Kommentar zum Bierhoff-AusJetzt wackelt auch Flick: DFB-Bosse schwer unter Druck

Das WM-Debakel hat eine erste Konsequenz. Oliver Bierhoff muss gehen, ein Nachfolger wird gesucht. Die nächste Entscheidung ist die über Hansi Flick. Ein Kommentar zur Lage beim DFB und der Nationalmannschaft.

von Marcel Schwamborn (msw)

Der Druck war groß. Zu groß. Oliver Bierhoff (54) hat von sich aus das Handtuch geworfen. Vier Tage, nachdem er noch erklärt hatte, dass er ein „sehr gutes Gefühl“ für sich habe, nahm er den DFB-Verantwortlichen die Entscheidung ab.

Dem Geschäftsführer war schnell klar geworden, dass die dritte Turnier-Enttäuschung in Folge nicht ohne personelle Konsequenzen bleiben werde. Vor allem Vizepräsident Hans-Joachim Watzke (63) hatte hinter den Kulissen schon so die Strippen gezogen, dass der Europameister von 1996 schnell erkannte, dass er eins der „Opfer“ der WM sein werde.

Oliver Bierhoff wollte nicht das Trostpflaster DFB-Akademie

Er hätte als „Frühstücksdirektor“ der DFB-Akademie weitermachen können. Doch ohne Kompetenz bei der Nationalmannschaft wollte Bierhoff nicht weiter im Amt bleiben. In seiner 18-jährigen Amtszeit hat der frühere Stürmer einige wertvolle Treffer beim trägen Tanker DFB gelandet. Unter seiner Führung wurde die Akademie auf den Weg gebracht, spielte sich die Nationalmannschaft in die Herzen der Fans und zum WM-Pokal.

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Doch irgendwann überdrehte der Diplom-Kaufmann aufgrund seines fehlenden Gespürs für die Basis die Schraube. Marketing-Maßnahmen rückten plötzlich mehr in den Fokus als Trainings-Einheiten. Bierhoff wurde zum Sinnbild einer abgehobenen, der Realität entrückten Nationalmannschaft. Alles rund um Länderspiele, beispielsweise der inszenierte Fanclub, wirkte hochgradig unangenehm.

Die letzten Entscheidungen von Katar – Quartierwahl mitten im Nirgendwo, Binden-Problematik – haben den verbliebenen Titel-Kredit von 2014 aufgebraucht.

Mit seinem Rückzug lässt Bierhoff nun Hansi Flick (57) allein im Regen stehen. Der muss jetzt ohne Schützenhilfe den DFB-Bossen seine missratene Arbeit erklären. Denn für das Aufstellungs-Durcheinander – das sollte nicht vergessen werden – war nicht der Geschäftsführer verantwortlich. Flick sollte seit Amtsantritt eine feste Achse, ein funktionierendes Spielsystem und überraschende Standardsituationen vorbereiten. Das alles ist ihm nicht gelungen.

Selbstkritik, das ist bekannt, ist nicht die Stärke des früheren Bayern-Trainers. Zudem akzeptiert er längst nicht jeden Vorgesetzten. Da die WM sein erstes Turnier war, dass er als Bundestrainer in den Sand gesetzt hat, könnte er – trotz aller Missstände – noch eine zweite Chance bekommen.

Denkbar wäre jedoch auch, dass er es angesichts des sich nun anbahnenden Neuanfangs Bierhoff gleichtut. Sowohl als Co-Trainer von Joachim Löw (62), als auch als DFB-Sportdirektor, Geschäftsführer in Hoffenheim und als Bayern-Trainer trat er von sich aus zurück.

In anderthalb Jahren soll Deutschland nicht nur ein herzlicher Gastgeber der Europameisterschaft sein. Vom Team wird auch erwartet, eine ernste Rolle im Turnier zu spielen. Bis dahin ist es ein weiter Weg. Das Ende der Ära Bierhoff kann ein erster Schritt sein, um den Fans eine Aufbruchstimmung zu vermitteln.

DFB: Viel Arbeit für Bernd Neuendorf und Hans-Joachim Watzke

Fast noch wichtiger wird jedoch die Frage, wer stattdessen die Zügel übernimmt. Die Aufgaben sind gigantisch. Es gilt intern die Versäumnisse bei der Ausbildung künftiger Nationalspieler zu beheben und den Fußballsport bei den Jüngsten wieder interessant zu machen. Zudem muss die Außendarstellung der DFB-Elf grundlegend verändert werden. Matthias Sammer (55) wäre jemand, der nach innen die richtigen, unbequemen Fragen stellen kann. Er kann die Rolle des nervenden Quälgeistes übernehmen.

Allerdings braucht das frühere Flaggschiff Nationalmannschaft vor dem Heim-Turnier auch eine positive Ausstrahlung. Die kann nicht Sammer herstellen. Flick – wenn er denn überhaupt im Amt bleibt – ist mit den Katar-Kratzern auch nicht mehr der Typ Heilsbringer, der die Fans vereinen kann. Fredi Bobic (51) hat zuletzt bei Hertha BSC auch keine Pluspunkte sammeln können. Für Präsident Bernd Neuendorf (61) und den inzwischen allmächtigen Watzke sollte der Blick in die Zukunft noch wichtiger sein als die Analyse vergangener Fehler.