„Ist schon absurd“Interview: Gosens über EM-Frust und geplatzten Bundesliga-Traum

Robin Gosens kommt mit Mundschutz am Hotel der Nationalmannschaft an.

Robin Gosens bei der Ankunft am Mannschaftshotel der Nationalmannschaft in Stuttgart am 29. August 2021.

Robin Gosens spielte sich bei der EM in die Herzen der Fußballfans. Nach dem Achtelfinal-Aus zog er sich zurück. Jetzt spricht der Profi von Atalanta Bergamo über Hansi Flick und seine Zukunft.

von Marcel Schwamborn (msw)

Stuttgart. Er war der Shootingstar der Europameisterschaft: Nach seiner Gala gegen Portugal feierten Deutschlands Fußball-Fans Robin Gosens (27). Doch auch der Bergamo-Profi mit den flotten Sprüchen konnte das Achtelfinal-Aus gegen England nicht verhindern. Jetzt steht auch für Gosens ein Neustart bei der Nationalmannschaft an. EXPRESS.de sprach mit dem EM-Liebling.

Sie haben sich nach der EM zurückgezogen, haben keine Interviews mehr gegeben. Brauchten Sie etwas Zeit?

Gosens: Absolut, ich brauchte die Zeit für mich. Die drei Wochen Urlaub habe ich benötigt, um alles in Einklang zu bringen und zu realisieren, was da im Sommer passiert ist. Ich muss gestehen, dass ich in der ersten Woche nach dem England-Spiel nur damit beschäftigt war, die Leere in mir zu verarbeiten. Mit dem frühen Ausscheiden bin ich überhaupt nicht klargekommen.

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Der Rummel erfasste auch Ihr Umfeld.

Gosens: Was nach dem Portugal-Spiel passiert ist, war unglaublich. Vor dem Haus meiner Eltern standen plötzlich Kamerateams. Das alles in so einem kleinen Dörfchen. Das war schon viel für mich und meine Familie, die mit so was bisher nie umgehen musste. Ich war immer der große Unbekannte, der von Italien zu Länderspielen nach Deutschland gekommen ist und für den sich im Prinzip niemand interessiert hat. Nach dem Portugal-Spiel war das auf einmal total anders. Da war ich in aller Munde, überall bekannt und bin vom Anonymen zum großen Held geworden. Deshalb bin ich bewusst erst einmal von der Bildfläche verschwunden.

Apropos Familie: Sie erwarten mit Ihrer Verlobten Rabea Nachwuchs. Steigt schon die Nervosität?

Gosens: Auf jeden Fall, ich habe mein Handy permanent dabei und wir sind im täglichen Kontakt. Es sind jetzt noch sechs Wochen und ich hoffe, dass der Kleine sich noch ein wenig Zeit lässt. Natürlich kann es jederzeit losgehen. Es ist eine unfassbar spannende Zeit. Meiner Verlobten geht’s aber gut, dem Baby ebenfalls.

War eine eigene Familie schon immer Ihr Traum?

Gosens: Für mich ist die Familie immer schon das Wichtigste, was es gibt. Jetzt haben wir das Glück, auch eine eigene gründen zu dürfen. Das gibt mir unglaublich viel. Das wird mich auf einer Welle tragen, durch die ich vielleicht auch sportlich noch ein höheres Level erreichen kann. Das wünsche ich mir.

Robin Gosens: Hochzeit mit seiner Rabea im Sommer 2022

Für die Hochzeit wird die Zeit bis zur Geburt aber nicht reichen, oder?

Gosens: Nein, das wird in diesem Jahr nicht mehr klappen. Die haben wir für den nächsten Sommer terminiert – in der Sommerpause. Die WM ist ja erst im Winter, aber dafür stehen nach der Saison noch Nations-League-Spiele an. Aber da passt es trotzdem, die Flitterwochen werden etwas kürzer ausfallen.

Im Gegensatz zu vielen Nationalspielern hatten Sie noch keine Berührungspunkte mit Hansi Flick. Wie ist Ihr erster Eindruck?

Gosens: Er wirkt sehr sympathisch auf mich. Er ist ein sehr agiler Trainer, der brennt, das hat man im ersten Gespräch gemerkt. Er hat Feuer, möchte was verändern und hat mich damit in seinen Bann gezogen. Wir haben viel über Privates gesprochen, über die Differenzen zwischen Deutschland und Italien sowie die Viererkette. Das ist für mich doch eine einigermaßen große Veränderung, weil ich in den vergangenen vier Jahren nur mit der Fünferkette gespielt habe. Das Gespräch hat mir ein gutes Gefühl vermittelt. Jeder startet jetzt wieder bei null und muss sich beweisen. Er macht auch keine falschen Versprechen, das finde ich gut, da brenne ich drauf.

Ist die Umstellung der Abwehrreihe wirklich so ein anspruchsvolles Thema?

Gosens: Es ist sicherlich kein Hexenwerk. Ich spreche mir eine gewisse Fußballintelligenz zu, und wenn man dann ein paar Videos sieht, ein paar Automatismen trainiert, dann kann man auch umdenken. Das Offensivspiel verändert sich. Als Schienenspieler habe ich die Freiheit, mit in den Strafraum einzudringen und meine Torgefährlichkeit auszuspielen. Das ist in der Viererkette nicht immer möglich, da bin ich eher für die Absicherung zuständig.

Was will Flick noch verändern?

Gosens: Er hat eine andere Philosophie gegen den Ball. Er versucht, etwas höheres Risiko zu gehen und mehr Ballgewinne im letzten Drittel zu provozieren, damit der Weg zum Tor nicht mehr so lang ist.

Robin Gosens: Deshalb platzte der Wechsel in die Bundesliga

Es gab durchaus Transfergerüchte um Sie. Seit wann war Ihnen klar, dass Sie bei Atalanta bleiben?

Gosens: Ich wusste jetzt seit zwei Wochen, dass sich nichts mehr tut. Für meine Verlobte war ein Wohlfühl-Umfeld wichtig. Für mich gab es daher nur die Optionen Deutschland oder Italien. Ein Wechsel in die Bundesliga hat nicht geklappt, den Traum muss ich noch mal verschieben, den will ich mir aber noch mal erfüllen. Bergamo ist doch auch gut, ich spiele Champions League, werde wertgeschätzt und habe einen Stammplatz, was im Hinblick auf die WM 2022 auch wertvoll ist.

Woran lag’s? Gab es keine Angebote oder waren die erwarteten 35 Millionen Euro als Ablösesumme zu hoch?

Gosens: Es ist ja bekannt, dass wir noch immer in einer Pandemie leben…

Bei einigen Transfers in diesem Sommer sieht das anders aus…

Gosens: Das stimmt. Was bei einigen Vereinen passiert, ist schon absurd. Für Atalanta war klar, dass ich nur für den Hauptpreis weggehen kann. Bisher war keiner bereit, diese Summe zu bezahlen. Dann sind da einem als Spieler die Hände gebunden. Das muss man akzeptieren, schließlich habe ich den Vertrag auch unterschrieben. Daher kann ich nicht rumheulen.

Vielleicht klappt der Wechsel ja 2022. Könnten Sie sich als bekennender Schalke-Fans auch einen Transfer zu Borussia Dortmund vorstellen?

Gosens: Für mich ist das Wichtigste, dass das Projekt stimmt, dass ich mich als Mensch und Fußballer weiterentwickeln kann. Da habe ich keinen Vorzug und schließe auch keine Vereine aus. Das Gesamtpaket muss stimmen.