Zwei Monate nach der FlutAnwohner zeigen uns Bilder des Grauens: „Opfer hätten nicht sterben müssen“

Ruine in Dernau nach der Hochwasserkatastrophe (17. September)

Acht Wochen nach der Flut: So sieht es in einem Haus in Dernau an der Ahr Mitte September aus.

Schutt. Trümmer überall. Maschinengeräusche auf den provisorischen Straßen. Das Ahrtal ist im Wiederaufbau begriffen. Acht Wochen nach dem Hochwasserdrama war EXPRESS.de vor Ort und zeigt Eindrücke vom Katastrophengebiet.

von Markus Krücken (krue)

Dernau/Altenahr. Auf dem Weg zu den berüchtigten Orten des Flutdramas lässt noch nichts groß darauf vermuten, was den Betrachter erwarten wird. „Wir bauen unsere Heimat wieder auf“, steht auf einem der wenigen Wahlplakate am Straßenrand auf dem Weg ins Ahrtal. Doch noch sind die Felder und Wälder an der Seite grün, die Straßen trocken und befestigt.

Doch das ändert sich. Die Stimmung kippt buchstäblich, als wir auf eine Anhöhe kommen und an einem Aussichtspunkt auf einem der Hänge über Dernau halten.

Dernau: Lokalpolitiker beschreibt Ausmaß der Katastrophe im Ahrtal

Zahlreiche Schaulustige haben am Rand  geparkt und sich hier wie gaffende Touristen versammelt, die schweigend und fassungslos auf das 1700-Seelen-Dorf herunter starren: Es sind auch Rettungskräfte der Johanniter dabei, die mit ihrem Bus Halt gemacht haben.

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Und es sind ganz normale private Anwohner aus der Region. Wie Volker Gütten.

Der Mann ist stellvertretender Bürgermeister im nur ein Dutzend Kilometer entfernten Wachtberg und an diesem grauen Morgen rausgefahren, um sich an Ort und Stelle einen Überblick zu verschaffen, acht Wochen nach der Hochwasserkatastrophe sieht er hinab auf das betroffene Dernau.

Flutdrama: Mann harrte die Nacht auf einem Kaminsims aus

„Man kann nur den Hut vor den Helfern ziehen. Das ist schon enorm, was hier geleistet wird“, sagt er und zeigt auf die vielen Baufahrzeuge, die durch den kleinen Ort wuseln und Teile des laufenden Wiederaufbaus sind.

„Man muss sich das Ausmaß mal vorstellen. Das ist so, als wenn der Rhein hier durchgeflossen wäre. Es hat hier unfassbare Dramen gegeben. Auch mein eigener Schwager war betroffen.“

Die Schilderung klingt wie in einem Horrorfilm. „Über eine Anschwemmung von Treibgut konnte er sich auf einem Rest Dach retten. Er hat die ganze Nacht dort mit einer über 80 Jahre alten Dame auf einem Kaminsims überlebt. Er sah Leute auf einem Dachstuhl vorbeischwimmen. Ein Mann konnte sich an einem Seil noch festhalten, seine Frau wurde abgetrieben.“

EXPRESS.de hat das besagte Ausmaß acht Wochen nach der Katastrophe durch schockierende Bilder der Häuser im Ort festgehalten. Es ist eine Galerie von Lost Places, also von Objekten, die dem Zerfall ausgesetzt sind.

Gütten: „Die Natur kommt auf einmal so nah. Wir haben kein Gefühl mehr für Risiken. In Kriegszeiten hatten das die Menschen noch.“

Apropos Krieg. So sieht es auch im Ort aus. Als habe der Häuserkampf getobt oder er sei einem Flächenbombardement ausgesetzt gewesen. Nichts als Ruinen. Schlamm. Aber: die Hilfe läuft.


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Gütten lobt die Arbeit der Einsatzkräfte und der vielen vielen Freiwilligen, die in Scharen schon an Tag 1 angerückt waren-

„Ich sehe hier Aufbruch und Motivation. Gleichzeitig bin ich traurig, dass wir die Natur nicht beherrschen, dass sie uns die Grenzen aufzeigt. Natürlich ist hier versagt worden, die Warnungen waren da. Einige Verantwortliche wollten nicht als Panikmacher dastehen. Dabei hätte man Stunden vorher noch mit Lautsprechern die Menschen warnen müssen: Weg von der Ahr. Diese Opfer hätten nicht sterben müssen. Und es waren weit mehr als 100.“

Eindruck aus der Luft. Wir lassen eine Drohne steigen. Von oben sieht die Ahr so winzig, schmal, ja fast zierlich aus. Wie schön muss es hier vor der Flut im Sommer gewesen sein!

Nichts lässt jetzt vermuten, wie sie so anschwillen konnte im Moment des Juli-Horrors, der viele Einwohner um ihre Existenz und an deren Rand brachte, wenn sie noch Glück hatten und beim steigenden Wasserpegel von mehr als sechs Metern ihr Leben retten konnten.

„Schauen Sie mal dorthin und dorthin“, zeigt Gütten mit dem Finger auf punktuell freie Flächen, „das war alles bebaut und ist komplett weggespült worden.“

Als wir uns beim Abschied in Richtung Altenahr weiter aufmachen, gibt er uns mit auf den Weg: „Und wenn Sie das Tal weiter rauf fahren, hören die Bilder einfach nicht auf, im Gegenteil. Der Wiederaufbau wird sicher mehr als ein Jahr dauern.“