Früher kannte Köln nur dasHohe „Drinkability“: Gaffel bringt Ur-Kölsch in die Flasche

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Gaffel-Boss Heinrich Becker präsentiert in der Gaffel-Brauerei das so genannte Ur-Kölsch: Wiess.

von Jan Wördenweber (jan)

Köln – Es habe eine hohe Drinkability, sagt Thomas Deloy. Bitte was? Es klingt international, wenn der Marketing-Chef von Gaffel stolz über das neueste Produkt der Privatbrauerei spricht. Dabei ist das „Wiess“ so regional verankert wie eine Flönz oder die Bläck Fööss. Drinkability lässt sich denn auch am besten mit „Drink noch ene met“ übersetzen. Denn: Wiess ist so süffig, dass es bei einem Glas meist nicht bleibt. Und ist zudem so nachgefragt, dass es ab kommenden Montag (15. März) in die Flasche kommt.  

  • Gaffel: Kölsch-Brauerei bringt Wiess in die Flasche
  • Wiess ist der Vorgänger des Kölsch
  • Dr. Philipp Hoffmann vom Stadtmuseum erläutert die Historie 

Stammgäste in Hellers Brauhaus schätzen es schon seit vielen Jahren: Wiess, das ungefilterte, obergärige Bier. Was die wenigsten wissen: Es handelt sich um den Vorgänger des heutigen Kölschs.

Gaffel Wiess: Corona macht Fassbier-Absatz in Köln einen Strich durch die Rechnung

Mit der Gaffel-Brauerei schickte sich im vergangenen Jahr nun ein großer Akteur auf dem heimischen Biermarkt an, diese alte Spezialität wieder aufleben zu lassen. 

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Doch bei der Rückkehr des Ur-Kölsch machte Corona der Privatbrauerei zunächst einen Strich durch die Rechnung.

In den wenigen Monaten aber, in denen es in rund 100 Lokalen ausgeschenkt wurde, habe es sich höchster Beliebtheit erfreut, sagt Thomas Deloy. Daher kommt „Gaffel Wiess“ nun in die Flasche. Laut Gaffel sei das nicht geplant gewesen – macht aber gerade in Zeiten des Lockdowns umso mehr Sinn.

Gaffel Wiess: Das macht das Ur-Kölsch so besonders

Wiess, das naturtrüb gebraut wird, war viele Jahrhunderte Nationalgetränk der Kölner, weiß Dr. Philipp Hoffmann vom Kölnischen Stadtmuseum. „Die ersten schriftlichen Zeugnisse Kölner Biergeschichte stammen aus dem Mittelalter. Das älteste Brauhaus Zum Hirschen auf der Cäcilienstraße ist für das Jahr 1243 nachgewiesen. 1302 wurde ein Brauhaus auf dem Eigelstein 41 im Schreinsbuch der Stadt aufgeführt. Fast 100 Jahre war das die Adresse der 1908 gegründeten Privatbrauerei Gaffel.“ 

Apropos Eigelstein: Hier befand sich einst das Epizentrum des Bier-Genusses: Laut Hoffmann habe es im 19. Jahrhundert zeitweise 18 Brauhäuser rund um die Torburg gegeben.

Im Zuge der Industrialisierung konnte Bier in großen Mengen hergestellt werden. Dank moderner Hochleistungsfilter konnte das Gebraute von allen Trübstoffen gereinigt werden. Wiess bekam Konkurrenz von den untergärigen, goldglänzenden Bieren wie Pils und Export. 

Viele kleine Hausbrauereien überlebten dies nicht. Nach dem Ersten Weltkrieg ließen dann auch immer mehr Kölsch-Brauereien ihr Wiess filtrieren, der Name Kölsch entstand.

Ältere Kölner werden es noch kennen: Eine der bekanntesten Wiess-Marken war einst das „Kölner Wieß“ von Küppers. Dementsprechend lagen auch die Markenrechte beim „Haus kölscher Brautradition“. Wie zu erfahren war, hatte man sich dort im Vorfeld mit Gaffel geeinigt, so dass der Wiess-Renaissance nichts mehr im Wege stehen konnte. 

„Gaffel Wiess verbindet Tradition und neue Trends. Aktuell sind regionale Spezialitäten sowie milde, helle und naturtrübe Biere angesagt“, sagt Thomas Deloy. Abgefüllt wird es in kleine bauchige 0,33-Flaschen, die an das Wirtschaftswunder in den 1950er Jahren erinnern und damals die bis dahin üblichen Bügelverschlussflaschen ablösten.

Die Gaffel-Kollegen der Schreckenskammer setzen übrigens ebenso auf diese Flaschenform, auch Veltins setzt beim „Pülleken“ auf den Retro-Stil.

Historiker Hoffmann, der die Abteilung Kölnisches Brauchtum im Stadtmuseum leitet und zudem Geschäftsführer der Freunde und Förderer des Kölnischen Brauchtums ist, zeigt sich angetan vom Wiess-Comeback: „Man kann Geschichte in Köln nicht nur leben, sondern tatsächlich auch trinken.“

Experten benutzen dafür übrigens – angelehnt an die alten Trinkgefäße – einen etwas kleineren Glaskrug, in den jedoch mehr passt als in eine Kölsch-Stange. Das soll vor allem einer Sache zugute kommen: der Drinkability ...