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Kölner GeheimnisseDas Brauhaus, das keiner mehr kennt

Mann steht vor Gebäude

Architekt Frank Hage steht vor dem einzig erhaltenen Teil der Brauerei Richmodis.

Wer weiß heute noch, dass sich mitten in der Innenstadt, hinter der Schildergasse, die namhafte Brauerei Richmodis befand? Nur das Sudhaus steht noch – und eine bewegte Geschichte ist erhalten.

Die Faszination jener Tage – plötzlich ist sie wieder da. Frank Hage war Architekturstudent, als er am Projekt mitwirkte. „In der stillgelegten Brauerei befanden sich noch die Kessel, da waren geflieste Wände und Metallgänge. Es war, als ob der Betrieb erst kürzlich verlassen worden wäre.“ So erinnert sich Hage an die Zeit, als vor über 30 Jahren ein Stück jahrhundertealter Kölner Brautradition aus der Kölner Innenstadt verschwand.

Perlenpfuhl 6. Nur das frühere Sudhaus der ehemaligen Richmodis-Brauerei steht heute noch, das „Schätzchen von diesem Ensemble“, sagt Hage. Der schmale, um 1880 erbaute Backsteinbau, in dem die Würze für das Bier produziert wurde, versprüht den Charme alter Industriearchitektur. Heute, nach damaliger Sanierung und Restauration, beherbergt das Gebäude eine chinesische Gaststätte.

Der Rest der Brauerei an der Ecke Herzogstraße war abgerissen, der Betrieb nach Porz-Gremberghoven ausgelagert worden, ähnlich wie später bei anderen großen Brauereien, etwa Reissdorf oder Gaffel, die ihre Produktionsstätten in der Südstadt beziehungsweise am Eigelstein geschlossen haben und in die Kölner Vororte gezogen sind. An der Ecke Perlenpfuhl/Herzogstraße entstand an der Stelle des ausgedienten Brauereikomplexes ein Geschäftshaus mit Hotel.

Mit dem Projekt habe die Straße eine Aufwertung erfahren. „Vor 30 Jahren war das hier richtig fieser Hinterhof“, erinnert sich Hage. Der Leiter des Bauprojekts, der Architekt Jürgen Koerber, hatte ein Faible für sogenannte 1b-Lagen. Formal fiel der Perlenpfuhl in die Einser-Kategorie, denn die Straße ist nur eine kleine Gasse von der Schildergasse, einer der meistfrequentierten Einkaufsstraßen Deutschlands, entfernt. Das wiederum hatte am Perlenpfuhl starken Lieferverkehr, vor allem für die Textilriesen auf der Schildergasse, zur Folge.

Im Quartier sei es faszinierend gewesen, sich vorzugraben, erzählt Hage. Er berichtet, wie das Team an der Herzogstraße auf ein romanisches Kellergewölbe aus dem 12. Jahrhundert gestoßen sei. Das Gemäuer wurde für eine moderne Nutzung hergerichtet, ein indisches Lokal zog später ein – das aber mittlerweile auch wieder Geschichte ist. Zurzeit dient der unterirdische Raum nur als Lager für ein Schuhgeschäft.

Es gab noch weitere historische Entdeckungen, wie Hage erzählt. „Wir haben hier Reste einer 2000 Jahre alten Säulenhalle gefunden, die zum römischen Forum gehörte. Die Arbeiten wurden vom Römisch-Germanischen Museum begleitet. Ich meine sogar, es wäre in einem mittelalterlichen, verschütteten Brunnen ein kleiner Münzschatz entdeckt worden, der dann später ausgestellt wurde.“

Am ehemaligen Richmodis-Sudhaus gibt eine seitlich angebrachte Metallplakette der „Grundstücks-Gesellschaft Richmodis-Bräu m. b. H. & Co“ einen Hinweis auf die Vergangenheit des Areals und auf einen Brauer aus dem frühen Mittelalter namens Theodor de Sligen. Mit diesem „Bravator“ (lateinisch für Brauer) ist die erste schriftliche, aus dem Jahr 1277 stammende Erwähnung einer Brauerei („Domus braxatoris“) an dortiger Stelle verbunden.

Ein Produktionsgebäude, Sudhaus, in der Kölner Innenstadt

Dieses Bild zeigt das Sudhaus in der Zeit seiner Nutzung als Teil der Brauerei.

Nach langer wechselvoller Geschichte – beim Bier war es in den folgenden Jahrhunderten aber weitestgehend geblieben – erwarb 1907 der Brauer Franz Dünwald das Haus und bot „Echt Kölsch“ an wahrlich „althistorischer Stätte“ an.

Jetzt tauchte erstmals der Begriff „Richmodisbräu“ auf, so benannt nach der abenteuerlichen, mittelalterlichen Sage über Richmodis: Bei ihr handelt es sich um eine während der Pest 1358 versehentlich für tot gehaltene und durch den erfreulichen Nebeneffekt eines skrupellosen Grabraubes wieder umfänglich zum Leben erweckte Ehefrau eines reichen Kölner Patriziers. Weil der die Geschichte erst nicht glauben wollte und meinte, eher würden seine Schimmel oben auf dem Heuboden stehen als seine Frau vor der Tür, wurden zwei Pferdeköpfe zum Symbol des Bieres.

Handfest setzte sich die Unternehmensgeschichte mit einem Besitzerwechsel fort. Im Jahr 1930 übernahm ein seinerzeit höchst erfolgreicher Kölner Brauer, Paul Josef Winter vom Brauhaus Winter auf der Schildergasse 97, den Betrieb am Perlenpfuhl. Dieser wurde sein alleiniger Standort, nachdem die Brauerei an der Schildergasse im Krieg zerstört worden war.

Zweiter Weltkrieg: 30 Menschen sterben bei Luftangriff

Doch auch das Richmodis-Brauhaus wurde Schauplatz eines dramatischen Ereignisses. Während des „Peter und Paul“-Luftangriffs auf Köln, dem schwersten aller Luftangriffe auf die Stadt, fanden in der Nacht vom 28. auf den 29. Juni 1943 an die 30 Menschen im Luftschutzkeller des Gebäudes den Tod. Durch Bombentreffer und eine Feuersbrunst war Ammoniak, das zur Bierkühlung verwendet wird, aus den Behältern entwichen – ein giftiges Gemisch machte sich breit, die Menschen erstickten binnen Sekunden.

Unter den Toten war die 36-jährige Kellnerin Elli, die von ihrer Wohnung an der Sternengasse 26 in den Brauhauskeller geflüchtet war. Ihr Sohn Wilhelm erzählte dem Kölner EXPRESS im Alter von 87 Jahren – aus Anlass eines Jahrestages – die traurige Geschichte.

In den späten 1960er-Jahren kam es bei der Brauerei zu einigen Besitzerwechseln. Die Marke Richmodis und auch die Liegenschaft gehörten ab 1968 zur Königsbacher Brauerei und ab 1992 (also während der Projektentwicklung) zur Karlsberg-Brauerei. 1998 übernahm Gaffel die Marke. 2010 wurde die Produktion von Richmodis-Kölsch eingestellt, doch erwies sich das Bier wie seine Namenspatronin als scheintot: Der Rewe-Konzern holte Richmodis zwei Jahre später als sogenannte „Exklusivmarke“ aus der Versenkung. Seither wird das Kölsch im Auftrag von Rewe bei der Gaffel-Brauerei in Porz als Flaschenbier gebraut und abgefüllt.

Cover Kölner Geheimnisse Band 2 von Ayhan Demirci und Maira Schröer

Cover Kölner Geheimnisse Band 2 von Ayhan Demirci und Maira Schröer

Diese Geschichte stammt aus dem neuen Köln-Buch „Kölner Geheimnisse Band 2/ 50 neue spannende Geschichten aus der Dom-Metropole“, die im Bast-Verlag erschienen ist (192 Seiten, 24 Euro). Sieben Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes sind es diesmal die Autoren Ayhan Demirci und Maira Schröer, die sich auf die Spuren Kölner Geschichte begeben haben und ausgehend von Objekten und Relikten in der Stadt von außergewöhnlichen Begebenheiten erzählen.