„War 30 Jahre fast nur besoffen”Kölner Top-Musiker mit irrer Lebensbeichte

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Der Kölner Richard Bargel ist Deutschlands erfolgreichster Blues-Musiker. Zu seinem 70. Geburtstag traf er sich zum Interview mit dem EXPRESS. Das Foto zeigt den Musiker im Januar 2021.

Köln – Er kennt dieses ganze Auf und Ab: Südstadt-Hero Richard Bargel (69), Deutschlands erfolgreichster Blues-Musiker, hat viel von dem erlebt, was das Leben für einen Menschen bereithält – und verarbeitet das in Songs, Gedichten und Erzählungen. Jetzt hat er einen besonderen Grund, Bilanz zu ziehen.

  • Kölner Blues-Musiker Richard Bargel wird 70 Jahre alt
  • Er liebt die Kölner Südstadt
  • Die Auftritte machten ihn zum Alkoholiker – seit 20 Jahren ist er trocken

Er wird am 18. Februar 70 Jahre alt, steht seit 50 Jahren auf der Bühne und ist – was ihm besonders wichtig ist – seit 20 Jahren trocken. Mit dem EXPRESS führt er deswegen ein ganz besonderes Gespräch: über sich, seine Musik – und was Köln für sein Leben bedeutet.

Kölner Blues-Star Richard Bargel im Interview

EXPRESS: Kein Karneval, schlechtes Wetter, allgemein trübe Aussichten. Der Motor, der die Stadt am Leben halten soll, stottert – das klingt sehr nach Blues, und Blues ist Ihr Metier. Schon ein Lied drüber gemacht?

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Richard Bargel: Zu solcher Situation fällt selbst mir kaum was ein. Wer möchte zu dem, was ist, noch ein trauriges Lied hören? Allerdings habe ich gleich zu Beginn der Pandemie den Blues „Break The Chain” – „Zerreiße die Kette” – geschrieben, und der ist zu einem kleinen Pandemie-Hit geworden.

Welches aktuelle Geschehen könnte mehr reizen?

Ein Song zu Trump und seinen hoffentlich endgültigen Abflug vom weißen Haus. Das tat mir gut, am Mittwoch im TV diesen Abgang zu sehen. Es würde ein sehr fröhliches Lied werden, ich würde es den „Please – Never Come Back-Blues” nennen. Das passt – denn Blues ist nicht nur Musik für Trauer und Leid, sondern kann alle Gefühle eines Menschen abdecken.

In der Kölner Südstadt ist Richard Bargel richtig angekommen

Den Ort des Gesprächs haben Sie sich ausgesucht: Warum gerade die Severinstorburg?

Sie ist das Herz meines Lebens in Köln. Ich bin mit 17 von Bad Godesberg hierher gekommen, habe dann in fast allen Vierteln der Stadt gewohnt, aber erst, als ich im Schatten der Torburg landete, fühlte ich mich richtig angekommen. Ich bin eher Südstädter als Kölner, hier ist mein Zuhause. Ich bin seitdem Veedels-Man, kein Metropolist.

Was hat Sie zum positiven Köln-Urteil gebracht?

Das Leben hier, die Menschen, meine Umwelt. Ich kam, als es das Ursprüngliche der Südstadt noch gab. Damals lebten hier noch die stinknormalen Bürger, gab es die kleinen Geschäfte, die bürgerlichen Kneipen, in denen vorm und hinterm Tresen uriger Typen durchhielten. Das entsprach meiner Vorstellung vom Leben.

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An der Kölner Südstadt hängt Bargel Herz. Hier lebt er, seit er 17 Jahre alt war.

Man sagt, das sei heute alles verschwunden ...

Natürlich hat sich was geändert. Aber ich bin immer wieder erstaunt, dass noch viel vom alten Südstadt-Geist erhalten ist. Im Gegensatz zu vielen anderen Vierteln ist die Südstadt sehr zäh und stemmt sich gemeinsam und stark gegen Gentrifizierung und Partysierung. Selbst die befürchteten Einflüsse des neuen Rheinauhafen-Viertels wurden abgewehrt. Ich habe mal gedacht, damit würde hier alles den Bach runtergehen. Ist es aber nicht.

Es ist schon seltsam. Wir stehen in der Südstadt, dort, wo normalerweise langsam die Vorbereitungen für die 5. Jahreszeit beginnen. Doch in diesem Jahr merkt man nichts davon – Karneval fällt aus. Wie sehr berührt Sie das?

Ich finde das schrecklich. Ich bin altersbedingt zwar etwas ruhiger geworden, bin aber viele, viele Jahre immer ganz tief reingesprungen. Ich habe stets tüchtig mitgemacht und viel Freude gehabt. Ich verkleide mich gern, bin gern unter fröhlichen Menschen, liebe die Farben und die Stimmung, die ganze Atmosphäre. Wenn sich andere freuen, freue ich mich mit.

Richard Bargel: „Wir waren barfuß und oft auch ungewaschen”

Als Sie 1968 kamen, haben Sie in Köln mit Klaus dem Geiger die Straßenmusik etabliert. Schöne Erinnerungen?

Aber ja. Im Gegensatz zu heute, wo jeder, der will, Musik machen darf, war es eine überschaubare Szene – es gab nicht viel mehr als die 3 Rabaue, den Leierkastenmann und uns. Auch die Musik war anders. Wir haben sogar die „Internationale” im Hillbilly-Stil gespielt. Wir sahen ziemlich wild aus, hatten lange zottelige Haare, waren barfuß und oft auch ungewaschen. Wir haben viel Aufsehen erregt, und einige Nacht-Sitzungen bei der Polizei am Waidmarkt überstehen müssen.

Eines Tages war dieses schöne Leben für Sie vorbei. Warum?

Mit der Zeit hat sich das immer mehr politisiert, die Tonart wurde härter. Das war nicht mehr meine Sache. Ich suchte was Neues und fand meine musikalische Heimat im Blues. Seitdem bin ich als professioneller Blues-Musiker unterwegs.

Warum singen Sie nicht auf Deutsch?

Ich habe das mal versucht, aber es ging nicht. Was ich singen will, klingt im Hochdeutschen nicht.

Vielleicht klingt es im Dialekt besser – zum Beispiel auf Kölsch?

Das Kölsche ist mir immer schwergefallen. Ich mag die Kölsche Sproch sehr, aber es ist ja nicht meine Muttersprache. Dazu kommt, dass es mich oft gestört hat, dass einige Bands versuchten, über das Kölsch ins Geschäft zu kommen, obwohl das Herz gar nicht dabei ist. Kölsche Musik soll dann ein Karriere-Sprungbrett werden. Das mag ich nicht. Ich finde Dialekt toll, ich wollte, ich könnte Kölsch sprechen – aber nicht der Karriere wegen, sondern weil ich Südstädter bin.

Blues ging in jeder Kölner Kneipe

War es damals schwer, mit Blues in Köln zu landen?

Überhaupt nicht. Blues war hier noch nicht so bekannt, und viele waren neugierig. Damals gab es noch eine sehr große Live-Music-Szene, man konnte fast in jeder Kneipe auf der Zülpicher oder in der Südstadt auftreten, meist für 150 Mark pro Abend. Ich bin in fast jeder Kneipe, die nicht schnell genug die Tür zugemacht hatte, aufgetreten,Und dann hat es sich bei mir ausgeweitet, erst nach Bonn, dann nach Leverkusen und Düsseldorf – und irgendwann war es Deutschland- und Europa-weit.

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Richard Bargel wählte den Chlodwigplatz für das EXPRESS-Interview aus.

Als Musiker immer unterwegs, jeden Abend in einer Kneipe – wie haben Sie das ausgehalten?

Schlecht. Das war in einer Zeit, in der sich Publikum und Künstler gegenseitig besoffen gemacht haben. Am Bühnenrand standen jeden Abend Batterien von Getränken, die mir raufgereicht worden waren, Schnaps, Bier, Apfelkorn, alles war da, und ich habe nichts stehen lassen. Dadurch bin ich zum Alkoholiker geworden. Im Rückblick betrachtet, war ich 30 Jahre lang fast nur besoffen.

Richard Bargel setzte sich selbst auf Alkohol-Entzug

Trotzdem sind Sie jetzt seit 20 Jahren trocken. Wie haben Sie das geschafft?

Ich bin immer auf die Schnauze gefallen und immer wieder aufgestanden – zum Glück. Denn wenn ich mich dann im Spiegel sah, habe ich mir gesagt: „Das hier bist du nicht!” Ich konnte mich selbst nicht mehr sehen. Und da ich nie ein Permanent-, sondern vor allem ein Phasentrinker war, habe ich nach jeder Phase meinen eigenen Entzug gemacht. Es wurde immer härter – aber eines Tages war ich wirklich trocken. Es war der schönste Tag in meinem Leben.

Sie werden bald 70 – ist Alter gut für einen Sänger?

Alter macht was mit der Stimme. Das haben wir ja zuletzt bei Johnny Cash oder Leonard Cohen gesehen. Meine Stimme ist auch besser geworden. Wenn Corona es zulässt, werde ich 2021 ins Studio gehen und ein Album in der neuen Art aufnehmen. Wir hatten für dieses Projekt schon die ehemaligen EMI-Studios angemietet, doch dann kam der Lockdown, und da zwei unserer Musiker aus Holland kommen, mussten wir verschieben.

Was planen Sie noch fürs Corona-Jahr 2021?

Ich nehme eine Hör-CD mit eigenen Geschichten und Gedichten auf und fotografiere gerade wie ein Weltmeister Leben und Menschen. Ich werde die Fotos dann in einem Bildband herausgeben – Leben und Menschen am Chlodwigplatz, im Severinsviertel und an der Bonner Straße. Ich zeige dann, wie die Welt, in der ich mich bewege, aussieht. Und 2022 feiern wir dann nicht mein 50., sondern mein 51-jähriges Bühnenjubiläum mit vielen musikalischen Gästen im Tanzbrunnen.

Lassen Sie uns zum Schluss mal am Zeitrad drehen: Was würde der wilde, 20-jährige Richard Bargel sagen, wenn er den 70-jährigen von heute sähe?

„Hast du gut gemacht, Alter! Deine Musik gefällt mir, und du hast dich nicht verbogen! Köln hat dir gut getan!”