„Marmor, Stein & Eisen bricht“ stürmt vor 60 Jahren auf Platz 1 der deutschen Charts und wird boykottiert.
Vor 60 Jahren„Marmor, Stein & Eisen bricht“: Der Schlager-Boykott

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Drafi Deutscher in den 60ern beim Auftritt in der „ZDF-Hitparade“. Der dreifache Vater sorgte für Riesenhits und Skandale, starb 2006.
Aktualisiert
Es gibt Melodien und Textpassagen, die setzen sich wie sahnig-süßes Karamell im zingulären Kortex, dem „Musikgedächtnis“ unseres Gehirns, fest. Und bleiben. So lange, bis sprichwörtlich „Marmor, Stein und Eisen bricht“ – also eine sehr lange Zeit. Dass der gleichnamige Hit von Drafi Deutscher (†60), der am 4. Dezember vor 60 Jahren auf Platz 1 stürmt und trotz des Grammatikfehlers im Titel zu den Schlagern für die Ewigkeit gehört, ist auch dem „Singularis materialis“ zu verdanken. Aber der Reihe nach!
Der junge Drafi Richard Franz Deutscher aus Berlin liebt seit Kindertagen Musik über alles, gründet mit elf (!) Jahren seine erste Band, Charlie & The Timebombs. Als die sich auflösen, singt Drafi mit der Beatkapelle The Magics, trifft 1963 bei einem Talentwettbewerb auf Musikverleger Peter Meisel (†75) und auf Christian Bruhn (91). Bruhn, der wohl emsigste und erfolgreichste Schlager-Schmied der 60er und 70er, findet Gefallen am Talent des jungen Drafi und dessen Begleitband, schreibt ihnen zunächst Songs, die kleinere Achtungserfolge werden.
Drafi Deutschers Hit: Ein Fall für die Sprachpolizei
Dann, 1965, heiratet der Gitarrist der Magics. Im NDR erinnert sich Drafi Deutscher später: „Ich war schon ein bisschen früher da, es liefen noch die Vorbereitungen. Und da war Trubel, ein Tohuwabohu, das wurde mir zu viel. Da habe ich mich in einen Raum zurückgezogen und die Gitarre gegriffen. Da war der Vers spontan da, das dang-dang-dang-dang ...“. Begeistert spielt er wenig später Christian Bruhn die „Dam-dam“-Melodie vor – mit dem Auftrag, Bruhn möge bitte für den Text sorgen. Der Rest ist feinste Schlager-Geschichte, sobald auf irgendeiner Festivität zwischen Flensburg und Füssen die Zeile „Weine nicht, wenn der Regen fällt“ ertönt, schmettert's aus kundigen Kehlen „dam-dam, dam-dam“.
Weniger „dam“ als viel mehr „damisch“ findet die BR-eigene Sprachpolizei den titelgebenden Ausruf: Wegen falscher Grammatik boykottiert der Bayerische Rundfunk den Song. Begründung: Erziehungsverpflichtung als öffentlich-rechtliche Anstalt und so ... Denn grammatikalisch korrekt hätte der Liedtitel lauten müssen: „Marmor, Stein und Eisen brechen“ womit aber der schöne Reim passé gewesen wäre. Seine künstlerische Freiheit untermauert Christian Bruhn mit einem kleinen, in der Poesie durchaus üblichen Kniff, den er „Singularis materialis“ nennt, wie Drafi Deutscher im NDR verriet. Denn auch Sprichworte wie „Glück und Glas, wie leicht bricht das“ oder „Da ist Hopfen und Malz verloren“ sind grammatikalisch nicht sauber.
Dem Erfolg des Liedes tut das keinen Abbruch: Am 4. Dezember 1965 stürmt „Marmor, Stein und Eisen bricht“ auf Platz 1 der deutschen Charts und bleibt dort fünf Wochen lang. 880.000 Platten verkaufen sich in den ersten sechs Monaten nach Erscheinen des Liedes. Und Drafi? Der dreht ab. Er, der bislang als „Hilfsarbeiter 40 Mark in der Woche verdient“ hatte, bekam „1000 oder 2000 Mark“ für einen Auftritt von 20 bis 30 Minuten. Da ist mir die Birne geplatzt“, sagt er später. Ein „richtiger Vollspinner“ sei er gewesen, einer, der Geld verbrennt.
Wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses wird der dreifache Vater 1967 zu mehreren Monaten auf Bewährung verurteilt, er hatte betrunken aus einem Hotelfenster gepinkelt, als Schulkinder vorbei kamen. Beruflich läuft's: Drafi schreibt mehr als 200 Songs (u. a. „Belfast“ für Boney M., „Jenseits von Eden“ für Nino de Angelo). Privat nicht: Steuerhinterziehung, Schulden, Kokain. Und Ehen (u. a. mit Sängerin Isabel Varell), die brachen wie Marmor, Stein und Eisen. Am 9. Juni 2006 stirbt Drafi Deutscher. Sein „Dam-dam“ lebt weiter.

