Interview

Nach großem Knall beim FCJetzt spricht Keller über die Trennung, seine Transfer-Bilanz & den größten Fehler

Kölns Geschäftsführer Sport Christian Keller steht vor dem Spiel im Stadion.

Kölns ehemaliger Geschäftsführer Sport Christian Keller, hier am 8. März 2025.

Er hat seit April 2022 die Geschäfte beim 1. FC Köln geführt, kurz vor dem Aufstieg im Mai war dann Schluss. Jetzt äußert sich Christian Keller erstmals öffentlich. Das große EXPRESS.de-Interview in zwei Teilen:

von Jürgen Kemper  (kem)

Er war gut drei Jahre Geschäftsführer Sport beim 1. FC Köln: Christian Keller (46) hat in dieser Zeit einiges bewirkt im Klub. Sportlich ging jedoch auch vieles schief mit der Transfersperre und dem Abstieg.  

Zwei Spieltage vor dem Aufstieg im Mai 2025 kam es zum großen Knall: Keller und Trainer Gerhard Struber (48) mussten gehen. Der ehemalige Sportchef hat sich erstmal zurückgezogen, jetzt bricht er sein Schweigen und zieht Bilanz. Das große Abschiedsinterview, Teil 1. In Teil 2 spricht Keller über seinen Ruf in der Szene, den 1. FC Köln in der Bundesliga und Eric Martel.

Christian Keller erholt sich auf Mallorca

Christian Keller, es sind einige Wochen seit Ihrem FC-Aus ins Land gegangen. Wie geht es Ihnen?

Alles zum Thema Geißbockheim

Christian Keller: Es geht mir gut. Ich bin in Bezug auf den FC nach wie vor mit mir im Reinen. Ich habe die ersten zwei Wochen fast ausschließlich Nachrichten und Telefonate beantwortet. Ich habe nach dem Regensburg-Spiel und der Entscheidung ungefähr 600 Nachrichten und 200 Anrufe erhalten. Aktuell bin ich auf Mallorca und verbringe Zeit mit Freunden und Familie. Danach möchte ich eine längere Wanderung machen. Es wird entweder eine Alpenüberquerung oder ich laufe einen Pilgerweg, auf dem ich überlege, was ich als nächstes beruflich machen möchte. Und ich muss im Sommer meine Trainerlizenz auffrischen. 20 Stunden alle drei Jahre sind Pflicht.

Sehen Sie Ihre Zukunft weiter im Fußball?

Keller: Ich werde im Spätsommer entscheiden, ob es weiter Fußball sein soll oder es zurück in die klassische Wirtschaft geht. Ein Job an einer Hochschule wird es Stand jetzt eher nicht nochmal. Im Fußball hängt es davon ab, wann es eine interessante Position gibt. Für mich war klar, dass ich nicht direkt den nächsten Verein übernehmen möchte. Ich kann nicht von heute auf morgen ein neues Wappen im Herzen tragen, das würde sich falsch und unglaubwürdig für mich anfühlen. Ich hatte zwar bereits eine interessante Anfrage vorliegen, aber in meiner Position sollte man schon Identifikation und Herzblut mit der Aufgabe vorleben.

Sie mussten beim FC gehen, weil Sie im Gegensatz zum Vorstand an Gerhard Struber festhalten wollten. Mit einigen Wochen Abstand: Würden Sie die Entscheidung nochmal so treffen?

Keller: Ich würde sie genau gleich treffen. Es war damals auch keine emotionale Entscheidung oder aus einem Affekt heraus, sondern eine mit voller Überzeugung. In dem Moment, als der Vorstand und der Gemeinsame Ausschuss mich aufgefordert haben, den Trainer freizustellen, wusste ich, ich kann das nicht machen. Zum einen, weil es meiner tiefen Überzeugung widersprochen hätte, wie man nachhaltig einen Klub entwickelt. Zum Zweiten hätte es auch meinem Ansatz von Mitarbeiterführung widersprochen. Ich habe immer den Ansatz, egal ob es der Cheftrainer ist oder auch jeder andere Mitarbeiter: Wenn eine Trennung ansteht, dann sage ich schon im Vorfeld, dass die Arbeitsleistung nicht passt und gebe die Chance zur Besserung. Gerhard stand bis dato im Klub jedoch nie zur Diskussion. Wir hatten zwar seit geraumer Zeit wenig Struktur im Spiel mit dem Ball, es gab aber keinerlei Vorankündigung gegenüber Gerhard, dass es eng für ihn werden könnte. Ein dritter Grund war, dass mir alle Beteiligten einhellig versichert haben, dass die Entscheidung so nicht gefallen wäre, hätten wir gegen Regensburg ein Tor mehr geschossen. Das war für mich dann vor allem aktionistisch-opportunistisch. Ich respektiere und akzeptiere das, aber es hat nichts mit meiner Überzeugung von Klubentwicklung und Mitarbeiterführung zu tun.

Haben Sie nach dem Abpfiff gegen Regensburg gespürt, dass es eng werden könnte?

Keller: Ja, ich wusste, worauf das hinausläuft. Es gab direkt mehrere Nachrichten, in denen ich aufgefordert wurde, zu handeln. Ich habe denjenigen geschrieben, dass sie eine Nacht drüber schlafen sollen und wir uns am Sonntag in Ruhe unterhalten. Aber mir war klar, dass sich nichts mehr ändert. Die Nachrichten waren teilweise sehr emotional.

Haben Sie Verständnis für die Entscheidung?

Keller: Ich kann verstehen, dass die Angst nicht aufzusteigen, einen in diese Richtung treibt. Aber es passt nicht zu dem, was wir drei Jahre gemacht haben. Ich wurde geholt, damit Solidität und Konstanz einzieht. Dafür haben wir viele unangenehme Entscheidungen getroffen, für die wir teilweise richtig auf die Mütze bekommen haben. Es waren falsche dabei, das ist auch Teil der Wahrheit. Aber wir waren so kurz vor der Ziellinie, nicht nur die finanzwirtschaftliche Sanierung abzuschließen und wieder in der Bundesliga zu sein, sondern auch einen Kulturwandel hinzukriegen. Wir waren kurz davor, uns eine Standhaftigkeit erarbeitet zu haben, wenn ein Sturm aufzieht – und der zieht in Köln öfter mal auf. Ich habe gespürt, dass dieser Widerspruch kein Einmal-Anlass ist, sondern dass er eher wieder die Regel sein soll. Deshalb wusste ich, dass ich nicht weitermachen kann.

Stand der Trainer trotz der vielen dürftigen Leistungen nie zur Disposition?

Keller: Ich finde, vor dem Hintergrund der gezeigten Leistungen hätte man irgendwann im Frühjahr einen Trainerwechsel vornehmen können. Nach dem Karlsruhe-Spiel wäre ein möglicher Zeitpunkt gewesen, weil wir da eine Nichtleistung gezeigt haben. Andererseits hatte ich damals nicht den Gedanken, ich möchte den Trainer wechseln. Diese Mannschaft hatte drei unterschiedliche Trainertypen und alle verschlissen. Angefangen von einem emotionalen, impulsiven Steffen Baumgart, dann ein ruhiger, sachlicher, zielorientierter Timo Schultz und jetzt mit Gerhard Struber eine Mischung aus beiden. Aus meiner Sicht hätte ein Trainerwechsel zu einem früheren Zeitpunkt keinen gravierenden Leistungseffekt gezeigt. Der Hauptgrund für die stark schwankenden Leistungen war, dass es nie gelungen ist, eine leistungskonstante Spielerachse auf den Platz gekriegt zu haben. Das haben wir weder in der Bundesliga noch in der 2. Liga geschafft.

Woran ist Gerhard Struber gescheitert?

Keller: Wenn man Gerhard eines zur Last legen will, dann sicherlich, dass er es nicht oft geschafft hat, möglichst viele Spieler mitzunehmen. Nicht alle Kaderspieler hatten das Gefühl, dass sie wichtig sind. Das ist die größte und schwerste Herausforderung in der Mannschaftsführung.

Wie haben Sie die beiden entscheidenden Wochen vor dem Aufstieg erlebt?

Keller: Ich habe die beiden Spiele natürlich angeschaut, eines in Köln bei meinen Vermietern im Garten und das andere am Bodensee. Am Aufstiegstag wollte ich nicht in Köln sein, das hätte sich komisch angefühlt. Ich habe mich extrem gefreut, für die Mannschaft, für das Trainerteam, für alle Mitarbeiter und für die Fans. Für mich war es eigenartig, an diesem Tag nicht mehr Teil des Ganzen zu sein.

Hatten Sie nach Ihrem Aus noch mal Kontakt zu den Spielern? Gab es eine Verabschiedung?

Keller: Ja, aber bevor ich auf mich zu sprechen komme, würde ich gerne noch etwas in Sachen Gerhard Struber korrigieren. Es hieß, er hätte keine Möglichkeit gehabt, sich zu verabschieden. Dazu muss ich sagen: Die Freistellungen wurden am Sonntagabend mündlich mitgeteilt und dann war Montag trainingsfrei und am Dienstag war dann schon Training mit Friedhelm Funkel. Da war keine Zeit, außerdem sollten sich die Jungs voll auf den Aufstieg konzentrieren. Da brauchten Struber und Keller keine Plattform, und das war auch nicht die Zeit, um Abschiedstränen zu verdrücken. Es war nicht so, dass man Gerhard Struber oder mir eine Verabschiedung genommen hat. Ich habe mich im Laufe der Woche zwei Tage lang im Geißbockheim persönlich von den Mitarbeitern verabschiedet. Der Mannschaft habe ich eine Abschiedsnachricht in die Spielergruppe geschickt. Es waren etliche Spieler dabei – 85 Prozent der Mannschaft - die mit schönen Nachrichten geantwortet haben. Darüber habe ich mich sehr gefreut.

Wie blicken Sie auf Ihre FC-Jahre zurück, was bleibt bei Ihnen hängen?

Keller: Dankbarkeit, dass ich drei Jahre bei einem coolen Klub mit coolen Fans und einer Wucht, die ich so zuvor noch nie erlebt habe, arbeiten durfte. Ich weiß dieses Privileg, Teil der Vereinsgeschichte sein zu dürfen, sehr zu schätzen. Und ich gehe mit dem Gefühl, die an mich gestellte Aufgabe erfüllt zu haben, wenn auch mit kleiner Delle. Der Abstieg war zwar nicht geplant, es war aber allen von vorneherein klar, dass das passieren kann. Ich habe im Innenverhältnis immer gesagt, dass das sportlich richtig weh tun kann, wenn wir diese Sanierung knallhart durchziehen. Und ich habe tolle Menschen kennengelernt, zu denen ich gerne auch in Zukunft Beziehungen und Bindungen aufrechterhalten möchte.

Was waren Ihre größten Fehler?

Keller: Ein großer Fehler war es, in der Sommertransferperiode 2023 nach den Abgängen von Skhiri und Hector keine leistungskonstante Achse auf den Platz zu bringen. Unsere Einschätzung, dass wir fünf Spieler haben, die leistungskonstant agieren und diese Achse bilden könnten, war falsch. Und natürlich haben auch einzelne Transfer-Personalien nicht funktioniert.

Diese Note gibt sich Keller für seine Zeit in Köln

Sie sprechen es an: Wie fällt ihre persönliche Gesamtbilanz in Sachen Transfers aus?

Keller: Durchwachsen. Ich würde sagen, wir haben in meiner ersten Sommertransferperiode in 2022 aus Bundesliga-Perspektive fast ausschließlich No-Name-Spieler geholt, weil wir einfach nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten für mehr hatten. Wir haben den Etat massiv heruntergeschraubt, von 60 Millionen in 2021/22 auf nur noch 38 Millionen in 2023/24. Dann muss man in einem anderen Regal einkaufen. Wir hätten aber in diesem anderen Regal sicherlich auch bessere Spieler finden können. Dann kam die Transfersperre: Meine zweite Sommertransferperiode war davon schon betroffen. Wir hatten mehrere interessante, ablösefreie Spieler am Haken, die dann woanders eingeschlagen sind. Meine dritte Sommertransferperiode in 2024 hat wegen der Sperre gar nicht mehr stattgefunden. In Summe waren die Rahmenbedingungen der Kaderplanung ziemlich herausfordernd.

Womit sind Sie zufrieden?

Keller: Einige Spieler haben sich sehr gut entwickelt. Eric Martel etwa, der gerade die deutsche U21 als Kapitän ins Finale geführt hat. Denis Huseinbasic war ein Regionalliga-Spieler, als wir ihn geholt haben, Linton Maina hat sich super entwickelt. Und man darf nicht vergessen, dass wir Spieler verpflichtet haben, die sich die nächsten Jahre sehr positiv auf den FC ausschlagen werden. Ich nehme mal Said El Mala.

Kommt bei Ihnen auch wegen des Zeitpunkts der Freistellung Wehmut auf?

Keller: Ja, denn bis dato war es bereinigen, aufräumen und ab jetzt ist es gestalten. Das Haus ist saniert und die Zimmer neu. Jetzt fängt es an, richtig Spaß zu machen. Das hätte ich gerne gemacht, aber nicht auf Kosten meiner eigenen Glaubwürdigkeit.

Wenn Sie könnten, würden Sie etwas anders machen?

Keller: Ich würde mich vor meiner Entscheidung für den FC mehr mit ihm beschäftigen, mir manche Inhalte wie etwa die Bilanzen genauer anschauen. Es war, und das ist atypisch für mich, damals eine primär emotionale Entscheidung, weil sich der FC seit 2019 über einen langen Zeitraum intensiv um mich bemüht hatte.

Zum 30. Juni endet Ihr Arbeitsverhältnis mit dem 1. FC Köln. Wie ist die Auflösung Ihres noch bis März 2026 gültigen Vertrages aus Ihrer Sicht gelaufen?

Keller: Ich hatte eine Abfindungsklausel im Vertrag. Der Betrag ist aber niedriger als der, den der Vorstand bei meiner Einstellung vorgeschlagen hat. Ich wollte nach meiner Zeit in Regensburg erst zum 1. April anfangen, was nicht so großartig für den FC war. Der Fußball dreht sich so schnell, da kann man nicht vier, fünf Monate warten. Ich habe gesagt, sie sollen jemand anderes nehmen, aber der Vorstand wollte das unbedingt machen. Ich bin deshalb bei der Abfindungsklausel entgegengekommen. Die Summe liegt unter dem Standard und ist aus FC-Sicht gut.

Sie werden vom 1. FC Köln ein Arbeitszeugnis erhalten. Welche Note würden Sie sich selbst geben?

Keller: Der Auftrag ist erfüllt. Der FC ist ein sanierter Erstligist und in vielen Bereichen massiv weiterentwickelt. Der zwischenzeitliche Schmerz des Abstiegs verschlechtert die Abschlussnote aber leider, auch wenn der Abstieg schnellstmöglich korrigiert wurde. Lassen Sie uns im Ergebnis daher auf eine 2 minus verständigen (lacht).