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Interview

„Klima der Gereiztheit“Was darf man heute nicht mehr sagen, Mitri Sirin?

Ein Mann in dunkelblauem Anzug mit hellblauer Krawatte steht vor einer schiefergrauen Wand

Mitri Sirin ist bei den Nachrichtensendungen des ZDF gesetzt. Aber er würde auch gern Sport moderieren, verrät er im Talk mit EXPRESS.

Moderator Mitri Sirin erklärt, ob unsere Meinungsfreiheit in Gefahr ist, wie er das frühe Aufstehen fürs „ZDF-Morgenmagazin“ schafft und was ihn mit Dunja Hayali verbindet.

Am Tag der Deutschen Einheit (3. Oktober) werden eigentlich Freiheit und Demokratie gefeiert – aber ist den Deutschen wirklich noch nach Feiern zumute? Wie steht es mittlerweile um unsere Meinungsfreiheit?

ZDF-Moderator Mitri Sirin sucht in der Doku „Am Puls“ (3. Oktober, 19.20 Uhr im ZDF oder im Stream) nach Antworten, besuchte ostdeutsche Brennpunkte und Politiker. Warum ihm das Thema so am Herzen liegt, verrät er im großen EXPRESS-Talk. Und noch viel mehr ...

Mitri Sirin spricht übers Klima der Gereiztheit

In Ihrer Sendung „Am Puls“ geht es um Meinungsfreiheit. 40 Prozent der Deutschen sagen laut Umfrage: „Man darf ja nichts sagen“. Ist da was dran?

Mitri Sirin: Das war im Grunde der Antrieb, warum wir dieses Thema aufgegriffen haben. Es gibt doch viele Menschen, die glauben, sie dürfen nicht mehr das sagen, was sie denken. Wir waren beispielsweise in Sachsen unterwegs, in Döbeln, da habe ich das sehr oft gehört: Sie würden dann sofort die Nazi-Keule um die Ohren gehauen bekommen. Ich glaube aber, dass das eher etwas Gefühltes ist, weil viele tatsächlich Kritik mit Einschränkungen verwechseln. Und da ist auch das Gefühl, dass die Politik ihre Probleme nicht löst. Das hat vorrangig, zumindest in dem Raum dort, mit dem Thema Migration zu tun.

Würden Sie – wie diese Menschen – sagen, dass Politiker und Politikerinnen zu schnell in die rechte Ecke geschoben werden, wenn sie eine verschärfte Migrationspolitik fordern?

Mitri Sirin: Nein!

Klare Aussage. Glauben Sie, dass es in Ihrem Bekanntenkreis heimliche AfD-Wähler gibt, die das niemals zugeben würden, um im Freundeskreis nicht „gedisst“ zu werden?

Mitri Sirin: Das ist eine interessante Frage, über die ich mir tatsächlich auch schon mal Gedanken gemacht habe. Ich habe eher das Gefühl, dass es nicht so ist. Aber ich schließe so etwas absolut nicht aus, wenn wir beispielsweise über das Thema Migration diskutieren. Da habe ich sicherlich auch in meinem Bekanntenkreis Menschen, die denken, es läuft etwas fürchterlich schief. Und in der Tat ist es ja so, dass viele Kommunen, viele Landkreise eine echte Überforderung erfahren.

Eine Frau mit kurzen Haaren im Abendkleid hält lachend ein Handy mit einem Selfie von sich und dem Mann hoch, der lachend neben ihr steht.

Seit Jahren sind sie beste Freunde: Mitri Sirin und Dunja Hayali, beide Moderatoren des „Morgenmagazins“ im ZDF. Hier freuen sich die beiden bei der Goldenen Kamera 2018.

Sie selbst haben einen Migrationshintergrund. Macht Ihnen die aktuelle Stimmung deshalb besonders Angst?

Mitri Sirin: Angst? Nein, das würde ich nicht sagen. Aber schon Sorge, weil man einfach merkt, was da los ist. Es ist so viel Verunsicherung da. Und dazu dieses gesellschaftliche Klima der Gereiztheit, weil so viele Dinge nicht funktionieren, weil es so viele Kriege und Krisen gibt. Dies verstärkt den Eindruck, dass viele Dinge nicht mehr zu laufen scheinen.

Haben Sie in den 70er Jahren Fremdenhass zu spüren bekommen?

Mitri Sirin: Ich habe früher auch Rassismus-Erfahrungen gemacht, aber das hat mein Leben nicht so hart geprägt. Doch ich wusste schon, ich muss mich ein bisschen mehr anstrengen als vielleicht meine deutschen Mitschülerinnen und Mitschüler. Das habe ich in der Schule nicht geschafft, aber später trotzdem noch die Kurve gekriegt. Wie Deutschland tickt und wie überhaupt alles tickt, das gesamte Sozialgefüge, das habe ich tatsächlich im Fußballverein gelernt, viele Social Skills und Zusammenhalt, Fairness, vor allen Dingen das Einhalten von Regeln, und wie man reagiert, wenn es mal nicht so gut läuft.

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Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zitiert Ihnen gegenüber in der Sendung „Am Puls“ üble Kommentare über ihre eigene Person, hat mittlerweile rund 2000 Menschen angezeigt. Paragraf 188 macht es Politikern da leichter als Normalos, oder?

Mitri Sirin: Sie hat einen Brief mit einer wirklich üblen Beleidigung vorgelesen – natürlich will man sich dann juristisch zur Wehr setzen. Doch bei fast 2000 Klagen gibt es auch viele Fälle, die im Graubereich liegen. Da können möglicherweise auch Abkühlungseffekte entstehen und Bürger sagen: „Ich muss mich zurückhalten, weil Politiker mich deswegen verklagen können, die aber nicht.“ Natürlich muss man die Demokratie und ihre Repräsentanten schützen, doch kann bei Bürgern das Gefühl der Ungleichbehandlung entstehen, dass die da oben durch so einen Paragrafen geschützt werden, man selbst aber nicht.

Haben auch Sie schon mal den Hass im Netz zu spüren bekommen?

Mitri Sirin: Ich bin sehr zurückhaltend, was soziale Medien angeht. Ich finde, dass man dort die Sachen nicht so richtig erklären und ausfechten kann. Ich habe mich einmal dezidiert zu den Correctiv-Recherchen und der sogenannten Remigrationsdebatte geäußert, weil mich das Thema sehr emotionalisiert hat. Und dann konnte ich vier, fünf Tage wirklich Grenzüberschreitendes unter meinem Post lesen. Was habe ich davon – außer Stress und schlechte Laune?

Ganz anderes Thema: In den sozialen Medien wird immer spekuliert, ob Sie und Ihre „Morgenmagazin“-Kollegin Dunja Hayali ein Paar sind.

Mitri Sirin: Was das angeht, lachen wir uns ständig schlapp. Da muss man nur einmal kurz eine Frage bei Google stellen, dann erfährt man: Ich bin verheiratet, habe drei Kinder, bin glücklich. Nein, uns verbindet einfach eine intensive Freundschaft, weil wir so viele Parallelen haben. Unsere Eltern stammen beide aus einem großen muslimischen Raum und waren da in der Minderheit: Wir sind beide aus christlichen Familien. Wir haben beide gleiche Hobbys und gleiche Erfahrungen in der beruflichen Karriere gemacht. Das hat uns eng zusammengeschweißt.

Dunja Hayali hat „Das aktuelle Sportstudio“ moderiert. Wäre das auch etwas für einen Sportfan wie Sie?

Mitri Sirin: Das kann man gar nicht ablehnen – natürlich würde ich Ja sagen. Es war immer mein großer Traum, Sportmoderator zu werden. Aber ich bin jetzt über 50 Jahre alt – im Sport werden doch eher Leute gesucht, die zwischen 20 und 30 Jahren alt sind.

Und wie sieht es mit einer eigenen Talkshow aus?

Mitri Sirin: Es gibt genug Talkshows, da muss nicht noch ein Nachrichtenmensch stehen. Ich mache ganz gerne Talk im „ZDF-Morgenmagazin“, das reicht. Obwohl ... (lacht) ... ich könnte mir gut eine Talkshow mit Dunja vorstellen, das wäre mal etwas anderes als alles, was es bislang gegeben hat.

Ein Mann und eine Frau, beide sommerlich gekleidet, halten sich im Arm und lachen in die Kamera

Ehefrau Friederike lernte Mitri Sirin im „Morgenmagazin“ kennen. Das Bild zeigt die beiden 2021 in Berlin.

Sie sind leidenschaftlicher Marathonläufer. Machen Sie das, um Ihre Figur zu halten oder brauchen Sie die Herausforderung?

Mitri Sirin: Das hat eher nichts mit meiner Figur zu tun. Ich habe gefühlt mehr Stress als früher, und wenn ich laufe, wie am vergangenen Wochenende beim Berlin-Marathon, dann denke ich an gar nichts, es ist total entspannend, hat etwas sehr Meditatives. Das ist die Hauptmotivation, die ich darin sehe. Fit zu sein hilft aber auch, um das „Morgenmagazin“ zu moderieren. Ich werde ja auch nicht jünger – und nach einer „Morgenmagazin“-Woche braucht man eigentlich ein paar Tage Urlaub.

Um wie viel Uhr müssen Sie denn aufstehen?

Mitri Sirin: So zwischen drei und vier Uhr sollte man schon einigermaßen hellwach sein, um sich auf die Morgenmagazin-Moderation vorbereiten zu können.

Upps. Haben Sie ein Geheimrezept, um so extrem früh auf die Beine zu kommen?

Mitri Sirin: Ich habe kein Spezialrezept und nach all den Jahren, die ich das „Morgenmagazin“ moderiere, auch immer noch keine perfekte Einschlafmethode gefunden. Da hilft wirklich nur viel Sport. Sport macht mich müde, so dass ich wirklich zeitig ins Bett komme, und zugleich macht er mich morgens fitter. Und je älter man wird, desto mehr achtet man tatsächlich auch auf die Ernährung. So viel Kaffee wie früher trinke ich heute nicht mehr, jetzt kommt der Tee und noch mehr Wasser hinzu.

Ihre Leidenschaft gilt gutem Essen. Was dürfte man Ihnen denn als Henkersmahlzeit servieren?

Mitri Sirin: Da müsste meine Mutter mir Fasulya, eine Bohnensuppe, servieren. Die liebe ich – und will sie auch jedes Mal haben, wenn ich nach Hause komme, ins Münsterland. Oder Çiğ Köfte, das ist Tatar mit Weizengrütze vermischt und einer Gewürzmischung, die man nicht nachmachen kann, weil nur meine Mutter sie so hinkriegt. Das wird serviert mit einem Olivenöl-Zwiebel-Dip und gibt es immer bei großen Anlässen – damit macht man mich wirklich glücklich.

Mitri Sirin: Nachrichtenmann aus dem Münsterland

Mitri Sirin ist türkisch-syrischer Abstammung, wurde am 13. März 1971 in Rheine geboren. Seine Eltern waren Ende der 60er-Jahre als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Sirin begann seine Radio- und TV-Laufbahn 1991 beim Berliner Sender Kiss FM, hatte danach mehrere Jobs, u.a. bei Radio-RTL, MBB Jump und RBB Aktuell. Und er präsentierte die WDR-„Lokalzeit“ aus Duisburg.

Seit 2009 ist Sirin beim ZDF, moderiert dort das „Morgenmagazin“. Im TV-Studio lernte er auch seine Frau Friederike kennen, die damals Redakteurin der Sendung war. Die beiden haben drei Kinder und leben in Berlin. Seit 2021 ist er zudem Moderator der „ZDF heute“ Nachrichten um 19 Uhr und gehört zu den bekannten Gesichtern der Dokumentations-Reihe „Am Puls“, in der Themen nachgegangen wird, die Deutsche bewegen.