„Ich habe wirklich keine Idee“Zülpicher Straße: OB Reker kämpft sich durch Müll und ist ratlos

Der Andrang ins Feierviertel rund um die Zülpicher Straße übertraf beim Elften im Elften die Erwartungen. Oberbürgermeisterin Henriette Reker registrierte die enormen Massen an Jugendlichen einigermaßen ratlos.

von Marcel Schwamborn (msw)

Der Himmel über der Uniwiese präsentierte sich fast wolkenlos, als Henriette Reker (66) gegen 14 Uhr auf ein Stahlgerüst kletterte und sich aus der Vogelperspektive das bunte Treiben anschaute. Der DJ spielte „Freed from Desire“ und die Menge grölte ausgelassen mit.

Kölns Oberbürgermeisterin hatte zuvor die große Synagoge besucht und eine Kerze der Hoffnung angezündet. „Hier wird unweit der Synagoge jetzt Karneval gefeiert. Viele Menschen brauchen diese Zeit des Feierns. Andere können die Gedanken an die gewaltsamen Übergriffe der Hamas und die Konsequenzen nicht verdrängen“, sagte sie. Anschließend drehte sie mit Polizei-Begleitung eine ausgiebige Runde durch das Zülpicher Viertel.

11.11.: Zülpicher Straße musste schon früh geschlossen werden

„Die Sicherheitskonzepte gehen auf“, sagte sie beim Rundgang zu EXPRESS.de. „Es sind sehr, sehr viele Menschen auf der Straße, aber alles ist friedlich. Bisher sind noch keine überraschenden Situationen eingetreten. Noch ist alles ruhig“. Reker fand sogar die Zeit, einen Cent von der Straße aufzulesen. „Das ist jetzt der Glücks-Cent für den Tag“.

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Der Feier-Hotspot im Kwartier Latäng war am Samstag (11. November 2023) schnell überlaufen. Schon kurz nach 9 Uhr wurde im Krisenstab die Entscheidung getroffen, die Eingänge zur Zülpicher Straße zu schließen. „Die Straße war brechend voll“, berichtete Polizei-Pressesprecher Wolfgang Baldes. „Auch die Ausgleichsfläche auf der Uni-Wiese war zu 100 Prozent ausgelastet. Am Aachener Weiher war es ebenfalls schnell sehr voll“.

OB Henriette Reker  an der Uniwiese.

Von einer Plattform aus konnte sich Reker das Treiben auf der Uniwiese anschauen.

Immer wieder ertönte aus den Lautsprechern: „Achtung, Sicherheits-Durchsage. Dieser Eingang ist und bleibt geschlossen. Bitte halten Sie die Fläche vor dem Zugang frei.“ Ein Ordner mit Megafon war schon fast heiser vom ewigen Anweisen, wie die Menge zu laufen habe.

Voll, voller, Fastelovend. Einsatzleiter Frank Wißbaum hatte sich am Tag vor dem Sessionsstart noch gegenüber EXPRESS.de optimistisch gezeigt, dass der Raum im Bereich der Zülpicher, der rund 65.000 Menschen fasst, ausreiche. Doch der Massenandrang am Elften im Elften übertraf dann doch alle Prognosen.

Köln ganz jeck

Die Bilder zum 11.11.2023

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Entsprechend ratlos zeigte sich Reker auch. „Ich habe wirklich keine Idee, wo man diese Menschen alle mitten in der Stadt unterkriegen sollte. Trotzdem müssen wir versuchen, die Anwohnenden zu schützen und auf Dauer andere Plätze zu suchen. Wer aber behauptet, diese Menge könnte in der Stadt verteilt werden, hat sich von der Realität entfernt. Solange alles friedlich bleibt, bin ich zufrieden“.

Das sehen die Menschen im Kwartier Latäng natürlich anders. Die Zülpicher Straße glich schon nach wenigen Stunden einer Müllhalde. Überall türmten sich Fläschchen, Becher und Dosen. Neben Pfützen von Alkohol lag Erbrochenes. Der Alkoholkonsum hat – vor allem bei den ganz Jungen – extrem zugenommen.

11.11 - Sessionsauftakt Kölner Karneval
Zülpicher Straße.

Gleich mehrere Personen waren am Samstag (11. November 2023) auf der Zülpicher Straße auf Laternen geklettert. Aus der Masse waren bei dieser Aktion „Führer“-Rufe zu hören.

„Die schlimmsten Befürchtungen sind eingetroffen. Die Party verlagert sich immer mehr in den Grüngürtel“, sagte Bezirksbürgermeister Andreas Hupke. „Vor Ort ist nichts abgesperrt, die Jecken schmeißen den Müll in die Büsche. Ein Anwohner sagte eben schon zu mir: Die Zülpicher Straße kommt mir wie ein Müllkanal vor, auf dem sich die Menschen einfach nur besaufen.“

Festkomitee reagierte auf Nazi-Entgleisung auf der Zülpicher

Auch gab es aufgrund des hohen Pegels der Menge mehrere schlimme Entgleisungen. So waren einzelne Personen auf Straßenlaternen geklettert. Aus dem Pulk auf der Straße waren „Führer“-Rufe zu hören, einige zeigten den Hitlergruß. Die Polizei gehe den Hinweisen nach, habe aber Stand jetzt keine eigenen Erkenntnisse zu diesem mutmaßlichen Vorfall, sagt Wißbaum.

Karnevalisten vor der Synagoge.

Zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der Traditionsgesellschaften trafen sich am Samstagnachmittag spontan an der Synagoge als Zeichen gegen die Vorfälle am Vormittag auf der Zülpicher Straße.

Unabhängig von den Details dieses schlimmen Eklats bezog das Festkomitee schnell Stellung. „Konfetti ist bunt und nicht braun! Der Karneval steht an der Seite aller Jüdinnen und Juden, die fester Teil unserer Gesellschaft und des Kölner Karnevals sind. Für rechte Gesinnung und Nazi-Sprüche ist hingegen kein Platz in Köln“, sagte Präsident Christoph Kuckelkorn zu EXPRESS.de.

Zudem kamen am Nachmittag 30 Karnevalisten aller Traditionskorps in vollem Ornat an der Synagoge zusammen, um ihre Solidarität mit den Jüdinnen und Juden zu demonstrieren. Außer den alkoholbedingten Ausfällen und einigen Pöbeleien verzeichnete die Polizei bis zum Einbruch der Dunkelheit jedoch keine weiteren nennenswerten Zwischenfälle.