Köln feiert, Reker bewegtZwölf Jahre nach der Katastrophe: Das Gedächtnis der Stadt ist zurück

Der Lesesaal des Rheinischen Bildarchivs im Historischen Archiv.

Ein Lesesaal im Historischen Archiv: Am Freitag (3. September) wurde der Neubau offiziell eröffnet.

Rund zwölf Jahre nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs ist am Freitag der Neubau am Eifelwall eröffnet worden. Kölns OB Henriette Reker fand bewegende Worte.

Köln. Der 3. März 2009 markiert einen der schlimmsten Tage der jüngeren Kölner Stadtgeschichte. Unzählige historische Dokumente wurden beim Einsturz des Stadtarchivs am Waidmarkt verschüttet. Freitag, der 3. September 2021 dagegen ist eine Art Neubeginn: Henriette Reker und NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser eröffneten am Nachmittag feierlich den Neubau am Eifelwall.

Dabei handelt es sich um Europas modernstes kommunales Archiv mit einer speziell dafür entwickelten Gebäudetechnik. In dem Neubau für das Historische Archiv und das Rheinische Bildarchiv ist Platz für 50 Regalkilometer Archivalien. Jeder historisch Interessierte soll dort arbeiten und Dokumente einsehen können.

Henriette Reker fand bei der Eröffnung emotionale Worte: „Wie für mich war für viele Kölnerinnen und Kölner der 3. März 2009 ein schmerzlicher Tag. Menschen verloren ihr Leben – viele ihr Zuhause. Und mit dem Archivgebäude war nicht irgendein Gebäude versunken, was schlimm genug gewesen wäre, mit dem Gebäude lag unser jahrtausendealtes Gedächtnis in Morast und Wasser unter einem Berg von Schutt und Trümmern begraben.”

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Neubau in Köln: Stadtarchiv am Eifelwall wird feierlich eröffnet

Auch wenn die Vergangenheit nicht zu ändern ist, solle der Blick nach vorne gehen, so Reker: „Eine Narbe wird immer bleiben, aber versuchen wir, stolz zu sein, ein solch schickes, modernes, nachhaltiges und faszinierendes neues Archivgebäude in der Stadt zu haben.“

In einem Video der Stadt Köln kann man bereits einen ersten Blick in das neue Gebäude werfen.

Auch NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser zeigte sich bewegt: „Vor zwölf Jahren war ich tief erschüttert, nicht nur, weil ich Kölnerin bin. Der Schutt begrub Menschen, denen wir heute besonders gedenken. Und die Trümmer begruben einen Teil des Kölner Stadtgedächtnisses. Umso erfreulicher ist es, dass es gelungen ist, den Großteil der Archivalien zu bergen.“

EXPRESS.de beantwortet die wichtigsten Fragen rund um den Neubau nahe dem Bahnhof Süd:

Wie sieht die Einsturzstelle am Kölner Waidmarkt heute aus?

An der Einsturzstelle befindet sich immer noch eine Baugrube, deren Sanierung seit dem vergangenen Jahr vorbereitet wird. Eine alte, über die Grube führende Brücke wurde abgerissen, derzeit entsteht ein Behelfsbau. Anschließend kann mit der eigentlichen Sanierung begonnen werden. Frühestens Ende 2028 könnten die ersten Stadtbahnen durch den Tunnel fahren.

Beim Einsturz wurden auch zwei Nachbarhäuser mit in die Tiefe gerissen, zwei Anwohner kamen ums Leben. Anliegende Wohnhäuser waren nach der Katastrophe unbewohnbar, Familien mussten ausziehen, die Schüler benachbarter Schulen mussten zeitweise in Ausweichquartiere umziehen. Die Katastrophe richtete einen Schaden in Milliardenhöhe an.

Was hatte der U-Bahnbau mit dem Unglück zu tun?

Unmittelbar vor dem früheren Archivgebäude wurde damals die Kölner Nord-Süd-Stadtbahn gebaut. Das Archivgebäude stürzte in eine tiefe Baugrube. Das Landgericht Köln urteilte im Oktober 2018, dass der Einsturz des Stadtarchivs auf einen gravierenden Fehler bei der Herstellung der Schlitzwand für das Gleiswechselbauwerk Waidmarkt zurückzuführen war. Andere mögliche Ursachen waren nach Auffassung des Gerichts ausgeschlossen.

Wer war für den Einsturz verantwortlich?

Der Einsturz des Archivs beschäftigt bis heute die Gerichte. Derzeit prüft der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe, ob zwei Bauleiter, die für die Errichtung der Wand verantwortlich waren, zu Recht vor dem Landgericht Köln vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen wurden. Eine Entscheidung soll am 13. Oktober verkündet werden.

Welche Dokumente besitzt das Archiv?

Das historische Archiv der Stadt Köln mit Dokumenten aus mehr als 1000 Jahren Stadtgeschichte gilt als eines der größten und bedeutsamsten kommunalen Archive Deutschlands. Zu seinem Bestand gehören eine Handschrift des mittelalterlichen Gelehrten Albertus Magnus ebenso wie Dokumente aus der Zeit des einstigen Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer (CDU) und der jüngsten Stadtgeschichte. Das Archiv besitzt unter anderem 65.000 Urkunden ab dem Jahr 922 sowie zahllose Karten, Plakate, Filme und Fotos.

In welchem Zustand sind die Archivalien?

95 Prozent des Archivbestands konnten nach dem Einsturz in einer beispiellosen Aktion von Feuerwehr, Hilfsorganisationen, Technischem Hilfswerk und hunderten freiwilligen Helfern geborgen werden. Danach wurden sie in durchnummerierte Kisten verpackt und in verschiedene Archive in ganz Deutschland gebracht. Deren Inhalt überprüfen seit 2009 Fachkräfte auf Schäden, danach werden die Archivalien einem Bestand zugeordnet.

Für die Erfassung des Archivbestands kommt eine speziell dafür entwickelte Bergungssoftware zum Einsatz. Dabei erhält jedes Stück einen Barcode, über den sich dessen Zustand und Lagerort nachvollziehen lässt.

Wie sieht das neue Gebäude aus?

Am Eifelwall entstand ein modernes Gebäude nach den Plänen des Architekturbüros Waechter und Waechter in Darmstadt. In der Mitte des dreigeschossigen Neubaus erhebt sich das sogenannte Schatzhaus, das die Archivalien und Fotografien schützen soll. Die Lamellen an der Fassade schimmern je nach Lichteinfall in unterschiedlichen Farben.

In dem rund 90 Millionen teuren Gebäude stehen allein 8800 Quadratmeter mit mehr als 50 Regalkilometern und 460 Planschränke für das Archivgut zur Verfügung. Das Rheinische Bildarchiv bekommt weitere 2,2 Regalkilometer Lagerfläche. Zudem bietet der Neubau rund 45 Plätze im Lesesaal.

Dem Festakt zur Eröffnung folgt eine Informationswoche für die Öffentlichkeit. Vom 4. bis 10. September finden täglich mehrere kostenlose Führungen durch den Neubau statt. Anmeldungen sind unter www.archiveroeffnung.koeln möglich. (jan, tw, mit dpa)