Er hat seit April 2022 die Geschäfte beim 1. FC Köln geführt, kurz vor dem Aufstieg im Mai war dann Schluss. Jetzt äußert sich Christian Keller erstmals öffentlich. Das große EXPRESS.de-Interview, Teil 2:
Keller-KlartextEx-Sportchef über Berater mit Geld-Schubkarren, heftige Kritik & FC-Zerstörung von innen heraus
Er war gut drei Jahre Geschäftsführer Sport beim 1. FC Köln: Christian Keller (46) hat in dieser Zeit einiges bewirkt im Klub. Sportlich ging jedoch auch vieles schief mit der Transfersperre und dem Abstieg. Zwei Spieltage vor dem Aufstieg im Mai 2025 kam es zum großen Knall: Keller und Trainer Gerhard Struber (48) mussten gehen.
Der ehemalige Sportchef hat sich erstmal zurückgezogen, jetzt bricht er sein Schweigen und zieht Bilanz. Das große Abschiedsinterview, Teil 1 gibt es hier. In Teil 2 spricht Keller über seinen Ruf in der Szene, den 1. FC Köln in der Bundesliga, Eric Martel und was beim FC noch schief läuft.
Christian Keller spricht über Köln-Transfers
Wieviel von Ihrer Vorarbeit steckt in der aktuellen Transferphase?
Keller: Grundsätzlich war keine Transferphase unter mir ein Alleingang des Sportgeschäftsführers. Das Scouting hatte jeweils unter Beachtung von Anforderungsprofilen und wirtschaftlichen Rahmendaten Rekrutierungsvorschläge vorbereitet. Dann kamen der Chef-Scout, der Chef-Trainer, Thomas Kessler (damals noch als Bereichsleiter Lizenz) und ich als Hauptverantwortlicher zusammen, um über die Spielervorschläge zu diskutieren. Jeder hatte eine Stimme und wenn einer gesagt hat, wir holen den Spieler nicht, dann haben wir den Spieler auch nicht geholt. Für den jetzigen Sommer hatten wir viele Dinge vorbereitet. Es gab einen Schattenkader, in dem zum Beispiel Ragnar Ache schon lange stand. Wir sind seine Personalie bereits zu Jahresbeginn angegangen. Dass die Verpflichtung dann so schnell nach Saisonende tatsächlich auch gelungen ist, hat etwas mit der Ausstiegsklausel des Spielers zu tun. Ich freue mich, dass Thomas die Verpflichtung final umsetzen konnte.
Thomas Kessler hat auf dem Mitgliederstammtisch verraten, dass Sie bei Johannesson anderer Meinung waren. Trifft das zu?
Keller: Ja, er war kein Spieler, den das Scouting zunächst ganz vorne gesehen hat. Er ist ein guter Spieler, aber er wäre auch unter Beachtung der beträchtlichen Ablöse nicht meine erste Priorität auf der Achter-Position gewesen. Wir hatten einen anderen Spieler auserkoren, den ich unter meiner Verantwortung gerne finalisiert hätte. Warum diese Personalie letztlich dann nicht geklappt hat, weiß ich allerdings nicht.
Zur Kaderplanung gehört auch zu schauen, was in den eigenen Reihen los ist. Hätten Sie bei Youngstern wie Damion Downs oder Tim Lemperle früher Nägel mit Köpfen machen müssen?
Keller: Ich finde, da macht man es sich in Köln teilweise zu leicht. Es gibt ab und an den Irrglauben, dass man die Spieler einfach mit Geld zuschütten kann, und dann wird alles gut. Aber am Schluss hat jeder Spieler seinen eigenen Kopf und entscheidet mit. Nehmen wir das Beispiel Justin von der Hitz. Der Junge hat eine brutale Entwicklung hingelegt, die so nicht absehbar war und die erst dadurch zustande gekommen ist, dass wir ihn von rechts hinten nach vorne auf die offensive Außenbahn gestellt haben. Wenn sich Justin unseren Kader anschaut, sieht er da Linton Maina und Jan Thielmann, also zwei gestandene FC-Spieler. Dann weiß er, dass Said El Mala kommt, der nochmal eine andere Talentkategorie und auch nochmal ein Jahr jünger ist. Und dann weiß er – und diese Antwort kriegt er dann sehr offen und ehrlich – dass auf der Position nochmal ein Spieler geholt werden soll, der bestenfalls Bundesliga-Format hat. Da liegt es nahe, dass er zum Ergebnis kommt, dass es für ihn herausfordernd sein könnte, Spielzeit zu kriegen.
Würden Sie also nicht sagen, dass Sie bei jungen Spielern zu zögerlich waren?
Keller: Der FC hat in seiner Historie genug Personalentscheidungen getroffen, bei denen sehr frühzeitig jungen Spielern horrende Verträge gegeben wurden und die Spieler das in ihrer Leistungsentwicklung anschließend nicht bestätigen konnten. Das ist unter anderem ein Grund, warum der Klub finanzwirtschaftlich in Schieflage geraten ist. Ich habe den Ansatz im Sinne langfristigen Managements, erst Leistungsentwicklung, dann vertraglich nachziehen und nicht andersrum. Da liege ich im Einzelfall auch mal falsch. Aber ich finde, dass wir gerade bei jungen Spielern viele gute Entscheidungen getroffen haben.
Freue mich auch, wenn die Berater nicht mehr mit der Schubkarre voller Geld vom Geißbockheim wegfahren.
Wenn Sie persönlich Bilanz ziehen: Finden Sie, dass Sie in mancher Hinsicht zu dogmatisch oder zu prinzipientreu waren?
Keller: Einen Fußballclub kann man ausgerichtet am Tagesgeschäft sehr aktionistisch und opportunistisch führen. Wenn man einen Klub allerdings langfristig in eine stabile Richtung entwickeln will, dann kommt man nach meiner festen Überzeugung nicht um eine werte- und prinzipienorientierte Führung herum. Das ist mein Ansatz und es mag dem einen oder anderen als dogmatisch vorgekommen sein. Mir hat mal ein Spielerberater gesagt: ‚Keller, früher habe ich hier das Geld mit der Schubkarre rausgefahren, jetzt brauche ich nur noch einen Rucksack dafür.‘ Dass dieser Spielerberater und andere den eingeschlagenen Weg nicht gut fanden, das versteht sich von selbst. Aber mittel- bis langfristig helfen Prinzipien und ein werteorientiertes Vorgehen weiter. An dem Punkt kann man sich gerne an mir reiben. Als Manager interessieren mich primär nicht kurzfristige sportliche Ergebnisverläufe. Mich interessiert, wie wir ein Fundament bauen können, um die Klubentwicklung über zwei, drei, vier, fünf Jahre in die Richtung lenken, damit die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, regelmäßig sportlichen Erfolg zu haben. Wenn ich mir anschaue, was wir in den drei Jahren unter meiner Verantwortung vorangebracht haben, muss ich sagen, dass der FC heute weitaus besser dasteht als zuvor. Ich freue mich auch, wenn die Berater nicht mehr mit der Schubkarre voller Geld vom Geißbockheim wegfahren.
Weil Sie den Berater ansprechen. Ihr Ruf unter Beratern ist nicht der Beste…
Keller: Ich habe kein Problem, wenn ich anecke. Wenn es der Sache bzw. dem FC dient, dann gehe ich in die Konfrontation. Ich muss nicht mit Spielerberatern befreundet sein. Am Schluss reden wir über eine geschäftliche Beziehung bzw. wirtschaftliche Handlung. Es ist nicht meine Aufgabe, einem Berater mit einer schönen Provision das nächste Boot auf Mallorca zu finanzieren, um dann zur Bootstour eingeladen zu werden. Da haben wir viele bewährte Muster aufgebrochen. Wer Muster aufbricht, macht sich nicht nur Freunde.
Wie sehen Sie den FC aktuell vom Kader her für die Bundesliga aufgestellt. Was braucht es noch, um in der Bundesliga zu bestehen?
Keller: Thomas Kessler hat es gesagt. Es darf da keine Denkbarrieren geben. Dem FC tut es in jedem Mannschaftsteil gut, wenn die Mannschaft verstärkt wird. Ein paar Spieler mit konstantem Leistungsvermögen auf Erstliganiveau sollten daher schon noch dazukommen. Johannessen und Ache müssen ihre Qualitäten erst einmal in der Bundesliga beweisen. Andererseits glaube ich, dass der eine oder andere junge Spieler nochmal einen Schritt gehen kann.
Wen haben Sie da im Auge?
Keller: Bei Said El Mala habe ich wie schon gesagt ganz viel Fantasie, dass er schnell auch in der Bundesliga funktioniert. Es gibt zudem auch ein paar Spieler, die durch den Aufstieg etwas weniger mentale Last mit sich rumtragen und sich deshalb weiterentwickeln sollten.
Beim Thema Leistungskonstanz und Achsenspieler fällt einem sofort der Name Eric Martel ein. Sie kennen ihn, seit er zwölf Jahre alt ist. Wie ist Ihr Gefühl, bleibt er beim FC?
Keller: Eric ist bodenständig, aber auch sehr ehrgeizig und ich kann mir vorstellen, dass er gerade nach einer guten U21-EM den nächsten Schritt gehen möchte. Ich würde ihm dennoch anraten, für seine weitere Entwicklung noch mindestens ein Jahr den Geißbock auf der Brust zu tragen.
Thomas Kessler führt die Verhandlungen. Finden Sie, dass er Ihr logischer Nachfolger ist?
Keller: Ja, Thomas zu befördern, war die einzige mögliche Maßnahme, damit der FC kurzfristig handlungsfähig bleibt. Wer hätte das denn sonst machen sollen? Thomas war in alles involviert, hat in der Vergangenheit jede sportliche Entscheidung mitgetroffen, war bei den Gesprächen mit Spielern und Trainern immer dabei. Die aktuelle Transferperiode hat er mitgeplant. Ein anderer Nachfolger hätte erst ausgesucht und dann eingearbeitet werden müssen. Da hätte der FC sehr viel wertvolle Zeit verloren, die es aktuell nicht gibt.
Hat er die Chance verdient, sich profilieren zu dürfen?
Keller: Thomas kennt den Klub, den Standort und beide sind nun einmal besonders. Er konnte mir sagen, wie sich Stimmungslagen entwickeln oder welche Stimmungslagen zu berücksichtigen sind. Er muss sich seine Sporen aber natürlich noch verdienen. Es ist etwas ganz anderes, ob man mitentscheidet oder ob man eine Entscheidung auch verantworten muss. Die Voraussetzungen für seinen Aufstieg in die erste Reihe sind aber exzellent. Es geht dem FC in vielerlei Hinsicht so gut wie seit langer Zeit nicht mehr. Thomas hat daher viele Gestaltungsmöglichkeiten.
Wie bewerten Sie, dass er sich Lukas Berg ins Boot geholt hat?
Keller: Das ist absolut richtig. Thomas besitzt eine gute Selbstreflexion. Er weiß, dass konzeptionelle, organisatorische und prozessuale Themen im Innenverhältnis nicht sein Steckenpferd sind. Lukas Berg ist da gut aufgestellt und die richtige Unterstützung für Thomas. Die beiden ergänzen sich gut.
Der neue FC-Trainer heißt Lukas Kwasniok. Wäre er unter Ihnen auch Trainer geworden?
Keller: Gerhard Struber wäre unter meiner Verantwortung als Trainer in die neue Saison gegangen und hätte die Chance bekommen, nach einer hoffentlich guten Transferphase, zu zeigen, dass er ein Trainer sein kann, der einer Mannschaft eine nachhaltige Handschrift gibt. Die Aufgabe für ihn war brutal schwer. Er hatte eine Abstiegsmannschaft, die wegen der Transfersperre ohne externe Neuzugänge auskommen musste und nur durch eigene Nachwuchsspieler angereichert wurde. Die Erwartungshaltung war trotzdem, dass wir aufsteigen. Gerhard hätte es verdient gehabt, weiter machen zu dürfen.
Keller über Kwasbiok: Passt als emotionaler Trainer
Was halten Sie von der Entscheidung Lukas Kwasniok?
Keller: Es ist eine nachvollziehbare Entscheidung. Lukas hat bei allen seinen Stationen gezeigt, dass er mit unterdurchschnittlicher Spielerqualität Überdurchschnittliches rausholen kann. Seine Mannschaften spielen einen strukturierten Fußball, der auch zur Spieleidee des FC passt. Vom Typ her passt er als emotionaler Trainer, der nicht um einen Spruch verlegen ist, ebenfalls. Trotzdem muss Lukas aufpassen und sich entwickeln, denn in Köln hallen Aussagen mehr nach als in Paderborn.
Stand er auch bei Ihnen auf der Liste?
Keller: Er stand immer auf unserer Liste und ist jetzt hoffentlich bereit für diesen großen Schritt. Am Ende ist es in Köln immer eine entscheidende Frage, wie man mit der Wucht des Standortes zurechtkommt.
Was hat diese Wucht mit Ihnen gemacht?
Keller: Im Showgeschäft Profifußball allgemein und am Standort Köln ganz besonders, ist es für Verantwortliche aus meiner Sicht sehr entscheidend, immer gleich groß zu bleiben, d.h. sich im Erfolg nicht größer und im Misserfolg nicht kleiner zu machen als man ist. Man muss eine innere Stabilität haben, wenn man dem FC gewachsen sein will. Sonst vereinnahmt er einen zu stark. Im Sommer 2024 hat ein Fan auf nette Weise zu mir gesagt, dass die Kölner böse auf mich sind und hat es so erklärt: Der FC ist Teil fast jeder Familie in Köln und sitzt mit am Essenstisch. An unserem Essenstisch kriegt jeder etwas zu essen und sie haben dem FC zu wenig gegeben. Gucken sie, dass das Essen wieder besser schmeckt. Diese tiefe Verbindung zwischen Standort und Klub beschreibt die Wucht des FC recht gut.
Wie haben Sie die teils heftige Kritik so lange ausgehalten?
Keller: Zu meiner Aufgabe als Geschäftsführer gehört, dass ich professionell auftreten und Resilienz vorleben muss. Aber die Kritik macht natürlich trotzdem was mit mir. Man muss mich allerdings sehr gut kennen, um mir das anzumerken. Sport machen hilft mir dann, um die innere Balance wiederherzustellen. Oder es bekommen diejenigen meinen Frust ab, die es nicht abbekommen sollten, also Familie und Freunde. Da habe ich mich über die Jahre aber zumindest verbessert.
Wie tief ist der FC in Ihnen verwurzelt?
Keller: Die drei Jahre haben mich geprägt. Ich bin Fan und seit meinem ersten Tag beim FC lebenslanges Mitglied. Meine FC-Liebe ist groß, aber nicht allumfänglich. Es hätte noch ein paar Gestaltungsmaßnahmen gebraucht, damit sich die Liebe lohnt und ich nicht permanent von ihr enttäuscht werde. Es gibt beim FC Strukturelemente, die einem das Messer ins Herz stoßen und die Liebe immer wieder brutal wehtun lassen.
Welche Maßnahmen meinen Sie?
Keller: Die Sanierung ist abgeschlossen, der FC ist Bundesligist und die U19 ist Meister geworden. Konzeptionell, organisatorisch und infrastrukturell ist der Klub große Schritte nach vorne gegangen. Jetzt geht es um die Governance Strukturen. In den FC-Gremien wird die Liebe immer wieder auf eine harte Probe gestellt. Da zerstört sich das System von innen heraus, weil zu viele Menschen involviert sind, ohne dabei einem einzelnen Akteur einen Vorwurf machen zu wollen. Das Problem sind zunächst einmal die Satzungs- und Gremienstrukturen, die es zu professionalisieren gilt.