Taktik, Personal und Form-KriseDarum ist Thomas Tuchel schuld am Bayern-Debakel in Leverkusen

Trainer Thomas Tuchel schaut ratlos auf das Spielfeld.

Trainer Thomas Tuchel schaut ratlos aus der Wäsche. Das Foto entstand am 10. Februar 2024. 

Der FC Bayern bleibt im Bundesliga-Topspiel bei Bayer Leverkusen chancenlos. Das bittere 0:3 hat Trainer Thomas Tuchel zu verantworten.

von Denis Canalp (can)

Auch wenn sich Bayern-Coach Thomas Tuchel nach der desaströsen 0:3-Niederlage im Bundesliga-Spitzenspiel beim designierten neuen deutschen Meister Bayer Leverkusen kämpferisch zeigte, glauben nach dieser Lehrstunde nur noch die kühnsten Optimisten an den zwölften Meister-Titel in Folge. 

Und dafür ist Tuchel selbst verantwortlich. Die hanebüchene Aufstellung in Leverkusen entschied das Topspiel eigentlich schon vor dem Anpfiff. Was auch immer Tuchels genauer Plan für seine Bayern am Samstagabend (10. Februar) in der BayArena war, er ging nicht ansatzweise auf. Im Gegenteil, er scheiterte krachend.

FC Bayern mit ganz schwacher Offensiv-Vorstellung

In der Abwehr vertraute Tuchel erstmals auf eine Fünferkette. Damit wollte er auf Leverkusens Offensivstärke und Geschwindigkeit reagieren. Der erst auf dem letzten Drücker im Winter-Transferfenster verpflichtete Sacha Boey, seines Zeichens Rechtsverteidiger, verteidigte links, der auf beiden Seiten einsetzbare Noussair Mazraoui spielte rechts. Eine merkwürdige Entscheidung, die Tuchel damit begründete, „dass wir Boeys Schnelligkeit gegen Tella und Frimpong brauchten.“

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In der Theorie klingt das nett, in der Realität irrte der junge Franzose auf ungewohnter Position überfordert über den Platz. Die Dreierkette bildeten Dayot Upamecano, Minjae Kim und Eric Dier – der Niederländer Matthijs de Ligt blieb stattdessen außen vor. Eine mehr als diskutable Entscheidung. Während Mazraoui und Kim zuletzt beim Afrika-, bzw. Asiencup weilten, holten die Bayern Dier und Boey im Winter – eine eingespielte Abwehr sieht anders aus. Geradezu exemplarisch war das Chaos in der Hintermannschaft beim 0:1, das ausgerechnet Bayern-Leihgabe Josip Stanisic erzielte.

War die Abwehr also quasi ein Hühnerhaufen mit Ansage, überraschte die katastrophale Leistung der bayerischen Offensive dann doch zunächst. Allerdings hing auch diese maßgeblich mit dem nicht passenden Matchplan und dem nicht passenden Personal zusammen.

Ganz anders Leverkusen: Dort griffen die personellen Maßnahmen von Xabi Alonso, der überraschend Jeremie Frimpong, Jonas Hofmann und Patrik Schick auf die Bank setzte und die Bayern so überraschte. 

Im Bayern-Mittelfeld erhielt Aleksandar Pavlovic an der Seite des unsichtbaren Leon Goretzka den Vorzug vor dem angeschlagenen Joshua Kimmich. Ein Fehler, wie das 0:2 durch Alejandro Grimaldo bewies. Der Bayern-Youngster ließ den Spanier einfach laufen. Nicht nur diese Szene zeigte eindrucksvoll, dass der talentierte Pavlovic noch nicht bereit für einen Gegner dieser Güteklasse ist. Und das Spiel war ein Beweis dafür, dass der von Tuchel schon im Sommer vehement geforderte Sechser den Bayern sehr gut zu Gesicht gestanden hätte. Zumindest das kann man Tuchel nicht vorwerfen, diesen Schuh muss sich der Vorstand machen lassen.

FC Bayern: Fußballerischer Offenbarungseid

Die Abläufe stimmten in Leverkusen von vorne bis hinten nicht – und Tuchel hatte keine Antworten, auch die zu späten Wechsel brachten keine Besserung. Die Besetzung der Räume war unterirdisch, die Bayern hatten über 90 Minuten keinen Plan, Leverkusen auch nur ansatzweise beizukommen. Sowohl in der Offensive als auch in der Defensive waren die Bayern fast immer in Unterzahl, verloren alle wichtigen 1:1-Duelle auf dem Platz.

Harry Kane hing vorne komplett in der Luft, Leroy Sané und Jamal Musiala blieben sehr blass, wirkten beinahe lustlos. Auch, weil ihnen die dringend benötigte Kreativität aus dem Mittelfeld fehlte. Die Bayern hatten in Leverkusen nicht eine echte Torchance, konnten mit dem Ballbesitz nahezu nichts anfangen, schoben sich mutlos den Ball hin und her, hatten keine Idee gegen Bayers gestaffelte Defensive.

Und das ist Tuchel anzukreiden, auch wenn es am Ende natürlich die Spieler auf dem Platz regeln müssen. Tuchel lag mit seiner Taktik daneben, daran ändert auch die heftige Kritik von Thomas Müller, der die Mannschaft explizit in die Pflicht nahm, nichts. 

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Ein solcher fußballerischer Offenbarungseid, und dann noch in so einem Spiel: Das ist ganz und gar nicht bayern-like. Torwart Manuel Neuer brachte es nach dem Spiel auf den Punkt: „Wir haben im wichtigsten Spiel der Saison die schlechteste Leistung gezeigt.“ Dem ist eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen.

Fünf Punkte liegen die Bayern und Tuchel in der Liga jetzt schon hinter Bayer. Kaum vorstellbar, dass die unglaublich starke Werkself diesen Vorsprung noch verspielt. Für die Bayern sieht es indes mau aus. Der Bundesliga-Titel ist trotz starker 50 Punkte nach 21 Spielen mutmaßlich weg, im DFB-Pokal scheiterte der Rekordmeister bereits an Saarbrücken – bleibt noch die Champions League als letzte Titel-Hoffnung. Doch an einen Sieg in der Königsklasse glaubt wahrscheinlich nicht mal mehr Tuchel. Den Bayern droht eine komplett titellose Saison – das könnte im Sommer durchaus Folgen für den längst nicht mehr unumstrittenen Trainer haben.