Flick unter DruckMatthäus wütet gegen DFB: „Müssen Augen öffnen“, „Hansi wird nicht unterstützt“

Hansi Flick spricht mit Lothar Matthäus.

Bundestrainer Hansi Flick im Gespräch mit Lothar Matthäus (hier am 20. Juni 2023). Beide schätzen sich.

Vor dem Länderspiel-Doppelpack stärkt TV-Experte Lothar Matthäus seinem Freund Hansi Flick den Rücken. Dafür schießt er scharf gegen die DFB-Verantwortlichen – unter anderem wegen der TV-Doku.

von Marcel Schwamborn (msw)

Am Samstag (9. September 2023, 20.45 Uhr, RTL) trifft die deutsche Nationalmannschaft auf Japan. Am Dienstag (21 Uhr) wartet Vize-Weltmeister Frankreich auf das Team. Wegweisende Spiele für den unter Druck stehenden Bundestrainer Hansi Flick (58).

Im EXPRESS.de-Interview spricht Rekordnationalspieler Lothar Matthäus (62), der beim Länderspiel in Wolfsburg TV-Experte ist, über die DFB-Krise – und was es seiner Meinung nach braucht, um endlich wieder in die Erfolgsspur zurückzukehren.

Lothar Matthäus: Wir sollten Vertrauen in Hansi Flick haben

Sie haben zuletzt gesagt, dass wir Hansi Flick vertrauen müssen. Sind Sie immer noch der Meinung?

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Lothar Matthäus: Das hat Rudi Völler ja auch gesagt. Er und ich sagen das Gleiche. Wir waren alle mal Trainer. Die, die Trainer waren, wissen, wie ein Coach tickt und reagiert. Hansi wollte in den vergangenen Monaten experimentieren. Ich weiß, dass er jemand ist, der immer das letzte Prozent zur Verbesserung sucht. Das hat er vielleicht nicht gefunden. Aber dafür hat er eine Antwort darauf, dass das eine oder andere eben nicht funktioniert. Er hat trotzdem etwas mitgenommen, was der Mannschaft in Zukunft helfen kann. Ich sage, wir sollten weiter Vertrauen in Hansi haben.

Trotz der schwachen Leistungen nach der enttäuschenden WM in Katar?

Lothar Matthäus: In Deutschland haben wir die Nationalmannschaft bei der WM nicht in Ruhe arbeiten lassen. Klar, wir haben auch spielerisch und ergebnistechnisch enttäuscht. Aber das ist nicht allein Hansis Schuld. Das ist ein Weg, den wir in den letzten fünf Jahren gegangen sind. Wir haben über einen langen Zeitraum nicht so performt, wie wir das erwarten. Diese Durststrecke ist zu lange. Zwei Weltmeisterschaften, eine Europameisterschaft und zweimal in der Nations League – wir haben nirgends Ergebnisse erzielen können, die aufgrund der Qualität der Mannschaft zu erwarten gewesen wäre. Also stimmt in der Kompaktheit des Teams etwas nicht.

Inwiefern? Sehen Sie auch Mentalitätsprobleme?

Lothar Matthäus: Ich sehe keine Mannschaft auf dem Platz. Ich sehe schon aggressive Spieler, Leader. Und zwar nicht nur Kimmich, sondern auch Gündogan, Rüdiger oder Havertz. Fast alle Nationalspieler spielen in der Champions League. Es ist ja nicht so, dass die Spieler gestern noch hobbymäßig im Englischen Garten gespielt hätten. Das sind alles erfahrene Profis, die mit ihren Vereinen große Erfolge gefeiert haben. Man muss auch die Spieler in die Pflicht nehmen. In der Nationalmannschaft müssen wir das richtige System, das richtige Miteinander finden, dass man sich nicht gegenseitig im Weg steht, sondern dass die Abstimmung und Balance stimmen. Und dafür ist Hansi verantwortlich. Er hat beim FC Bayern eindrucksvoll bewiesen, dass er das kann. Ich bin auch überzeugt davon, dass er das bei der Nationalmannschaft hinbekommt. Man muss ihn in Ruhe arbeiten lassen und sollte ihn unterstützen.

Sie sind mit Flick sehr gut befreundet. Wie nehmen Sie ihn wahr?

Lothar Matthäus: Mit Erfolg lebt es sich natürlich angenehmer. Das ist als Fußballexperte, als Journalist und auch als Bundestrainer so. Hansi kämpft. Er weiß, was für eine hohe Spielerqualität er hat. Er weiß, was er will – jetzt noch mehr als noch vor drei, vier Monaten. Natürlich hat er Entscheidungen getroffen, die nicht funktioniert haben. Diese hat er schon zuletzt gegen Kolumbien oder Polen teilweise im Spiel korrigiert. Ja, es war ein schlechtes Jahr bislang. Die Zeit kann man nicht zurückdrehen. Aber aus diesen Erfahrungen kann Hansi besser einschätzen, was es in Zukunft für den Erfolg braucht.

Mit Japan und Frankreich stehen zwei wegweisende Spiele gegen starke Gegner an.

Lothar Matthäus: Leichte Gegner gibt es ohnehin nicht mehr. Es liegt immer an unserer Mannschaft. Schon während der WM hat sie gezeigt, dass sie besser war als Spanien. Dieses Team hat gegen Gegner, die höher eingestuft wurden, immer gezeigt, dass mit ihm zu rechnen ist. Gegen den amtierenden Europameister hat die Mannschaft 2022 einmal ein Remis und einen Sieg errungen. Es ist so, dass wir ein Team haben, das ganz oben mitmischen sollte.

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Thomas Müller ist wieder dabei. Können Sie nachvollziehen, dass er für Niclas Füllkrug nachnominiert wurde?

Lothar Matthäus: Thomas ist jemand, den man nachts um 3 Uhr anrufen kann. Er fährt immer und überall zur Nationalmannschaft, wenn er gebraucht wird. Es ist schon nachvollziehbar, Thomas zu holen. Der gehört einfach dazu, muss sich nicht zurechtfinden. Aufgrund seiner Hüftprobleme im Sommer hat er aber erst ein Spiel von Anfang an gemacht in dieser Saison. Das zeigt auch, was er für ein Vertrauen bei Hansi genießt. Aber eines ist auch klar: Die Nachnominierung kommt schon überraschend. Er ist kein 1-zu-1-Ersatz für Stürmer Niclas Füllkrug.

Wer soll vorne drin spielen?

Lothar Matthäus: Havertz und Gnabry sind die ersten beiden Kandidaten. Auch die Bayern haben letzte Saison ein paar Spiele ohne Neuner gespielt. Damit das funktioniert, muss die Abstimmung total stimmen. Nach seinem Wechsel zu Arsenal spielt Havertz nicht mehr ganz vorne in dieser Saison. Er kann aber eine verkappte Neun wie Müller sein. Das hat er bewiesen. Er hat auf dieser Position wahnsinnig dazugelernt.

Lothar Matthäus: Kai Havertz kann als verkappte Neun auflaufen

Zwischenmenschlich gibt es offenbar ein paar Differenzen bei den Spielern, wie man in der DFB-Doku sehen kann. Ein Problem?

Lothar Matthäus: Ach was, das gehört dazu. Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass Spieler ab und an aneinander rauschen. Das ist bei uns früher auch passiert – und war dann aber wieder schnell erledigt. Und was diese Doku anbelangt: Die ist ein Spiegelbild dessen, was auf Hansi alles hereinprasselt. Am Freitag, einen Tag vor so einem wichtigen Spiel, kommt so eine Doku auf den Bildschirm. Ganz ehrlich: Kann man da keinen besseren Termin finden? Das ist typisch DFB. Der DFB muss langsam mal die Augen öffnen. Dass man sich während der WM von einem Kamerateam begleiten lässt, ist grundsätzlich schon nicht ideal. Aber dass man die Doku zum aktuellen Zeitpunkt veröffentlicht, wo die Ergebnisse nicht stimmen – ich als Verantwortlicher hätte versucht, diese Sache eine Woche nach den Testspielen zu machen. Der Bundestrainer wird einfach nicht richtig unterstützt.

Weisheiten vom Weltfußballer

Die besten Sprüche von Lothar Matthäus

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Wie meinen Sie das?

Lothar Matthäus: Man hat es ja auch schon bei der WM erlebt. Da wird über Themen diskutiert, die nichts mit dem Sportlichen zu tun haben. Alles gut, aber es kann nicht sein, dass das, was das Wichtigste ist – Leistung und Ergebnisse – von anderen Dingen in den Hintergrund geschoben werden. Da hatten andere Mannschaften einen großen Vorteil.

Was braucht es für eine erfolgreiche Heim-EM 2024?

Lothar Matthäus: Der Mannschaft muss man Ruhe und Vertrauen geben. Das habe ich. Ich hoffe, dass ich mich nicht täusche. Wenn Eitelkeiten hinten angestellt werden und dafür miteinander gekämpft, nach hinten gearbeitet und nach vorne hin Tore erzielt werden, bin ich guter Dinge. Diese Freude miteinander und dazu auch noch eine klare Hierarchie in der Mannschaft ist wichtig. Es kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht sein, dass alle auf eine Ebene gestellt werden und jeder Spielpraxis bekommt. Das muss vorbei sein. Hansi braucht einen Stamm von maximal 18, 19 Spielern. Und diesen Spielern muss er sein Vertrauen aussprechen und klarmachen: „Mit euch will ich Europameister werden!“