den überfüllten Spielkalender gibt es von Karl-Heinz Rummenigge (64). „Wir dürfen bei aller Euphorie nicht vergessen, dass wir vor einer Saison stehen, die so viel Stress wie nie zuvor für die Spieler bedeutet. Die Pause bis zum Auftakt ist kurz, es gibt viele Englische Wochen, und zum Abschluss steht die EM an“, mahnte der Bayern-Boss. „Wir müssen in Zusammenarbeit mit den Verbänden dafür sorgen, dass die Spieler am Ende nicht auf dem Zahnfleisch daherkommen.“