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Interview

„Konnte nicht lesen“Philipp Hochmair über harte Jugend und Nazi-Rollen

Ein halbnackter Mann mit verspiegelter Brille hält eine tätowierte Frau mit um seine Taille geschlungenen Beinen fest. Im Hintergrund ein Schlagzeug.

Heiß ging es auf der Bühne bei den Salzkammergut-Festwochen in Gmunden beim „Jedermann Reloaded“ zu. Philipp Hochmair und die „Buhlschaft“ Elena Schwab hautnah bei einer Aufführung im August 2025. In Salzburg spielte Hochmair in dieser Saison ebenfalls den (klassischen) „Jedermann“ – mit Deleila Piasko als „Buhlschaft“.

Schauspieler Philipp Hochmair hat mit uns über seine heiße „Jedermann“-Performance in Salzburg, Nazi-Rollen und seine Legasthenie gesprochen.

Der exzentrische Philipp Hochmair (51)! Gerade wurde er wieder für seine Theater-Rolle als „Jedermann“ in Salzburg gefeiert. Er ist aktuell (ZDF-Mediathek) in der neuen Folge seines ZDF-Thrillers „Der Geier“ zu erleben, im Oktober wieder der besondere Ermittler in der ARD-Serie „Blind ermittelt“ und der böse Nazi in der französischen Streaming-Serie „Deep“.

Dazu hat er mit seiner Biografie „Hochmair, wo bist du?“ (Brandstätter Verlag, 26 Euro) einen besonderen Bestseller geschaffen. Im großen EXPRESS-Interview spricht er über sein Leben, seine Liebe – und seine Leseschwäche.

Philipp Hochmair: Der Mann für die exzentrischen Rollen

Im brütend heißen Salzburg den „Jedermann“ gerockt und nach jeder Vorstellung gefeiert worden wie ein Fußballstar – jetzt, wenige Wochen nach der letzten Vorstellung, sind Sie wieder im normalen Geschäft. Wie fühlt sich das an?

Philipp Hochmair: Ich bin froh, dass wir alles gut überstanden haben. Jedermann war eine große physische Herausforderung, dazu war es im August noch sehr heiß. Doch jetzt ist alles geschafft, und die Freude ist groß. Ein tolles Gefühl.

Kaum ist das vorbei, erleben wir im TV so was wie die Hochmair-Festspiele: Im ZDF landet bald „Der Geier“, am 9. und 16. Oktober zeigt die ARD neue Folgen von „Blind ermittelt“, der kleine Sender One wiederholt die „Vorstadtweiber“. Und in der ZDF-Mediathek ist „Die Wannseekonferenz“ abrufbar, in der Sie SS-Scherge Rainhard Heydrich spielen. Eine gute Auswahl?

Philipp Hochmair: Ja, klar. Unglaublich, dass man das jetzt alles gleichzeitig anschauen kann. Alle neuen Geschichten sind wirklich sehr toll geworden. Vor allem die vom Geier! Tolle Regie und dazu sind gleich zwei ARD-Kommissare in einer ZDF-Folge vereint: Mark Waschke aus dem Berliner „Tatort“ und Wotan Wilke Möhring aus dem Norddeutschland-„Tatort“. Das ist schon sehr spannend. Und das in Kombination mit zwei neuen Folgen der Wien-Krimi-Reihe „Blind ermittelt“ - eigentlich unglaublich.

An welchen Rollen hängen Sie besonders?

Philipp Hochmair: Ich gestehe es: Ich hänge an allen! Aber „Die Wannseekonferenz“ war sicher einer der wichtigsten Filme für mich. Es war eine unglaubliche Herausforderung, diese Kälte Heydrichs zuzulassen und jegliche Form von Moral auszulöschen.

Jetzt kann man Sie wieder als Nazi erleben – allerdings noch nicht in Deutschland. In der französischen Streaming-Serie „Deep“, die im Zweiten Weltkrieg spielt, sind Sie ein kaltblütiger SS-Mann. Was passiert da genau?

Philipp Hochmair: „Deep“ ist so was wie ein Nazi-Western, wie wir ihn von Tarantino kennen, eine Serie im Stil von Inglourious Basterds. Der Titel bezieht sich auf die Zeit in einem Super-U-Boot unter Wasser. Die Protagonisten, vier französische Soldaten eines Sonderkommandos im Zweiten Weltkrieg, sind mit mir als U-Boot Kommandanten in diversen Zeitschleifen verfangen.

Sieht so aus, als würden Sie vor der Kamera zum Fachmann für schlimme Nazis.

Philipp Hochmair: Ja, könnte man glauben. Ich habe in der Tat schon einige Rollen aus der Zeit gespielt. Das ist mit Sicherheit das finsterste Kapitel der Menschheitsgeschichte. Ein Kapitel, das noch längst nicht auserzählt ist.

Lassen Sie uns über „Der Geier“ sprechen, in dem Sie der Ex-Kommissar Lukas Geiger sind, der beim LKA München ausstieg und nun als erfolgreicher Musiker in Bad Gastein lebt. Worum geht's in der kommenden Folge?

Philipp Hochmair: Lukas wird wieder von seiner Vergangenheit eingeholt. Denn ausgerechnet Roland Büttner, einer der meistgesuchten Mörder der Mafia, möchte in den Zeugenschutz, weil er jetzt selbst auf der Todesliste der kalabrischen Mafia, der 'Ndrangetha, steht. Und weil Roland weiß, dass die Mafia einen Maulwurf im LKA hat, ist Geier der Einzige, dem er traut. Das ist schon ein spannendes Aufeinandertreffen …

Zwei Männer stehen in einer Restaurantküche und unterhalten sich

Spannende ZDF-Reihe „Geier“: Lukas Geier (Philipp Hochmair, rechts) wird erneut von seiner Vergangenheit eingeholt, als ausgerechnet einer der meistgesuchten Mörder der Mafia Roland Büttner („Tatort“-Ermittler Mark Waschke) in den Zeugenschutz möchte.

Was gefällt Ihnen generell am „Geier“?

Philipp Hochmair: Er ist einer, der immer ein anderes Leben führen wollte und aus der Norm fällt. Ein suchender, melancholischer Musiker, der in den Bergen von Gastein seinen Platz gefunden hat, und doch immer wieder in sein altes Leben als Polizist zurückgerissen wird. Diese Zerrissenheit, seine Verletzlichkeit und Ernsthaftigkeit, mag ich sehr.

Große Filme, die was mit Liebe, Liebesleid und Herzschmerz zu tun haben, sind bei Ihnen selten. Ist Liebhaber nichts für Sie?

Philipp Hochmair: Stimmt schon ... ich spiele meist zwielichtige Schlitzohren oder gefährliche Menschen. Aber keine Angst, es gibt auch ein paar schöne Liebesfilme, z. B. „Kater“ von Händl Klaus, oder „Kleine Eheverbrechen“ mit Emely Cox, oder auch den ZDF-Herzkino-Film „Ein Sommer im Allgäu“ mit Jennifer Ulrich.

Fehlt aber noch der ganz große Kinofilm …

Philipp Hochmair: Spielfilme sind nicht mehr so entscheidend. Kino ist leider nicht mehr das, was es mal war, es ist zu einer Art Special Interest geworden. Aber dafür habe ich wirklich das Gefühl, dass unser „Jedermann“ am Salzburger Domplatz die Kraft eines großen Spielfilms entfacht hat. Die Szenen gemeinsam mit der großartigen Deleila Piasko als Buhlschaft könnten durchaus aus einem großen Liebesfilm stammen.

Philipp Hochmair: „Ich hatte eine Art Theater-Sucht“

Was ist Ihnen wichtiger – Theater-Beifall oder TV-Quote?

Philipp Hochmair: Beides ist sehr beglückend. Aber der Beifall fürs Ensemble direkt nach der Aufführung ist unvergleichbar! Als Schauspieler will man den Dialog, ein klares Echo. Und das ist auf der Bühne am deutlichsten spürbar.

Große Serien im TV, große Theaterrollen – wovon träumen Sie noch?

Philipp Hochmair: Ich hatte nie konkrete Wünsche oder Träume. Es kam immer alles von außen auf mich zu. Jetzt, wo ich da irgendwie angekommen bin, möchte ich nur, dass ich das alles noch eine Zeitlang machen darf. Jetzt geht's darum, fit und wach zu bleiben, um das mit Freude und Dankbarkeit erleben zu dürfen.

Wo bleibt bei der Beschäftigung mit diesen vielen, großen Rollen die Beschäftigung mit dem Menschen Hochmair?

Philipp Hochmair: Gute Frage! Die wurde mir eines Tages auch von der Autorin Katharina von der Leyen gestellt. Daraus ist dann eine Biografie entstanden, die den passenden Titel trägt: „Hochmair, wo bist Du?“. Zuvor ist der Mensch Hochmair in meinem Leben kaum vorgekommen.

Was heißt das?

Philipp Hochmair: Ich hatte so etwas wie eine Theater-Sucht, eine Spiel-Sucht und dabei mich selbst fast vergessen. Erst durch diese Biografie habe ich innegehalten, um nach Innen zu schauen.

Ein offenbar blinder Mann mit dunkler Brille und Blindenstock trägt einen bordeauxroten Mantel und unterhält sich vor einer Geisterbahn auf einem Rummelplatz mit einem bärtigen Mann in Jeans und dunkler Jacke.

Unkonventionelles Ermittlerduo: „Blind ermittelt“ mit Philipp Hochmair (links) und Andreas Guenther.

Können Sie das bitte genauer erklären?

Philipp Hochmair: Ich habe fast 30 Jahre lang ununterbrochen gespielt, bin ständig gerannt, habe mir kaum Zeit zur Selbstreflexion genommen. Wenn ich einen Artikel über mich gelesen habe, habe ich mich gefragt, wer dieser Mann ist, der hier beschrieben wird. Seit Jahren funktioniere ich in der Theater- und Filmwelt, ohne Atem zu holen. Ich hab's gemacht, weil es mir unglaublich Spaß macht. Aber jetzt halte ich inne und denke drüber nach, warum ich immer unter Druck und wie auf der Flucht war.

Gibt es die Liebe in Ihrem Leben?

Philipp Hochmair: Ja – die gibt es.

Aus Ihrer Biografie erfahren wir auch, dass Sie Legastheniker sind, also Probleme mit dem Lesen haben. Wie sind Sie damit klargekommen?

Philipp Hochmair: Nur schwer. Das hat vor allem meine Volksschulzeit unbequem gemacht, ich war der Einzige in der Klasse, der nicht lesen konnte und wurde natürlich von den anderen verspottet. Aber jeder kann was! So habe ich irgendwann festgestellt, dass ich Texte, die ich mir erkämpft habe, gut performen konnte. Damit konnte ich meine Leseschwäche quasi ausgleichen. Ich muss mich auch heute noch zum Lesen sehr konzentrieren, mir Zeit nehmen.

Und wie lernen Sie da die langen Texte?

Philipp Hochmair: Dazu muss ich mir dann Hilfe holen. Ich habe dann ein Gegenüber, und dem wiederhole ich sie so lange, bis ich sie auswendig kann. Dann werden diese Texte für mich zu Musik, zu Gesang. Und den kann ich dann verkünden.

Philipp Hochmair: Im „Jedermann“ spielte er schon alle Rollen

Philipp Hochmair (geboren am 16. Oktober 1973 in Wien) studierte 1993 bis 1997 Schauspiel am Max Reinhardt Seminar in Wien (u. a. bei Klaus Maria Brandauer, 82) und Paris. Erste Engagements in Nürnberg, Hamburg, Hannover, Berlin und Zürich. 2003 – 2009: Wiener Burgtheater, 2009 –2014: Hamburger Thalia Theater. Seit 1997: Solo-Projekt Goethes „Werther“. Seit 2023: „Hagestolz“ von Adalbert Stifter.

Seit 2013 macht er mit seiner Band „Die Elektrohand Gottes“ (experimentelle Elektronikklänge) den „Jedermann“ (er spielt alle Rollen). Im August 2018 sprang er kurzfristig für den erkrankten Tobias Moretti im Salzburger „Jedermann“ ein. Seit 2024 spielt er die Titelrolle regulär. Große TV-Erfolge: „Die Manns“ (2000, er spielte Golo Mann), seit 2018: „Blind ermittelt“, 2020: „Freud“, 2021: „Charité“, 2022: „Die Wannseekonferenz“, seit 2024: „Der Geier“.