Schlagerlady Michelle hat mit uns über ihren Abschied von der Bühne nach 33 Jahren, schreckliche Erfahrungen aus ihrer Kindheit und Sexismus im Showbiz gesprochen.
Michelle öffnet ihr Herz„Ich weiß endlich, was gut für mich ist“

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In schlichtem Schwarz und ganz bei sich: Sängerin Michelle beim Gespräch mit dem Sonntag-EXPRESS im Hotel „Stadtpalais“ in Deutz. Das Foto wurde am 23. Oktober 2025 in Köln aufgenommen.
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Jetzt soll es für immer sein: Schlagerstar Michelle veröffentlicht im Januar die Sonderedition ihres Albums „Wahnsinnig“, tritt bei der Tournee am 5. Februar in Köln und am 11. Februar in Düsseldorf auf, beendet die Reise an ihrem Geburtstag in Berlin.
Und dann wird aus der glamourösen Bühnenlady eine „ganz normale Frau“, die dann 54-jährige Tanja Hewer. Damit endet ein Showleben voller Höhen, Tiefen und wieder Höhen. Viel Stoff für ihr langes Gespräch mit dem EXPRESS im Deutzer Hotel „Stadtpalais“.
Michelle: „Ruhestand? Dafür bin ich viel zu lebendig“
Sie haben Ihr letztes Köln-Konzert für den 5. Februar angekündigt. Wie oft haben Sie Ihre Aussage schon bereut?
Michelle: Noch nie. Grundsätzlich bereue ich nichts in meinem Leben!
Was wird Ihr allerletztes Lied sein?
Michelle: Sorry, lieber EXPRESS. Aber das sage ich hier nicht.
Sie verabschieden sich von Abertausenden, denen Sie und Ihre Lieder viel bedeutet haben und beenden einen großen Lebensabschnitt. Wie sieht es da tief in Ihnen aus?
Michelle: Natürlich berührt mich das sehr. Es war eine 33 Jahre lange, unglaubliche Reise mit einem tollen Publikum, das mit mir durch Höhen und Tiefen gegangen ist. Ich glaube, es wird eine sehr emotionale Tour.
Und dann ist Michelle Geschichte, Sie sind dann „nur noch“ die Tanja?
Michelle: So wird es sein. Mir wird deswegen aber nicht schwer ums Herz. Es ist das Ende eines Prozesses, für den ich mich selbst entschieden habe. Eine Tür schließt sich, eine neue wird sich öffnen. Es folgen Dinge, die mehr mit mir – also mit der Tanja und meinem Herzen – zu tun haben. Ich werde mich nicht hinsetzen und nichts machen. Dazu bin ich viel zu lebendig und kreativ.
Vor 20 Jahren haben Sie schon mal Abschied genommen und einen Hundesalon in Köln eröffnet und dann waren Sie plötzlich wieder da.
Michelle: Damals war es ein Schritt aus einem Affekt heraus. Ich habe zu mir finden müssen. Ich hatte keine Kraft mehr. Ich wollte was machen, was mich erdet. Ich wollte und musste wieder zu mir finden.
Wenn man Sie hört, kann man denken, Sie seien zwei Frauen, die nie richtig zusammengekommen sind. Michelle, der strahlende Stern auf der Bühne, und Tanja, die in ihrer Normalo-Welt lebt ...
Michelle: Das ist nicht unrichtig. Man muss sehen, dass das Auf-der-Bühne-Stehen ein Beruf ist, wie jeder andere. Nur, dass ich etwas verkleidet bin. Ich habe eine Maske auf, trage Bühnengarderobe, sorge für Illusionen und Traumwelten. Michelle war immer perfekt. Doch Tanja, die ich danach bin, ist eine ganz normale Frau, die zu Hause am Herd steht und Kinder großzieht, und die auch mal nicht-perfekt ist.
Sie haben viele große Hits gehabt. Waren das Ihre Lieblingssongs? Nein. Welche haben Ihnen besonders am Herzen gelegen?
Michelle: Oft waren es die kleinen, sehr persönlichen. Die unterscheiden sich sehr von denen, die andere mögen. Zum Beispiel „Kleine Prinzessin“, das Lied für meine 1998 geborene Tochter Cèline. Ganz nah am Herzen liegt mir auch „Sternenkind“ aus dem Jahr 2009. Es schildert, wie sich eine Frau fühlt, die ihr Kind verloren hat, was ich auch durchgemacht hatte.

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Michelle im Gespräch mit EXPRESS-Reporter Horst Stellmacher. Das Foto wurde im Oktober 2025 in Köln aufgenommen.
Sehr berührend ist „Der Junge mit den weißen Haaren“ mit der Aussage: „Ungeliebt zu sein, zieht dir den Boden weg. Und du wünschst dir jemand, der dich nie verlässt“. Auch eine Geschichte aus Ihrem Leben?
Michelle: Ein Erlebnis aus meiner Kindheit. Ich war bei einer Pflegefamilie, bei der es nicht gut für uns Kinder war. Zu uns gehörte ein verhaltensgestörter vierjähriger Junge – er hatte schon weiße Haare – , der sehr von seinen Erlebnissen vorher geprägt war. Er gab keine Ruhe, die aber um 19 Uhr herrschen musste. Deswegen tauchte regelmäßig die Pflegemutter mit einem Bambusstock auf. Damit schlug sie den Jungen, um ihn zum Schweigen zu bringen.
Klingt schrecklich …
Michelle: War es auch. Weil er nachts immer weinte und träumte, dass er ins Bodenlose falle, bin ich oft in sein Bett gekrabbelt oder habe ihn in meins geholt und fest an mich gedrückt. Er sollte spüren, dass er gehalten wird.
Brauchen Sie auch jemanden, der Sie mal in den Arm nimmt?
Michelle: Auf jeden Fall. Das ist heute eines der wichtigsten Dinge in meinem Leben. Das war früher nicht so. Da war ich im Hamsterrad und habe einfach funktioniert.
Kleiner Rückblick: Wann trat die Musik in Ihr Leben?
Michelle: Mit 14. Ich habe damals bei einer Familie gewohnt, bei der ich als Kindermädchen gearbeitet und das Haus sauber gehalten habe. Der Vater hatte eine Band. Wenn die im Keller probte, habe ich leise mitgesungen. Als die Sängerin ausfiel, bin ich eingesprungen. Und eines Tages war ich fest dabei ...
Sie sind 40 Jahre auf der Bühne. Haben Sie in Ihrer Karriere auch das Auf und Ab bei Freunden verspürt?
Michelle: Aber natürlich. Ich kam damals aus einer nicht-heilen Welt und dachte, ich komme jetzt in die heile, merkte aber schnell, dass die Welt hinter den Kulissen auch nicht heil ist. Man musste nett und höflich zu den anderen sein, sich gewisse Dinge gefallen lassen und über Witze lachen, die nicht zum Lachen waren.

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Familie ist Michelle unglaublich wichtig: Zu ihrer Tochter Marie Reim, die ebenfalls Sängerin ist, hat sie ein enges Verhältnis. Das Foto zeigt Mutter und Tochter im Januar 2025.
Sie waren sehr jung, als Sie im Show-Geschäft landeten. Damals gab es noch keine „MeToo“-Bewegung. Haben Sie Sexismus erlebt?
Michelle: Ja, den gab es noch. Als ich mit meiner Kassette von Studio zu Studio unterwegs war, um mich vorzustellen, bin ich oft an Produzenten geraten, die mir rieten: „Wenn du Sängerin werden willst, musst du auch andere Sachen machen!“ Ich habe nicht auf sie gehört: „Danke schön und Tschüs!“ Ich habe mich nicht biegen lassen.
Es hat ja trotzdem geklappt ...
Michelle: Ja, ich habe einen Produzenten gefunden, der an mich glaubte und keine anrüchigen Angebote machte. Er schrieb mir einen Song, mit dem ich bei meiner ersten Veranstaltung landete, bei der u. a. Kristina Bach, Ricky Shayne, Rocco Granata, Christian Anders dabei waren.
... noch die alte Garde ...
Michelle: ... und da verhalf mir Kristina Bach zum richtigen Start. Das war schon seltsam: Ich stand im Gang und rauchte, der Rauch zog in Kristinas Garderobe, was sie sehr störte und was sie mir zu verstehen gab. Nach meinem Auftritt sagte sie mir trotzdem: „Melde dich mal!“ Weil ich das nicht machte, meldete sie sich bei mir, und dank ihrer Beziehungen hatte ich bald meinen ersten Hit: „Und heut Nacht will ich tanzen“. Es war der Beginn meiner Karriere.
Vor einigen Jahren haben Sie noch sehr von Köln geschwärmt. Doch vor eineinhalb Jahren haben Sie der Stadt den Rücken gekehrt. Ist die Köln-Liebe verschwunden?
Michelle: Sie ist immer noch da. Köln war, ist und bleibt mein Herz. Hier ist meine gesamte Familie, hier sind meine Freunde. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich von weitem die Dom-Spitzen wiedersehe. Köln ist Heimat in meinen Herzen. Und die Heimat im Herzen bleibt die Heimat im Herzen.
Ein unglaubliches Leben, was Sie geführt haben ...
Michelle: ... was ich immer noch führe, bis heute. Mal hoch, mal tief, mal links, mal rechts. Ohne Licht kein Schatten, ohne das Gute wissen wir nicht, was schlecht ist, und ohne Schlechtes wissen wir nicht, was gut ist. Davon habe ich sehr viel mitbekommen und weiß heute, was gut oder was schlecht für mich ist. Dafür bin ich sehr dankbar.

