Zum Abschied die Benzin-SpritzeMein Opa entkam dem KZ – das war sein Todesurteil

Enkel Josef sammelte ordnerweise Dokumente über seinen Opa Joseph Roth.

Enkel Josef sammelte ordnerweise Dokumente über seinen Opa Joseph Roth.

von Martin Gätke (mg)

Bonn – Ohne ihn wäre Konrad Adenauer (†1967) niemals der erste deutsche Bundeskanzler geworden: Joseph Roth rettete ihn während des Nazi-Terrors vor der sicheren Erschießung. Konrad Adenauer überlebt, Joseph Roth stirbt. Er landet im KZ Buchenwald – dort bekommt er die Giftspritze.

  • Am 11. April 1945 wird das KZ Buchenwald von den Amerikanern befreit
  • Einer der Insassen war der Bonner Joseph Roth
  • Er rettete Konrad Adenauer vor der Erschießung und erlitt selbst fürchterliche Qualen

Es ist eine Geschichte, die Deutschland veränderte. Und die kaum einer kennt. Zum Gedenken an die Befreiung des KZ Buchenwald am Sonntag (11. April) erinnern wir an die Rettung von Konrad Adenauer. 

Konrad Adenauer und Joseph Roth werden festgenommen

Es ist noch früh am Morgen in Friesdorf, als Gestapo-Beamte die Wohnung des Bonner Politikers Joseph Roth stürmen. Sie schlagen ihn vor den Augen seiner Frau und seiner drei Kinder, dann wird er in Handschellen gelegt.

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Es ist der 22. August 1944, als die Nazis alle Politiker, die eine Gefahr für das Reich darstellen, verhaften. Politiker, die den Nazis zu unbequem sind. Politiker wie Roth. Und wie Konrad Adenauer, der an diesem Tag ebenfalls in seinem Haus in Rhöndorf festgenommen wird.

Beide Männer stellten sich von Anfang an gegen den Nazi-Terror: Roth war Volksschullehrer in Bad Godesberg, war hier Vorsitzender der Zentrumspartei. Er war Katholik und betete mit seinen Schülern. Adenauer war Kölner Oberbürgermeister, schon damals politische Prominenz.

Gegen den braunen Terror

Roth schmiss Nazi-Störenfriede aus politischen Veranstaltungen, grüßte niemals mit „Heil Hitler“. Adenauer ließ Hakenkreuze in Köln entfernen und verweigerte Nazis den Handschlag. Beide gerieten deshalb schnell ins Visier der Gestapo. Und verloren nach der Machtübernahme der Nazis 1933 ihr Amt. 

Zwei Männer, die sich auflehnten. Und deshalb im Sommer 1944 ihre Freiheit verloren. Über 70 Jahre später fangen die Hände von Roths Enkel Josef (54) an zu zittern, als er die Habseligkeiten seines Großvaters hervorholt. Vor ihm liegen dicke Ordner, Briefe, Fotos – seit Jahrzehnten erforscht er die Geschichte seines Großvaters.

Zwei tragische Leidensgeschichten

„Joseph hat mit seinem Sohn Wilhelm über diese Zeit gesprochen. Am Ende hat mein Vater seine Erinnerungen aufgeschrieben – auch über die Zeit nach der Festnahme in Bonn“, sagt der Enkel. Erinnerungen, die belegen: 1944 entscheidet sich nicht nur das Schicksal von zwei Politikern, die eine tragische Leidensgeschichte verbindet, sondern auch das Schicksal einer ganzen, zukünftigen Nation.

Adenauer sollte erschossen werden

Im Juli 1944 startet die Aktion „Gewitter“, als Reaktion auf das Stauffenberg-Attentat auf Hitler: eine riesige Verhaftungsaktion aller nicht-konformen Politiker. Joseph Roth und Konrad Adenauer werden zusammen in Bonn von der Gestapo verhaftet.

„Aktion Gewitter“

Nach dem gescheiterten Stauffenberg-Attentat im Juli 1944 startete die „Aktion Gewitter“: Eine Massenverhaftung von Politikern der Weimarer Republik, die von den Nazis als gefährlich eingestuft worden waren.

Sie wurden 1935 auf sogenannten A-Listen geführt, in drei Kategorien eingestuft: Wichtige Abgeordnete auf „A1“ wurden nach Kriegsbeginn gefangen genommen.

Joseph Roth wurde wie Adenauer geringer kategorisiert.

„Nachdem mein Großvater und Adenauer in Bonn festgenommen wurden, kamen sie zusammen ins Arbeitserziehungslager Köln Messe“, erklärt der Enkel. Er liest aus den Erinnerungen von Vater Wilhelm vor: „Mehrmals bin ich nach Rhöndorf ins Haus von Dr. Adenauer gefahren und habe dort Pakete mit Lebensmitteln abgeholt“, schreibt er.

Lebensmittel, die er den Gefangenen im Lager heimlich zusteckte. „Später erfuhr ich von meinem Vater, dass er in der Schreibstube gearbeitet hatte. Dort erfuhr er während eines nächtlichen Großangriffs auf Köln bei dem Durcheinander aus einem Schreiben, dass am darauffolgenden Morgen Adenauer zu einem Sonderkommando in den Königsforst abkommandiert werden sollte.“ Ein „Sonderkommando“: Tod durch Erschießung.

Herzinfarkt vorgetäuscht

Zusammen mit anderen Politikern im Lager benutzte Roth das Chaos dazu, den Sohn Adenauers zu benachrichtigen. Der half dabei, Adenauers Flucht zu organisieren: mit Hilfe eines eingeweihten Lagerarztes. Der einstige Oberbürgermeister täuscht einen Herzinfarkt vor, wird ins Krankenhaus nach Köln-Hohenlind geliefert. „Doch für meinen Großvater kam die Hilfe zu spät“, sagt der Enkel. I

Im September 1944 wird Roth ins KZ Buchenwald deportiert.

Vier Monate vor Kriegsende stirbt Joseph Roth

Über einen Monat ist er dort, bastelt heimlich Steinherzen für seine Kinder. Der 120-Kilo-Mann, der von seinen Schülern heimlich „Tippes“ genannt wurde, weil er so dick und seine Füße so klein waren, wiegt am Ende 48 Kilo.

Am 28. Oktober 1944 wird Roth entlassen. Die Entlassung war jedoch in Wahrheit ein Todesurteil: „Zum Abschied bekommt er vom KZ-Arzt eine Benzin-Spritze verpasst“, sagt Enkel Roth. „Eine Benzin-Spritze, die normalerweise ins Herz gespritzt wird und sofort tötet.“

KZ-Arzt: „Sie werden der schwerste Invalide in der deutschen Geschichte werden“

Joseph Roth allerdings bekommt sie ins Gesäß. „Sie werden der schwerste Invalide in der deutschen Geschichte werden“, soll der KZ-Arzt noch gesagt haben, als er den Kolben der Spritze herunter drückte.

Sein Körper beginnt sich zu zersetzen. Wenige Tage vor seinem 49. Geburtstag stirbt Joseph Roth, am 22. Januar 1945.

Als vier Monate später, am 8. Mai 1945, die Waffen endlich schwiegen, sind mehr als 60 Millionen Menschen tot. Am 11. April 1945, etwa um 14.30 Uhr, erreichten US-amerikanische Truppen das Konzentrationslager Buchenwald und beendeten das Morden. Rund 21.000 Häftlinge können befreit werden. Für viele politische Gegner der Nazis kommt die Befreiung allerdings zu spät.