Musiker Heinz Rudolf Kunze hat mit uns über die Song-Auswahl für ein neues Album und seinen Kampf gegen das Gendern gesprochen. Und darüber, warum er so wenig lacht.
Heinz Rudolf KunzeRock-Poet erklärt, warum er praktisch nie lacht

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Heinz Rudolf Kunze beim Interviewtermin mit EXPRESS.de. Für uns lächelt er auch mal. So wie er halt lächelt. Das Foto wurde im September 2025 in Köln aufgenommen.
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13.000 Gedichte verfasst und niedergeschrieben, 44 Jahre auf der Bühne: Heinz Rudolf Kunze (68), einer der fleißigsten und erfolgreichsten deutschen Rocksänger und Liedermacher.
Jetzt ist er mit „Angebot und Nachfrage“, seinem 37. Studio-Album, am Start (live am 22. Oktober 2026 in Düsseldorf), von dem sich der Song „Besuch mich, Marie“ zum besonderen Hit entwickelt – wie einst, vor 40 Jahren, sein Dauerbrenner „Dein ist mein ganzes Herz“. Mit EXPRESS.de spricht er über seine Karriere, seinen Kampf gegen das Gendern – und seine ganz besonderen Lach-Probleme.
Heinz Rudolf Kunze: Diese Songs schaffen's aufs Album
Ein neues Album mit 16 Songs – wie viele standen dafür zur Auswahl?
Heinz Rudolf Kunze: Ich fange bei jedem Album mit etwa 100 Texten an, die ich für geeignet halte, und dampfe sie dann runter auf 50, und dann noch weiter, bis das Plattenformat erreicht ist. Bei den 100 habe ich schon ein schlechtes Gewissen, weil es von mir ja rund 13.000 Texte gibt, und ich diese Auswahl radikal subjektiv treffe. Ich kann dann nicht überblicken, was ich gerade übersehe. Aber das ist Schicksal. Besser ich habe zu viel als zu wenig.
Wo bleiben die ausgeschiedenen Lieder?
Heinz Rudolf Kunze: Ganz wenige davon haben es auf Wiedervorlage geschafft, die meisten landen für immer im Archiv bei den anderen 13.000. Vielleicht kommen sie eines Tages ins Schiller-Archiv in Marbach und sorgen dann bei einigen Germanisten für ein paar Jahre Kopfzerbrechen. Leider habe ich dann selbst nichts mehr davon.
Ihr Angebot bei „Angebot und Nachfrage“ reicht vom wunderbaren Liebeslied wie „Besuch mich Marie“ bis hin zum todtraurigen Anti-Kriegslied „Jeder Tote, einer zu viel“. Welches liegt Ihnen besonders am Herzen?
Heinz Rudolf Kunze: Es ist ein perfekter Cocktail geworden, da kann ich nicht nur einen nennen. Ich habe mir bei allen Songs viel Mühe gegeben und möchte, dass man – wenn ich nicht mehr da bin – mein Gesamtwerk als musikalische Zeitgeschichte hören kann.
Lassen Sie uns bitte über Ihre Arbeit sprechen. Fühlen Sie sich als Dichter ernst genommen?
Heinz Rudolf Kunze: Ich habe mich für die deutsche Rockmusik entschieden, und damit hat man nicht den Status, dass man bei TV-Sendungen wie „Titel, Thesen, Temperamente“ jemals ernst genommen wird. Es gab in meiner langen Karriere nur eine Ausnahme – mein allererster TV-Auftritt, der in der ZDF-Kultursendung „Aspekte“ stattfand. Damals ging es um die Neue Deutsche Welle.
Gehörten Sie mit Ihrer Musik dazu?
Heinz Rudolf Kunze: Nein. Aber es gab Plattenfirmen, die alles, was sich bewegte und dazu deutsche Texte sang, dann als „Neue Deutsche Welle“ verkaufte – wenn es nicht deutscher Schlager war. Deswegen bin ich da eingereiht worden. Hat mich nicht gestört. Alles, was nützt, ist gut.
War es vor 40, 50 Jahren leichter, in die Popmusik einzusteigen?
Heinz Rudolf Kunze: Natürlich war es das. Damals konnte die Industrie vor Geld kaum gehen. Die war gierig darauf, jeden einzufangen, der was konnte, und dem ermöglichten sie langfristige Chancen. Heute kriegt doch kein Neuankömmling mehr einen Fünf-Jahres-Vertrag, wie ich damals. Solange es der Industrie gut ging, hatte sie Geduld, hatte sie Leute aufgebaut und gepflegt. Je mehr der Markt schrumpfte, desto schneller war sie bereit, jemanden wegzuwerfen, der nicht gleich Erfolg bringt. Und jetzt verdienen sich die Streamingdienste daran dumm und dämlich, und den Künstlern bleibt kaum was.

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Angeregtes Gespräch in Köln: EXPRESS-Reporter Horst Stellmacher und Heinz Rudolf Kunze im September 2025.
Sie sind voll im Geschäft. Sie schreiben, sind im Studio und auf Tourneen. Klingt anstrengend …
Heinz Rudolf Kunze: Das empfinde ich nicht so. Denn das ist das, was ich unbedingt will. Ich habe das große Glück, dass bei mir Beruf und Neigung deckungsgleich sind. Was Besseres kann mir nicht passieren. Dass ich meinen Beruf nicht abends um fünf Uhr an der Garderobe abgeben kann, macht mir nichts – ist okay.
Ende nächsten Jahres werden Sie 70. Eine Zahl mit einer Bedeutung?
Heinz Rudolf Kunze: Jede Zahl mit einer Null hat eine starke symbolische Bedeutung für mich. Das fing mit zehn an und wurde immer schlimmer. Aber was soll ich machen? Immer noch besser als die Alternative. Körperlich ist es nicht mehr so, aber in meinem Kopf komme ich mir längst noch nicht so alt vor, sondern wie ein jugendlicher Mensch.
Und eines Tages müssen Sie auf die Bühne getragen werden, um zu singen?
Heinz Rudolf Kunze: Was gibt es Schöneres, als auf der Bühne zu sterben? Ich stelle mir das gut vor: Einmal überanstrengen, hinfallen, tot, dann wegtragen.
Sie sind seit 44 Jahren unterwegs und haben von Anfang an auf das hingewiesen, was nicht so gut läuft in der Welt. Haben Sie das Empfinden, dass heute irgendwas besser läuft als vor 44 Jahren?
Heinz Rudolf Kunze: Es ist nix besser geworden. Aber in meiner Zeit wurden schon viele Weltuntergänge angekündigt, und die passierten nicht. So denke ich, dass wir auch diesmal davonkommen. Aber die Welt ist komplizierter geworden, manchmal sehnt man sich vorm Einschlafen nach dem Kalten Krieg zurück. Da war die Welt klar aufgeteilt und damit in Ordnung. Aber es ist, wie es ist, und wir müssen damit fertig werden.
Sie mischen sich überall lautstark ein. Keine Lust, aktiv in der Politik mitzumachen?
Heinz Rudolf Kunze: Ich war viele Jahre in der SPD. Ich bin ausgetreten – übrigens der Rechtschreibreform wegen. Ich werde auch nicht mehr eintreten. Ich bin jetzt 68 Jahre alt und – mein Gott, ich kann ja nicht alles machen (lacht).
Heinz Rudolf Kunze: „Gendern sehe ich als eine Sprachschändung an“
Aber Sie sind unüberhörbar, wenn es um Bildungspolitik und Sprache geht, kämpfen z. B. immer noch gegen das Gendern an. Warum gönnen Sie sich da keine Ruhe?
Heinz Rudolf Kunze: Weil ich das Gendern als eine Sprachvergewaltigung, eine Sprachschändung, ansehe, von der ich hoffe, dass sie eines Tages verschwindet. Ich möchte mir nicht vorschreiben lassen, mit welchen Worten ich Menschen respektiere. Diese Worte suche ich mir selbst aus. Von mir aus kann jeder gendern, wie er will. Aber wenn man es als Sprachpolizei benutzt und mit Gewalt und Macht durchdrücken möchte und andere Leute zum Gendern zwingt, weil sie sonst ihren Arbeitsplatz verlieren, dann hört der Spaß auf. Das Gendern hat für mich nichts mit Respekt vor Menschen zu tun.
Kommen Sie damit klar, dass Sie aufgrund dieser Aussagen von vielen Menschen im Netz beschimpft werden?
Heinz Rudolf Kunze: Dafür werde ich von unglaublich vielen Menschen auf der Straße bejubelt. Seit meiner Diskussion bei „Stern-TV“ erlebe ich immer wieder, dass Leute mir sagen „Mach weiter so, wir sind auf deiner Seite“!
Nächstes Jahr sind Sie wieder mit Band auf Tournee, spielen dann am 22. Oktober in Düsseldorf. Haben Sie gute Erinnerungen ans Rheinland?
Heinz Rudolf Kunze: Sehr gute! Ich erinnere mich an ein Konzert in Hürth, bei dem uns die Leute zum Schluss nicht von der Bühne gelassen, sondern eineinhalb Stunden lang einen karnevalistischen Song mitgesungen haben. Sie haben einfach nicht aufgehört. Und an ein Konzert im Kölner E-Werk. Da war die Stimmung so intensiv, dass ich völlig verrückt wurde und auf dem Sicherheitsgitter balancierte, bis ich da abstürzte. Ich habe mir dabei den Fuß gebrochen und trotzdem das Konzert zu Ende gespielt. Die Kölner haben mich so nach vorn gepuscht.
Was macht das mit Ihnen, wenn Sie so nach vorn gepuscht werden?
Heinz Rudolf Kunze: Es ist wie ein außerweltlicher Zustand. Ich kann mich selbst dabei vergessen – und das ist schön. Ich denke nur an das Lied, und alle anderen Dinge, alle anderen Sorgen und Gedanken, sind weg. Ich kann süchtig danach werden. Aber es ist eine gesunde Sucht.
Sie wirken immer so ernst. Sind Sie auch mal fröhlich?
Heinz Rudolf Kunze: Ich lache nur nicht, weil ich meine Zähne nicht zeigen kann, denn meine Lippen bedecken die Zähne, und das sieht dann so aus, als hätte ich keine. Keine Angst, ich gehe nicht zum Lachen in den Keller.
Heinz Rudolf Kunze schrieb auch für Milva, Karel Gott und die Hooters
Heinz Rudolf Kunze (geboren am 30. November 1956 in Espelkamp-Mittwald) machte Abitur am Stauffenberg-Gymnasium Osnabrück, studierte Philosophie und Germanistik (1. und 2. Staatsexamen, unterrichtete als Referendar, aber nie als examinierter Lehrer). Am 9. November 1980 siegte er beim Pop-Nachwuchswettbewerb Würzburg, 1981 folgte sein Debütalbum „Reine Nervensache“. Erste Hits: „Lola“ (1984), „Dein ist mein ganzes Herz“ (1985, produziert von Conny Plank).
2005: 25-jähriges Rockjubiläum im WDR-„Rockpalast“. Er hat die Musicals „Miss Saigon“ und „Les Miserables“ übersetzt, schrieb Texte für Herman van Veen, Milva, Mario Adorf, Karel Gott, The Hooters, Bernd Stelter, Hildegard Knef und Nicole. Seit 2007 ist er Dozent an der Hochschule Osnabrück. Kunze ist verheiratet mit Ehefrau Gabi, lebt bei Hannover.

