Die Digitalisierung ist weiter auf dem Vormarsch. Dass dabei einige auf der Strecke bleiben, scheint oft nur ein Randgedanke zu sein. In der ZDF-Reportage „37°: Digital abgehängt“ erzählen drei Betroffene, wie die digitale Welt sie im Stich lässt.
Wegen Smartphones86-Jährige klagt über „Ausgeschlossensein“

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„Während die jungen Leute den Sprint machen, mache ich Alters-Jogging hinterher“, erklärt Sabine (Zweite von links. (Bild: ZDF/Jens Gyarmaty)
Sabine (57) steht verzweifelt mit ihrem Mann Dieter vor einer Packstation in Berlin. Sie will nur ein Paket abholen, doch App, Handy, Scanner - all das verwirrt die Krankenschwester. „Die digitale Welt in diesem Smartphone ist so komplex geworden“, seufzt sie. Im Alltag stößt die 57-Jährige deshalb immer wieder auf Hürden. Damit ist sie nicht alleine. Die ZDF-Reportage „37°: Digital abgehängt“ zeigt, wie Menschen von der Digitalisierung im Stich gelassen werden.
In Deutschland leben sieben Millionen Menschen im Alter über 60 „offline“, über die Hälfte besitzt kein Smartphone. Nur ein Drittel in der Altersgruppe über 80 nutzt überhaupt das Internet. Verschiedene Bürgerinitiativen fordern daher, das Recht auf ein analoges Leben im Grundgesetz zu verankern.
„Es ist wie eine andere Sprache lernen“
Eva (86) lebt alleine an der Bergstraße in Hessen. Ohne ihr Auto wäre sie auf Smartphone und Internet angewiesen, um Lebensmittel einzukaufen oder Medikamente zu bestellen. Doch der Umgang mit einem Handy fällt ihr aufgrund ihres Alters schwer. „Das ist schon ein Gefühl des Ausgeschlossenseins. Die anderen tippen da einfach drauf und haben das, was sie wollen, und ich krieg's einfach nicht“, sagt die Rentnerin frustriert.

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Sabine (57) ist auf die Hilfe anderer angewiesen, um sich in der digitalen Welt zurechtzufinden. (Bild: ZDF/Jens Gyarmaty)
Trotzdem will sie nicht abgehängt werden und legt sich ein Senioren-Handy zu. Diese sollen einfacher zu bedienen sein, doch die 86-Jährige muss feststellen, dass es auch damit manchmal schwierig ist. „Du schlägst dich wacker und nimmst es mit Humor“, lobt ihre Enkelin. Die Studentin hat Verständnis für ihre Großmutter: „Ich habe das Gefühl, dass es teilweise so ein intuitives Verständnis für Technik-Logik nicht gibt. Es ist wie eine andere Sprache lernen.“
Digital abgehängt? „Wir wollen ja nicht irgendwo eingesperrt leben“
Sich nicht in der digitalen Welt zurechtfinden zu können, sei in der Gesellschaft „ein Versagen“, glaubt Sabine. Dabei sei sie weder faul noch sei sie nicht bereit, etwas Neues zu lernen. „Aber ich brauche mehr Zeit, um mir das anzueignen.“ Sie schäme sich dafür, dass sie sich „mit etwas nicht auskenne, was doch andere so locker-lässig machen“, gesteht die 57-Jährige in der ZDF-Reportage.

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In sogenannten Smartphone- oder Digital-Cafés bekommen ältere Leute Hilfe bei allem rund um Internet und Handy. (Bild: ZDF/Jens Gyarmaty)
Hilfe findet sie zum Beispiel im Digitalcafé der Zentral- und Landesbibliothek Berlin. Hier bekommt sie Antworten auf alle Fragen zu Internet und Smartphone. „Mit den jungen Menschen hier zusammen zu sein, ist einfach eine Bereicherung“, findet die Krankenschwester und lacht: „Während die jungen Leute den Sprint machen, mache ich Alters-Jogging hinterher.“
Zusammen mit anderen Seniorinnen und Senioren nutzt Eva ein ähnliches Angebot in ihrer Nähe. Die Angst, abgehängt zu werden, ist präsent: „Wir wollen ja nicht irgendwo eingesperrt leben - aber da kommt man hin“, fürchtet eine der Teilnehmerinnen.
Jurist kritisiert „mangelnde Bewusstheit“ für Barrierefreiheit
Im Gegensatz zu Sabine und Eva kennt sich Stephan (57) aus Hamburg mit der digitalen Welt gut aus. Der Jurist ist fast komplett blind und nutzt Handy, Internet und Apps, um sich im Alltag zurechtzufinden. Doch trotz gesetzlicher Pflicht sind noch längst nicht alle Webseiten und Anwendungen barrierefrei, was ihm immer wieder Probleme bereitet. „Ich fühle mich in vielen Situationen tatsächlich abgehängt“, sagt er. Einkaufen, Taxi fahren, einen Arzttermin vereinbaren - all diese Dinge sind für Stephan mit teilweise unüberwindbaren Hürden verbunden, sodass er sie nicht alleine machen kann. Das sei „furchtbar anstrengend“.
Dabei würde es besser und einfacher gehen, davon ist der 57-Jährige überzeugt: „Man könnte eine Webseite oder auch andere Angebote so gestalten, dass die voll zugänglich wären. So schwierig ist es dann auch nicht. Meist ist es mangelnde Bewusstheit darüber und einfach Unkenntniss.“
„37°: Digital abgehängt“ ist am Dienstag, 26. August, 22.15 Uhr, im ZDF und bereits jetzt in der Mediathek zu sehen. (tsch)