Erschütternde ARD-DokuWarnung vor Fake-Apotheken im Netz: „Das ist Mord mit gefälschter Medizin“

Laborleiter Christopher Hopkins warnt vor Medikament-Plagiaten. (Bild: NDR/Jessica Ostermünchner)

Laborleiter Christopher Hopkins warnt vor Medikament-Plagiaten. (Bild: NDR/Jessica Ostermünchner)

Deutschland hat „ein massives Produkt mit gefälschten Medizinprodukten“, heißt es in einer neuen ARD-Dokumentation. Doch nicht nur Fake-Abnehmspritzen und wirkungslose Krebsmedikamente stellen ein gesundheitliches Risiko dar: Auch gefälschte Markenkleidung kann erheblichen Schaden anrichten.

„Die Rechtslage ist gruselig“, ärgert sich Arndt Sinn. Der Strafrechtler setzt sich bereits seit geraumer Zeit intensiv mit Arzneimittelkriminalität auseinander. Wer heute noch Drogen verkaufe, sei „eigentlich verrückt“, findet der Universitätsprofessor. Im Drogenhandel sei der Kontrolldruck hoch, die Strafen drastisch, erklärt Sinn in der neuen ARD-Dokumentation „Billig bis tödlich - den Fälschern auf der Spur“. Der illegale Arzneimittelmarkt hingegen sei „ein lukrativer Markt für kriminelle Akteure“.

Wie richtig der Jurist mit seiner Einschätzung liegt, zeigt der einstündige Film eindrücklich. In Deutschland floriert das Geschäft mit gefälschten Markenklamotten, aber auch mit Fake-Medikamenten, heißt es zu Beginn der investigativen Doku. Tonnenweise illegale Medikamente landen demnach in Deutschland. Hergestellt werden die Mittel jedoch meist in anderen Ländern.

Die Filmemacherin Jessica Ostermünchner ist schockiert darüber, was gefälschte Arzneimittel anrichten können. (Bild: NDR)

Die Filmemacherin Jessica Ostermünchner ist schockiert darüber, was gefälschte Arzneimittel anrichten können. (Bild: NDR)

„Wenn man Bilder sieht von Durchsuchungen von illegalen Laboren, dann kann man eigentlich nur geschockt sein, wenn man da die hygienischen Zustände sieht und die Qualitätsstandards“, weiß auch Europol-Sprecher Jan op gen Oorth. „Mit dem scheinbar schönen, sauberen Auftritt der Webseiten haben die hygienischen Zustände im Labor nichts zu tun.“ Dadurch, dass sich die Leute mittlerweile daran gewöhnt hätten, online einzukaufen, bestehe „ein massives Problem mit gefälschten Medizinprodukten“, mahnt er.

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Auch Arndt Sinn warnt vor einschlägigen Seiten im Netz. „Die werden so aufgebaut, dass sie aussehen wie legal agierende Online-Apotheken - in sehr gutem Deutsch.“ Die Fälscher-Webseiten seien kaum von echten Anbietern zu unterscheiden. Sinn rät: „Man sollte zunächst mal nach dem Versandhandelslogo schauen.“ Dieses müsse zudem verlinkt sein mit dem Versandhandelsregister. „Ist das nicht da, würde ich nicht dort kaufen“, empfiehlt der Jurist.

„Der kann mir alles besorgen - sogar Krebsmedikamente!“

Der Handel mit Fake-Produkten boomt - auch in Deutschland. (Bild: NDR)

Der Handel mit Fake-Produkten boomt - auch in Deutschland. (Bild: NDR)

Doch auch über Ärztinnen und Ärzte finden Fake-Medikamente immer wieder ihren Weg zu Patientinnen und Patienen - wie im Fall einer jungen Frau aus Salzburg, die im Herbst 2023 durch eine gefälschte Abnehmspritze fast ihr Leben verlor. Sie habe „Schaum vorm Mund gehabt, gekrampft, geradeaus gestarrt, hyperventiliert“, erzählt sie. Mittlerweile ist klar: Das Fake-Ozempic, das das Opfer von seinem - ebenfalls unwissenden - Arzt ausgehändigt bekam, stammte ursprünglich aus der Türkei.

Dort boomt der Handel mit gefälschten Medikamenten. Mithilfe des Undercover-Ermittlers Tamer Bakiner wollen die Filmemacherinnen herausfinden, wie leicht es ist, an die Fake-Ware zu kommen. Bakiner, der sich als Großhändler ausgibt, gerät innerhalb kürzester Zeit an Dealer, die ihm unter anderem gefälschtes Botox, aber auch Fake-Ozempic anbieten. „Der Händler hat schon zu mir gesagt, dass das keine gute Ware ist, aber sie ist wirksam“, staunt Bakiner nach der Begegnung. „Der kann mir alles besorgen - sogar Krebsmedikamente.“

Letzere nimmt Christopher Hopkins genauer unter die Lupe. Der ehemalige FBI-Agent ist Leiter eines forensischen Labors. Er erkennt innerhalb kürzester Zeit, dass das Krebsmittel gefälscht ist: Verräterisch sei nicht nur ein Schreibfehler auf der Verpackung, sondern auch ein fehlendes Sicherheitsmerkmal, das auf dem Originalprodukt mithilfe einer speziellen Lampe sichtbar gemacht werden kann. „Diese Verbrechen sind abscheulich“, verurteilt Hopkins die Hersteller der Fake-Mittel scharf: „Ihre Opfer denken, dass sie echte Medikamente einnehmen. Doch sie werden nicht gesund, sondern krank - oder sterben sogar.“

Wer sich gefälschtes Ozempic spritzt, setzt sich gesundheitlichen Risiken aus. (Bild: NDR/Jessica Ostermünchner)

Wer sich gefälschtes Ozempic spritzt, setzt sich gesundheitlichen Risiken aus. (Bild: NDR/Jessica Ostermünchner)

Im untersuchten Mittel befindet sich im Gegensatz zum Original weder Schwefel noch Chlor. „Somit hat dieses Produkt keine Wirkung“, stellt eine Labormitarbeiterin fest. Die Filmemacherin Jessica Ostermünchner kann ihr Entsetzen kaum verbergen: „Das heißt, es gibt einen Patienten auf der Welt, der eine tödliche Erkrankung hat - nämlich Krebs. Und der hat dieses Medikament bekommen, was völlig wirkungslos ist? Wow, das ist krank.“ Auch für Hopkins ist die Sache klar: „Das ist Mord mit gefälschter Medizin.“

Mit gefälschtem Ozempic „ruckzuck auf der Intensivstation“

Auch der Diabetologe Harm Hammer ruft zu höchster Vorsicht auf - besonders im Falle von Fake-Abnehmspritzen. „Am Ende, wenn es ganz, ganz schlecht läuft, kann so etwas tödlich enden“, sagt er mit Blick auf Fälschungen des Mittels Ozempic. Wenn etwa statt Semaglutid synthetisches Insulin wie Insulin glulisin enthalten sei, könne es dazu kommen, dass sich das Hirn „nach und nach abschaltet“. Wenn wiederum zu viel Semaglutid in einem Mittel enthalten sei, seien Risiken wie Nierenversagen und Herzrhythmusstörungen nicht auszuschließen. „Da sind Sie ruckzuck auf der Intensivstation.“

Strafrechtler Arndt Sinn plädiert für höhere Strafen. (Bild: NDR/Jessica Ostermünchner)

Strafrechtler Arndt Sinn plädiert für höhere Strafen. (Bild: NDR/Jessica Ostermünchner)

Doch nicht nur im Falle von falschen Arzneimitteln kann das Geschäft mit der Fake-Ware gefährlich werden. Auch der Erwerb von gefälschter Markenkleidung ist riskant. In Istanbul führen Tamer Bakiners Kontakte ihn unter anderem in ein heruntergekommenes Gebäude, in dem Fake-Markenschuhe hergestellt werden. Sofort steigt dem Privatermittler ein beißender Geruch in die Nase: „Ja, der ist extrem“, bestätigt ein Mitarbeiter und verrät: „Ich arbeite hier schon seit 20 Jahren und habe ständig Kopfschmerzen.“

Unter anderem werden in den Räumlichkeiten gefälschte Prada-Schuhe gefertigt. Ein Mitarbeiter gibt an, gerade einmal 14 Jahre alt zu sein. „Ich habe keinen Pass. Ich komme aus Syrien“, erzählt er. Bereits seit drei Jahren arbeite der Junge täglich, ohne Atemschutz, in der Fabrik. Dafür bekomme er im Monat 4.000 türkische Lira - nicht einmal 100 Euro. „Das ist leider die Realität in diesem Business“, resümiert der türkische Rechtsanwalt Talat Yörük.

Düstere Prognose: „Das Problem wird eher größer als kleiner werden“

Die Schuhe lässt das ARD-Team im Labor untersuchen. Die Chemietechnikerin Ulrike Siemers findet hohe Konzentrationen eines giftigen Lösemittels an der Ware, das sowohl bei Hautkontakt als auch beim Einatmen gesundheitschädlich sei. Zudem überschreitet die Menge des Weichmachers DEHP deutlich die zulässigen Vorgaben des Gesetzgebers. „DEHP gehört zu den Weichmachern, die hormonelle Wirkungen haben können und zum Beispiel Organe wie die Leber und die Niere schädigen können“, stellt Siemers klar.

Auch andere gefälschte Markenprodukte fallen im Test durch. „Normalerweise versucht der Gesetzgeber hier in Europa, uns vor solchen Substanzen zu schützen“, erklärt Ulrike Siemers. „Der Schutz fällt natürlich weg bei solchen Produkten. Man muss sich das sehr genau überlegen.“

Vorsicht ist in jedem Fall geboten. Arndt Sinn sieht vor allem den Gesetzgeber und die Justiz in der Pflicht. „Wir setzen diesem Gefährdungspotenzial bisher nichts entgegen. Weder durch einen erhöhten Kontrolldruck noch durch eine Harmonisierung des rechtlichen Rahmens - noch nicht mal im Bereich der Europäischen Union.“ Die Rechtslage sei „undurchschaubar, sehr komplex, intransparent“, bemängelt der Strafrechtsprofessor. Die niedrigen Strafen seien „eine Einladung zum Weitermachen“, glaubt Sinn zudem. Auch Europol-Sprecher Jan op gen Oorth sieht keinen Anlass zu Optimismus: „Das Problem wird eher größer als kleiner werden in der Zukunft.“

„Billig bis tödlich - den Fälschern auf der Spur“ ist am Montag, 19. Mai, 21 Uhr, im NDR zu sehen und schon jetzt in der ARD-Mediathek. (tsch)