Moderations-Legende Carmen ThomasDas sagt sie heute über ihren Schalke-05-Versprecher

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Carmen Thomas mit ihrem aktuellen Buch zum Thema „Reaktanz“ bei unserem Interviewtermin in der Kölner Innenstadt.

Köln – Schalke 05 statt Schalke 04 – das war und ist einer der verrücktesten Versprecher der TV-Geschichte. „Urheberin“: die Kölnerin Carmen Thomas, als eine der ersten Frauen im TV-Fußball-Geschäft auf besonders vermintem Rasen. Ihr wahres Metier war aber das Radio – das von ihr 20 Jahre lang moderierte WDR-Magazin „Hallo Ü-Wagen!“ ist heute Legende. Besonders unvergesslich: Ihr Einsatz für den Urin. Am 7. Mai wurde sie 75 – wir haben sie zum großen Interview getroffen.

  • Carmen Thomas ist gerade 75 geworden
  • Ihren Versprecher Schalke 05 bereut sie nicht
  • Warum sie sich schon eine Stelle für ihr Grab ausgesucht hat

Carmen Thomas im EXPRESS-Interview

Sind Sie eigentlich genervt, dass Sie noch immer auf Ihren „Schalke 05“-Versprecher angesprochen werden, der am 21. Juli 1973 geschah? Carmen Thomas: Im Gegenteil. Das garantiert Unkaputtbarkeit und jedes Jahr mehrfach in der Zeitung stehen, immer wenn Schalke schlecht gespielt hat. In dieser Saison besonders häufig. Ein Zuschauer hat 1973 das Richtige geschrieben: „Wenn Sie es nicht selbst gesagt hätten, hätte es eine Werbeagentur für Sie erfinden müssen.“

Waren Sie da Schalke-Fan? Fan bin ich danach geworden. Das richtige Schalke-Gefühl bekam ich, als ich mit Rudi Assauer vor 62.000 Leuten vom Stadionsprecher interviewt wurde. Gänsehaut pur, als mir klar wurde, dass mir da eine ganze Kleinstadt auf einmal zuschaut.

Alles zum Thema DFB

Sie waren eine Kölner Pflanze. Wie kam’s zum „Seitensprung“ zum ZDF nach Mainz? Der damalige WDR-Fernsehchef Werner Höfer hat mich an ZDF-Chef Hajo Friedrichs empfohlen. Der wollte mich für die „ZDF-heute“-Sendung als Sprecherin. Das wäre nichts geworden. Ich war zu meinungsfroh. Bei mir war zu oft herauszuhören, was ich von einer Meldung hielt, die ich vorlas.

Also Sportstudio. Gab’s Probleme, weil Sie eine Frau waren? Natürlich. 1973 galten Frauen, die sich mit Fußball beschäftigten, als Mannweiber oder als lesbisch – beides zu der Zeit Schimpfwörter. Es hieß, dass richtige Frauen nichts von Fußball verstehen.

Frauenfußball war von 1955 bis 1970 vom DFB verboten... Damals hat vor allem die „Bild am Sonntag“ gegen mich geschossen. Bei meiner zweiten Sendung bekam ich den Tipp, dass sie diese Sendung bereits im Andruck verrissen hatten, obwohl die ja noch gar nicht aufgenommen und gesendet war. So konnte ich am Samstag in der Sendung schon die Zeitung vom Sonntag mit diesem Verriss zeigen und sagen: „Sie brauchen heute nicht zu gucken. Hier steht schon, dass der Reporter mit einem weinenden und einem lachenden Auge zugesehen“ habe und mein Charme nicht ausreiche.

Beim WDR starteten Sie später „Hallo, Ü-Wagen“. Was war das Besondere? Bis dahin war Radio oft wie eine vorgelesene Zeitung. Die tollen Sprecher hatten wohlklingende Stimmen, versprachen sich nicht, atmeten an den richtigen Stellen. Zu vieles war so perfekt, dass es steril, unlebendig, oft von oben herab klang. Mit »Hallo, Ü-Wagen« kam die Wirklichkeit ins Radio. Alle Themen waren Publikumsanregungen. Neu war, dass das Publikum mitmachen konnte.

Im Juli 1988 haben Sie wieder für Schlagzeilen gesorgt. In der Sendung ging es um Urin, dem Ihre Experten viele positive Einflüsse bescheinigten. Wie waren Sie darauf gekommen? In den 70ern las ich einen „Spiegel“-Artikel, in dem man sich über den damals 98-jährigen indischen Premierminister Morarji Desai lustig machte, weil der jeden Morgen ein Tässchen Eigen-Urin trank. Ich fragte mich, warum er das überlebte, das sei doch „Gift“ – und begann zu recherchieren.

Waren Sie selbst gleich überzeugt von den Urin-Kräften? Mir ging es wie allen: angeekelt und total skeptisch. Dann bewirkten viele tausend Briefe, dass ich jede Scheu verlor. Jetzt weiß ich längst, was für ein Phänomen Urin sein kann. Testen hilft: Wenn Sie sich stoßen, schürfen, verbrennen, schneiden – sofort drüberpinkeln und sich verblüffen lassen.

Hat Ihnen das auch schon mal geholfen? Trinken Sie Urin? Meine Recherchen sind stets seriös und fundiert. Wichtig: Es geht darum, dass sich Menschen mit der Sache – und nicht mit mir – beschäftigen.

Klingt immer noch sehr gewöhnungsbedürftig… Heute ist eindeutig, dass Urin die Welt revolutionieren könnte, wenn er so eingesetzt würde, wie er es könnte: Auf der ISS wandeln die Astronauten ihren Urin in Trinkwasser um. Unter dem Motto: „Urin statt Uran“ wird Handystrom draus erzeugt. In China werden Zähne aus Urin gezüchtet. In USA Batterien damit betrieben, in Afrika Generatoren. Er ist in der Medizin vielfältig nutzbar, taugt als Treibstoff, es lassen sich Ziegel damit fertigen...

Sie machen gerade mit dem Buch „Reaktanz“ auf sich aufmerksam. Was bedeutet das? „Reaktanz“ kommt aus der Elektrotechnik, bedeutet »Blindwiderstand«. Op Kölsch benennt es die Reaktion: „Ene dicke Halls oder enen harten Bauch kreje... – man ist gegen was, ohne zu wissen, warum. Wie ein „Rauchmelder“, der in jedem Menschen die innere Haltung verändert.

Wie sind Sie darauf gestoßen? 1977 habe ich erstmals was drüber gelesen. Damals war ich noch total unsicher vor und mit Publikum. Die Leute waren unkalkulierbar und machten mich verlegen – also reaktant. Oft antworteten sie nicht auf meine Fragen, und ich musste mir blitzartig neue ausdenken. Alles wurde anders, als ich erkannte, wie mir meine Reaktanz beständig helfen konnte.

Sie schreiben Bücher, sind eine gefragte Moderatorin, leiten seit 23 Jahren die 1. Moderations-Akademie. Gerade sind Sie 75 geworden. Bedauern Sie manchmal, dass das Leben schon weit fortgeschritten ist? Nein. Wenn ich morgen sterben würde, fände ich das nicht schlimm. Mein Leben war und ist prall und voller anregender Dinge. Meine Arbeit hat mich privilegiert. Dadurch habe ich vieles auf der ganzen Welt erleben können. Und die Zeiten sind ja gerade nicht besser. Die 32 verschiedenen Sendungen über Leichen und Tod, über die ich auch ein Buch geschrieben habe, halfen, die Scheu vorm Tod stetig zu verringern. Folge: Schon jetzt ist ein schöner Platz auf Melaten durch eine Patenschaft über einen Grabstein von 1818 gesichert – mit einem Schmetterling drauf.

Carmen Thomas: Von Magazinen bis hin zu Talkshows

Carmen Thomas (geboren am 7. Mai 1945 in Düsseldorf) studierte Germanistik, Anglistik und Pädagogik an der Uni Köln. Von 1968 bis 1974 moderierte sie im WDR-Morgenmagazin, von 1969 bis 1971 die TV-Nachrichtensendung „Hier und Heute“ und von 1973 bis 1974 das „aktuelle Sportstudio“ im ZDF (erste Sport-Moderatorin im deutschen TV).

Es folgten die Talkshow „3 nach 9“ und bis 1994 „Hallo Ü-Wagen“. 1990 bis zu ihrem Ausscheiden 2006 war sie WDR-Programmgruppenleiterin. Seit 2001 ist sie geschäftsführende Direktorin der 1998 gegründeten „1. Moderations-Akademie für Medien + Wirtschaft Carmen Thomas“ in Ehreshoven. Sie lebt in Köln. Ihr Buch „Ein ganz besonderer Saft“ zu Thema Urin wird immer wieder neu aufgelegt.