Vier Jahre ist die Flut-Katastrophe im Ahrtal her, doch die Wunden sind noch lange nicht verheilt. Viele Menschen kämpfen weiter, während der Wiederaufbau nur langsam vorankommt.
Vier Jahre nach der Todes-Flut„Unser Lebenswerk lag im Schlamm“ – Ahrtal-Bewohner kämpfen immer noch

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Das Ausmaß der Flutzerstörungen im Ahrtal: Vom 14. auf den 15. Juli jährt sich zum vierten Mal die Nacht, die für viele Menschen alles veränderte. Meterhoch türmten sich wenige Tage nach der Flutkatastrophe Wohnwagen, Gastanks, Bäume und Schrott an einer Brücke über die Ahr in Altenahr-Kreuzberg (Luftaufnahme mit einer Drohne).
„Niemand hätte gedacht, dass es so schlimm wird“, sagt Wolfgang Ewerts. Ein Satz, der das Grauen der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 im Ahrtal zusammenfasst.
200 Liter Regen pro Quadratmeter ließen die sonst so beschauliche Ahr in Rheinland-Pfalz in wenigen Stunden auf das Zehnfache ihres üblichen Pegels anschwellen. Ein Albtraum! 135 Menschen verloren ihr Leben, mehr als 17.000 ihre Häuser, Geschäfte und Existenzen.
Ahrtal: Die Flut riss alles mit sich
Einer von ihnen ist Wolfgang Ewerts, Inhaber des Landhotels in Insul. Erst fünf Jahre zuvor hatte er das Hotel mit seinem Sohn Lucas saniert. Die Flut riss alles mit sich. Als das Wasser kam, waren er und seine Frau im Urlaub. Sein Sohn rief ihn in Panik an. „Wir brauchten Stunden, um durch das Tal zu kommen. Um 4.00 Uhr morgens standen wir schließlich auf der anderen Seite der Ahr – und blickten auf unser Hotel, das inmitten eines reißenden Stroms stand.“
Sohn Lucas hatte sich mit den Gästen und Gästinnen in die erste Etage retten können. „Ich war erleichtert, dass alle überlebt hatten – und zugleich verzweifelt, als ich sah, wie unser Lebenswerk im Schlamm lag.“
Auch Christian Lindner, Hotelier in Bad Neuenahr, erlebte den puren Horror. Das Wasser bahnte sich seinen Weg durch die Weinorte bis ins Ballungszentrum Bad Neuenahr-Ahrweiler und hinterließ eine Schneise der Verwüstung. „Es war wie in einem schlechten Film. Wir retteten uns mit einigen Gästen auf die Entlüftungsplattform einer Tiefgarage. Das Wasser stand um uns herum“, berichtet Lindner, der die Villa Aurora mit seiner Frau in dritter Generation führt.
Was beide Hoteliers und Hotelièren bis heute umtreibt: Die Frühwarnsysteme versagten kläglich. „Niemand wusste, wie hoch das Wasser steigen würde. Dass auch flussabwärts nach der Katastrophe hier so viele nicht gewarnt wurden, ist eine Tragödie“, klagt Wolfgang Ewerts. Auf eine offizielle Erklärung wartet er immer noch.
Nach dem Schock standen viele vor der Entscheidung: aufgeben oder neu anfangen? Bei Ewerts war es der Sohn, der ihn zum Weitermachen überredete. Lindner ließ sich von der Familientradition leiten. Beide wagten den Neuanfang – mit Versicherungen, Fluthilfe und Krediten. Doch der Weg war hart: Baumaterial und Handwerker und Handwerkerinnen waren Mangelware. Und es kam zu Neid, weil die Hilfsgelder nicht alle gleichzeitig erreichten.
Ewerts konnte nach zwei Jahren wieder eröffnen, Lindner Ende Mai 2025. „Noch heute fragen Gäste fast täglich, was damals passiert ist. Ich erzähle gern – doch es gibt auch viele, die nicht mehr darüber sprechen können“, so Lindner.
Langsam kehren die Touristen und Touristinnen zurück. Manche, die die Flutnacht miterlebt haben, kommen aus Solidarität wieder in „ihr“ Hotel.

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Das Landhotel Ewerts in Insul konnte seinen Betrieb nach zwei Jahren Wiederaufbau wieder aufnehmen.
Laut Ahrtal-Tourismus sind etwa 85 Prozent der Betriebe wieder da. Statt 8.400 Gästebetten wie 2019 gibt es heute rund 6.200. Doch Lindner warnt: „Der Wiederaufbau ist längst nicht abgeschlossen. Touristen brauchen mehr als ein schönes Zimmer – sie brauchen eine funktionierende Infrastruktur und Attraktionen.“
Überall im Tal wird noch gebaut. Neben renovierten Häusern stehen baufällige Ruinen wie Mahnmale. Behelfsbrücken, Bagger und Baulärm gehören auch vier Jahre nach der Flut zum Alltag. Viele warten sehnsüchtig auf die Ahrtalbahn, die Ende 2025 wieder fahren soll. Auch der Radweg und viele Wanderwege werden erneuert.
Das Land Rheinland-Pfalz unterstützt den Tourismus mit Millionen. Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt (FDP) verspricht eine „gute Zukunft, in ein modernes, schönes und resilienteres Ahrtal.“

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Der Ausbau des Tourismus im Ahrtal wird vom Land Rheinland-Pfalz gefördert.
Hotelier Lindner betont, dass das Ahrtal auf dem Weg zu einer der modernsten deutschen Touristenregionen sei. Kritikern und Kritikerinnen, die von zu viel Aufmerksamkeit sprechen, entgegnet er: „Wir haben so viele Todesopfer zu beklagen und Verwüstung aufzuräumen, Menschen sind traumatisiert. Jetzt versuchen wir, das Beste aus der Katastrophe zu machen.“
Im Kurpark Bad Neuenahr entsteht bis 2026 eine neue Heilwasser-Erlebniswelt für 60 Millionen Euro. Acht überflutete Kliniken werden wieder aufgebaut. „Das ist wichtig - für Patienten und Patientinnen, Besucher und Besucherinnen und die Bevölkerung“, sagt Dania Münch von der Ahrtal Marketing GmbH, die selbst noch im Container arbeitet.
Weinhändler Volker Danko ist zurück in seinem Laden. Er verlor 20.000 Flaschen Wein. Die Versicherung zahlte kaum, weil die Elementarversicherung fehlte. Er baute alles aus eigener Tasche wieder auf.
Doch nicht alle schafften es. „Viele Kollegen und Kolleginnen mussten aufgeben – wirtschaftlich und gesundheitlich“, sagt Danko. Die Erschöpfung kam oft erst später. „Zuerst funktioniert man einfach. Man hilft, räumt, baut. Doch irgendwann meldet sich die Seele“, sagt er.

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Die seelischen Auswirkungen der Verluste zeigten sich bei vielen Menschen im Ahrtal erst einige Zeit nach der Flutkatastrophe.
Pfarrer Jörg Meyrer kennt die seelischen Wunden nur zu gut. Er betreut 12.500 Katholikinnen und Katholiken. Fünf seiner 14 Kirchen wurden zerstört. Meyrer: „Es gibt kein Gespräch, bei dem man nicht früher oder später auf die Flut zu sprechen kommt. Die Flut hat alle Menschen im Tal geprägt.“
Auch sein Glaube hat sich verändert. „Die Verletzlichkeit unseres Glaubens, unseres Gottes – und auch von uns selbst – ist mir sehr viel deutlicher geworden.“ Ans Aufhören denkt er nicht. „Ich habe das Gefühl, dass ich nach wie vor genau hier gebraucht werde.“
Mit einem E-Learning-Kurs hilft er traumatisierten Menschen. „Die Menschen sollen besser verstehen, was mit ihnen passiert – und wie sie sich selbst helfen können.“
Die Wunden des Ahrtals sind noch nicht verheilt, aber sie werden zu Narben. Überall ist ein Geist des Aufbruchs zu spüren. Er überlagert die Angst vor einer neuen Flut. Das wiedereröffnete Hotel, der renovierte Laden oder die restaurierte Kirche – jeder im Tal hat seine eigenen Meilensteine im Kampf zurück ins Leben. (red)