Fan-Rückkehr-DurcheinanderRettig: Liga betreibt Wettbewerbsverzerrung

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Andreas Rettig (hier bei einem Auftritt im ZDF-Sportstudio) hat eine klare Meinung zur Fan-Rückkehr in die Stadien.

Köln – Ab Freitag wird die erste Runde im DFB-Pokal ausgetragen. Diese wird anders ausfallen als alle anderen bisher gesehenen. Zahlreiche Amateurvereine mussten schweren Herzens ihr Heimrecht abgeben, weil sie in ihren Stadien die hohen Hygiene-Anforderungen nicht umsetzen können.

Titelverteidiger Bayern München spielt noch gar nicht und holt seine Partie im Oktober nach. Der größte Unterschied zu früheren Pokal-Runden wird jedoch auf den Tribünen zu sehen sein. Bei Spielen wie dem von 1860 München gegen Eintracht Frankfurt wird kein einziger Zuschauer dabei sein. Der 1. FC Köln darf gegen Altglienicke 300 Besucher reinlassen. Dynamo Dresden hingegen rechnet mit 10.000 Fans gegen den Hamburger SV. Ein absoluter Flickenteppich.

EXPRESS sprach mit Fußball-Funktionär Andreas Rettig (57). Der Ex-Manager und frühere Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL) kritisiert die unterschiedlichen Regelungen und spricht von „Wettbewerbsverzerrung“.

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Was stört Sie so an den unterschiedlichen Regelungen in Sachen Zuschauer-Rückkehr?

Ich halte den eingeschlagenen Weg, trotz Sympathie für den Föderalismus mit dezentralen individuellen Lösungen, hinsichtlich der im scharfen Wettbewerb miteinander stehenden Klubs für falsch. Die Vereine befinden sich in einem auf Verdrängung ausgerichteten Wettstreit. Da wird auf allen Ebenen mit harten Bandagen um jeden Vorteil gerungen. Und die Zuschauer sind nun mal ein wichtiger Faktor.

Ist das nicht nur romantische Träumerei?

Die abgelaufene Saison liefert statistische Belege für den Wettbewerbsvorteil von Fans in den Stadien. Im Schnitt haben in den vergangenen Jahren 45 Prozent der Heimmannschaften ihre Spiele gewonnen. Nach Corona ist diese Quote bei den Geisterspielen auf 32 Prozent gesunken. Daher kann man durchaus von Wettbewerbsverzerrung sprechen, wenn in der einen Region das Stadion wieder nennenswert gefüllt werden kann, in der anderen nicht.

Andreas Rettig: Zuschauerzahlen nicht an lokalen Infektionszahlen orientieren

Wie meinen Sie das?

Die sportlichen Chancen dürfen nicht davon abhängig sein, ob ein Verein in der Nähe eines fleischproduzierenden Betriebes liegt, wo deshalb die Infektionszahlen höher sind, oder nicht. Man stelle sich am Ende der Saison ein Relegations-Hinspiel als Geisterspiel in NRW vor und das Rückspiel in Sachsen vor ausverkauftem Haus. Der Aufschrei wäre zurecht groß.

Was wäre die beste Lösung?

Die DFL hat bisher die Chance verpasst, klare Kante zu zeigen. Als spielleitende und gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffende Dachorganisation, darf sie sich nicht hinter den lokalen Behörden, die völlig zu Recht die alleinige Entscheidungskompetenz auf Basis des regionalen Infektionsgeschehens haben, verstecken. Man hätte auch bis zum 31. Oktober abwarten können, um das Ergebnis der von den Ministerpräsidenten eingesetzten Arbeitsgruppe nach einer bundeseinheitlichen Lösung zu kennen.

Und bis dahin?

Da wäre eine Selbstbeschränkung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner die beste Lösung gewesen. Also in allen Stadien hätten so lange nur so viele Zuschauer wie im am stärksten reglementierten Bundesland Zutritt gehabt. Das wäre als Beitrag zur Wettbewerbshygiene und auch als gutes Signal an die Politik zu verstehen gewesen.

Andreas Rettig: Leipzig setzt Politik subtil unter Druck

Aber glauben Sie, dass RB Leipzig zum Ligastart freiwillig auf die Chance verzichtet, 8500 Zuschauer ins Stadion zu lassen?

Rasen Ball Leipzig hat eine gute Gelegenheit verstreichen lassen, ein besonderes Bekenntnis zur Solidargemeinschaft zu zeigen, indem sie auf die behördlich genehmigte Zuschauerunterstützung im Stadion freiwillig verzichten. So wird vielmehr die Politik subtil unter Druck gesetzt, weil Fragen auftauchen wie „Warum geht das in Sachsen und nicht in NRW?“