Domians offener Brief nach Kölner Diesel-Schock„Frau Reker, wo sind Sie eigentlich?“

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Moderator und Autor Jürgen Domian wettert gegen die Oberbürgermeisterin und die Regierungspräsidentin. 

  • Domian geht es wie so vielen derzeit in Köln: Er fühlt sich von der Kölner Politik im Stich gelassen.
  • In einem offenen Brief macht er seinem Ärger Luft - und geht dabei vor allem mit OB Henriette Reker hart ins Gericht.

Köln – Moderator und Autor Jürgen Domian schaltet sich in den Diesel-Zoff ein und wettert in einem Beitrag im „Kölner Stadt-Anzeiger“ gegen Kölns OB. EXPRESS bringt die harsche Kritik im Wortlaut:

„Hallo Frau Reker, wo sind Sie eigentlich? Hat es Ihnen die Sprache verschlagen? Ein Gerichtsurteil enteignet so mir nichts dir nichts über 100.000 Kölner Bürger – und Sie? Schweigen weitgehend!

Sie wissen natürlich, wovon ich rede: der Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts zu den Dieselfahrverboten. Was ich von Ihnen dazu bisher gehört habe, sind ein paar wolkige Statements, ja, aber nichts wirklich Bewegendes. Ich bin fassungslos. Sie sind doch unsere Oberbürgermeisterin!

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Sie und die Regierungspräsidentin, Gisela Walsken, tragen Mitverantwortung für das verheerende Dieselurteil. Weil Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, weil Sie offenbar erbärmlich schlecht vorbereitet in den Prozess gegangen sind. Wie peinlich, dass Richter Michael Huschens Sie ermahnen musste: „Sie haben sehr oft das Futur gebraucht: werden...wird...ist zu erwarten“.

Es geht aber um die Gegenwart und realistische, schnell wirkungsvolle Maßnahmen - und nicht um „Zukunftsmusik“. Im Klartext hat Ihnen der Richter also gesagt: Verschonen Sie mich mit Ihren frommen Wünschen! Erzählen Sie mir lieber, was Sie konkret und sofort zu tun gedenken, damit die Grenzwerte eingehalten werden.

Über den Sinn der Grenzwerte kann man trefflich streiten

Nach welchen Kriterien wurden sie überhaupt festgelegt? Warum liegen die Grenzwerte an einer Straße bei 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft, an einem Büro-Arbeitsplatz aber bei 60 Mikrogramm und an einem Industriearbeitsplatz sogar bei bis zu 950 Mikrogramm? Wer soll das noch verstehen?

Außerdem wird so getan, als produzierten Benzinmotoren frische Meeresluft. Aber auch Benziner sind Stinker. Sie stinken nur anders. Es herrscht Hysterie im Moment. Entfacht und immer wieder angestachelt von der Deutschen Umwelthilfe (was für ein populistischer Name!), die unter anderen vom japanischen Autokonzern Toyota gesponsert wird.

Dass Köln von den Abgasen der Schifffahrt, der westlich gelegenen Industrie und dem rheinischen Braunkohlerevier massiv belastet wird, ist kaum ein Thema. Diesen Schadstoff-Verursachern begegnet man ausgesprochen nachsichtig. Weil man gegen sie kaum etwas ausrichten kann und weil sie eine große Lobby haben.

Die hat der profane Dieselfahrer jedoch nicht. Auch ich gehöre zu ihnen. Ich habe mein Dieselfahrzeug vor vier Jahren in gutem Glauben gekauft: Ein Diesel ist prima für die Umwelt, und er verbraucht wenig Kraftstoff. So wurde es uns von der Politik und der Industrie jahrelang suggeriert. Auch die Umweltverbände schienen dieser Auffassung zu sein. Zumindest erinnere ich mich an keine publikumswirksamen Aktionen, dass dies alles Lug und Trug sei.

Meine grünen Freunde fuhren alle Diesel. Und nun?

Soll ich mein fast neues Auto verschrotten lassen? Tausende sind auf ihren Diesel angewiesen oder mögen ihr Auto (so wie ich), und nicht alle haben die Kohle, trotz Prämien und Rabatten, sich ein neues Fahrzeug zu kaufen. Was für eine Situation! Und jetzt soll der ganze Schlamassel am letzten Glied in der Kette der Ereignisse (also an uns) hängenbleiben? Fahrverbote in der gesamten Kölner Umweltzone? Geht's noch?! Das wäre ein brutaler Eingriff in die Verkehrsstruktur der gesamten Stadt. Die Politik muss schleunigst Maßnahmen ergreifen, damit die Dieselbesitzer weiter ihre Fahrzeuge benutzen können, ohne dass dadurch die Grenzwerte in der Stadt weiter überschritten werden. Geht nicht, gibt's nicht! Darf es nicht geben! Liebe Frau Reker, liebe Frau Walsken, lassen Sie sich etwas einfallen!

Wie wäre es zum Beispiel mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung in der gesamten Innenstadt von 30 km/h und auf den Ausfahrtstraßen von 50 km/h? Oder eine ordentliche Grüne-Welle-Programmierung? Das allein würde schon sehr viel bringen und wäre schnell zu realisieren. Aber eigentlich ist es nicht meine Aufgabe, mir Ihren Kopf zu zerbrechen. Im Übrigen ist dieses Desaster nicht nur ein verkehrstechnisches Problem. Es ist ein durch und durch politisches Problem. So viele Menschen fühlen sich verschaukelt, hintergangen, ja betrogen, sowohl von der Industrie, aber eben auch und genauso von der Politik. Seit Jahren wussten alle maßgeblichen Politiker Bescheid, dass in Sachen Diesel getrickst und geschummelt wurde, aber man hat geschwiegen und den Betrug schlichtweg geduldet.

Die Politik hat die Bürger regelrecht ins Messer laufen lassen

Und nun soll der Bürger die Zeche dafür zahlen. Wundern Sie sich da noch über Politikverdrossenheit, über Misstrauen gegenüber der etablierten Politik? Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie viele Sympathisanten die AfD allein durch diesen Skandal schon gewonnen hat und noch weiter gewinnen wird, ohne dass sie irgendetwas dafür zu tun bräuchte oder selbst etwas zur Lösung beizutragen hätte. Es geht nicht nur um Mobilität auf unseren Straßen, es geht auch um Vertrauen. Ein sehr hohes Gut in der Demokratie. Handeln Sie! Es ist eine Minute vor zwölf.

Dieser Text erschien zuerst beim „Kölner Stadt-Anzeiger“