Frauenfußball-KolumneVon wegen nur ein freundlicher Ersatz

Alexandra Popp feiert mit Fans und Megafon.

Alexandra Popp vom VfL Wolfsburg schnappt sich am 23. Oktober 2022 nach dem Sieg über den FC Bayern ein Megafon.

Der Frauenfußball setzt seinen Höhenflug nach dem EM-Hype fort. Es kommen immer mehr Zuschauerinnen und Zuschauer in die Stadien. Und er profitiert von Fehlern bei den Männern, doch der Frauenfußball ist kein Lückenfüller.

von Annika Becker  (abe)

Die Bundesliga der Frauen hat schon nach dem 7. Spieltag die Publikumszahlen der Vorsaison übertroffen. Laut einer durch den DFB in Auftrag gegebenen Studie könnte auch die Zukunft erfolgreich sein.

Der Fußball der Frauen ist schon längst mehr als nur ein freundlicher Ersatz für den in Verruf geratenen Fußball der Männer – höchste Zeit, dieses oft bemühte Argument einzumotten.

Immer mehr Fans beim Frauenfußball – Aufschwung befeuert durch Katar-WM?

Während der 22 Spieltage der vergangenen Saison 2021/2022 kamen insgesamt 108.483 Zuschauende zu den Partien. In dieser Saison sind es nach nur sieben Spieltagen bereits 119.286 Menschen, die die Bundesliga der Frauen im Stadion angeschaut haben. Das liegt einerseits an Partien, die in die großen Arenen verlegt wurden, wie der Saisonauftakt zwischen Frankfurt und Bayern vor 23.200 Zuschauenden oder dem Aufeinandertreffen zwischen Wolfsburg und den Bayern vor 21.287 Leuten.

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Wie bereits vor ein paar Wochen in dieser Kolumne festgestellt, ist aber auch abseits der Highlight-Spiele der Publikumsschnitt gestiegen. Fast jede Woche gab es in den letzten Monaten einen neuen Vereinsrekord bei den Publikumszahlen: Über 7.100 bei der TSG Hoffenheim, 2.700 beim SV Werder Bremen, 6.273 beim SC Freiburg.

Der Hype im Anschluss an die EM ist also sehr real und wird sich in den kommenden Wochen weiter fortsetzen. Denn es folgen weitere große Spiele, zum Beispiel im Weserstadion. Dort empfangen die Bremerinnen Ende November den SC Freiburg und auch die Wolfsburgerinnen ziehen Anfang Dezember noch einmal in die Arena um. Der 1. FC Köln peilt außerdem einen neuen Rekord seiner Frauen-Auswahl an, wenn Ende November der VfL Wolfsburg in der Domstadt gastiert.

Besonders einfach möglich ist das in diesem Winter durch die WM der Männer in Katar, Deutschlands Stadien der oberen Ligen wären ansonsten in der Zeit ungenutzt. Für die Bundesliga der Frauen ist das erstmal ein praktischer Zufall. Allerdings ist die Situation auch symptomatisch dafür, wie über den Fußball der Frauen gedacht und gesprochen wird: Als eine Art Lückenfüller und freundlichem Ersatz für den kaputten Fußball der Männer.

Jetzt, da der Teil des Fußballsports, der strukturell kaputt ist, sportlich immer unausgeglichener wird, von Korruptionsskandalen durchgeschüttelt ist, die Bescheidenheit während der Pandemie von den Fans, aber weniger von den Vereinen selbst gelebt wurde und die skandalumwobenen Weltmeisterschaften diesen Winter einen neuen Tiefpunkt erreichen; jetzt darf der Fußball der Frauen sich über neue Chancen freuen. Darf jetzt der freundliche Ersatz sein, für die Menschen, die die WM der Männer boykottieren möchten. Also zumindest, falls die Frauen nicht bei der Aufzählung aller möglichen Regionalligen trotzdem noch vergessen werden.

Frauenfußball in Deutschland: „Ihr wart die ganze Zeit nicht gut genug“

Diese Argumentationslinie, dass der Fußball der Frauen von den Fehlern des Fußballs der Männer profitiert und von Menschen, die sich von diesem abwenden, mag im Einzelfall sogar stimmen. Sie findet sich aber leider bei zu vielen Menschen, die dem Sport eigentlich nahestehen. Denn im Kern ist das ein sexistischer Schluss: „Ihr wart die ganze Zeit nicht gut genug, na ja, aber die anderen sind zu unangenehm geworden, jetzt dürft ihr versuchen uns zu unterhalten.“


Annika Becker ist freie Autorin bei EXPRESS.de und kümmert sich in ihren Kolumnen um das Thema Frauenfußball. Sie ist Mitglied von FRÜF - Frauen reden über Fußball.


Eng verwandt damit ist übrigens der Mythos, es gäbe im Fußball der Frauen keine Schwalben, weil der Sport ja noch so „unschuldig“ und „rein“ ist. Da kann so manche Spielerin hinter verschlossener Tür doch nur drüber lachen!

Dabei hat der Sport es überhaupt nicht nötig, sich über die Fehler der männlichen Kollegen zu definieren. Das war bei der EM eindrucksvoll zu sehen, zeigt sich aber auch Woche für Woche in der Bundesliga. Da wird leidenschaftlich gegen den Abstieg angegrätscht, Torhüterinnen retten mit ihren unfassbaren Reflexen ihren Teams die Punkte und feine Technik gibt es längst nicht mehr nur bei den großen Klubs zu bestaunen. Höchste Zeit also, die eigenen Stärken in den Vordergrund zu rücken, wenn es um Erklärungen für das steigende Interesse geht. (abe)