Nur altbacken und analog?Mitglieder geben überraschenden Einblick ins Ordensleben

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Bruder Julian trat mit 21 in den Orden ein.

Münster – Nonnen backen Oblaten, um sich ihren Unterhalt zu sichern? Ordensbrüder verkaufen ihr Gemüse im Klostergarten – und sonst wird nur gebetet? So stellen sich viele den Alltag hinter Klostermauern vor. Doch das hat mit der Realität wenig zu tun.

Videobotschaften auf YouTube, der Austausch mit Gläubigen und Sinnsuchenden auf Instagram und Co. ist angesagt, in Corona-Zeiten wichtiger denn je. Bei uns schildern Bruder Julian (24) und Schwester Kerstin-Marie (40), wie multimedial ihr Leben ist. Und warum sie den Schritt, in den Orden einzutreten, noch keinen Tag bereut haben.

Bruder Julian: „Corona-Gebet für Follower“

Wenn Bruder Julian Kendziora sich mit seinen Theologie-Kommilitonen wieder in einer Kneipe auf ein Bier treffen kann, wird er den Habit schon mal gegen ein Kapuzenshirt eintauschen. Aber das ist die Ausnahme. Der 24-Jährige trägt das braune Ordensgewand normalerweise auch in der Uni, quasi „als lebendiges Zeugnis, um die Botschaft des heiligen Franziskus bewusst in die Gegenwart zu übertragen“.

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Oft werde er deshalb auch neugierig auf der Straße angesprochen. „Was treibt so einen jungen Mann denn ins Kloster?“ Der gebürtige Dorstener lacht: „Ich glaube, das stand für mich schon im Kindergartenalter fest.“

Julian trat mit 21 in den Orden ein

Als seine Brüder ihn dort einmal abholten und ihm eine Überraschung versprachen, sei er fest davon überzeugt gewesen, dass der Pfarrer zu Besuch daheim sei – und habe ein langes Gesicht gezogen, als im Garten bloß ein Bagger stand.

Abi, Theologiestudium, Priesterseminar. Mit 21 Jahren trat er in den Kapuzinerorden ein. Seitdem ist sein Tagesablauf streng geregelt.

Bruder Julian sendet Gebete via Social Media

Um 6.40 Uhr beginnt das Morgengebet. „Jetzt, in Corona-Zeiten, schicke ich digital ein Gebet nach, das meine Follower mitnehmen können in den Tag. Um 7 Uhr gibt’s die Heilige Messe, danach Frühstück – natürlich auch bei uns mit gehörigem Sicherheitsabstand. Dann checke ich am Schreibtisch meine Mails.“

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Top: Der Orden stellt Julian Computer und Smartphone zur Verfügung.

Zur Uni fährt er in diesen Zeiten natürlich nicht, aber Bruder Julian kann sich über Langeweile nicht beklagen. Er hat ein Instagram-Profil (bruder_julian), über 2000 Follower.

„Viele entdecken die Kirche jetzt zwangsweise“

Julian zitiert den Münsteraner Bischof Dr. Felix Genn: „Viele entdecken die Kirche jetzt zwangsweise.“ Deshalb versuche man sich an neuen Formaten, streame Messen, lade zum digitalen Kreuzweg ein. Bruder Julian geht es vor allem um den persönlichen Kontakt.

Er organisiert gerade via Konferenz eine Online-Gemeinde, um Ostern gemeinsam einen Gottesdienst im Netz zu feiern. Mehr als 100 Menschen werden sich einloggen, die älteste Frau ist 83. Der junge Mann mit der einnehmenden Stimme bietet derzeit auch persönliche Gespräche via Skype für Sinnsuchende an. „Und die werden erstaunlich angenommen“, freut er sich. „Manche wollen über Gott reden, andere – wie kürzlich ein Geschäftsmann – überdenken jetzt plötzlich ihr Leben.“

Bruder Julian: „Man kann den Zölibat mit einer Ehe vergleichen“

Viele wollen auch mehr über sein Leben im Kloster erfahren. Wie ein so junger Mann zum Beispiel mit dem Zölibat klarkomme. „Man kann den Zölibat mit einer Ehe vergleichen“, findet Julian, der vor dem Ordenseintritt eine zweijährige Beziehung geführt hat. „Sicherlich kann es beim Zölibat auch wie in einer Ehe passieren, dass man sich mal neu verliebt, dass es Anfechtungen gibt – aber ich hoffe, dass ich zu meinem Wort stehen kann.“

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Das Buch von Stephanie Mende ist für 18 Euro erhältlich.

Er habe einfach das Gefühl, dass er sein Leben vor Gott so gestalten kann, dass es Früchte bringe. Und der Orden schaffe den Rahmen, sagt Bruder Julian.

Schwester Kerstin-Marie: „Coaching für Sinnsuchende“

In diesen schweren Zeiten überlegen viele, die Weichen neu zu stellen – sei es aus wirtschaftlichen Gründen oder weil sie jetzt Zeit finden, über ihr Leben nachzudenken. Natürlich ist das mit Angst, mit Unsicherheit verbunden. Wer könnte das nicht besser nachvollziehen als Schwester Kerstin-Marie Berretz (40).

Die gebürtige Wuppertalerin trat 2008 in den Oberhausener Orden der Arenberger Dominikanerinnen ein. Aber sie hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht...

Ehemann und Kinder spielten nie eine Rolle

„Ich hatte eigentlich ein tolles Leben“, sagt sie rückblickend. „Einen Super-Job als Pastoralreferentin im Bistum Trier, verdiente gutes Geld, hatte eine schöne Wohnung, gute Freunde...“ Ehemann oder eigene Kinder hätten in ihrer Lebensplanung eigentlich nie eine Rolle gespielt. Die Religion allerdings schon.

„Irgendwann war mir klar, dass ich dieses absolut Erfüllende in der Ordensgemeinschaft finden würde“, sagt sie.

Leben im Orden ist für Kerstin-Marie nicht verzichten

Die sechsjährige Formation im Orden, die sie mit einer Ausbildung bis hin zur Meisterprüfung vergleicht, bestärkten sie in ihrem Entschluss. „Wer meint, sich opfern zu müssen, ist im Orden falsch aufgehoben. Für mich ist das Ordensleben ein Leben der Fülle, nicht des Verzichts.“

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Schwester Kerstin arbeitet als Coach.

Das hat weniger mit Genussfotos auf ihrem Instagram-Profil – Kuchen, Schlagsahne und Cappuccino – zu tun, sondern mit der Liebe zum Leben.

Schwester Kerstin-Marie reist viel

Dass ein intelligentes Powerpaket wie sie sich auch unter den Fittichen Gottes so richtig austoben kann, dafür sorgen die Dominikanerinnen schon. „Dieser Orden ist geprägt durch lebenslanges Studieren. Seit ich in den Orden eingetreten bin, war ich schon in der Schweiz, in Bolivien, der Slowakei und in Irland.“

Schwester Kerstin-Marie kann ein Doctor-of-Ministry-Studium in den USA absolvieren, hat einen Lehrauftrag in Karlsruhe, kann auch beruflich eines ihrer größten Talente ausspielen: Menschen auf ihrem Weg begleiten.

Ordensschwester arbeitet als Berufungscoach

Sie arbeitet als Berufungscoach. „Ich liebe das Leben und glaube, dass uns das Leben geschenkt ist, damit wir glücklich sind. Um glücklich zu werden, muss ich selber loslegen“, lautet das Credo auf ihrer Website (www.suchen-finden-gehen.com).

Normalerweise finden die Sitzungen (90 Euro für 90 Minuten) landesweit in den Klostern der Dominikaner statt, während der Corona-Krise funktioniert es auch via Telefon WhatsApp, Videocall, Zoom oder Skype.

Das hätte der Laie vielleicht nicht gedacht, schmunzelt sie, „dass das Ordensleben so fortschrittlich ist. Aber die Ordensgemeinschaften waren eigentlich schon immer am Puls der Zeit. In unserer Gemeinschaft haben wir z. B. auch eine WhatsApp-Gruppe, und man glaubt gar nicht, wie viele 80-Jährige da aktiv sind. Manchmal denke ich: »Nicht schon wieder ein Video«“, lacht sie.

Ordenshaus ist überaltert

Apropos Seniorinnen: Auch ihr Ordenshaus ist überaltert: Drei Schwestern sind über 100, viele seien pflegebedürftig. Aber da alle Verdienste in die Gemeinschaftskasse fließen, sei auch für deren Auskommen gesorgt. Und es bleibt sogar noch etwas übrig, damit Schwester Kerstin-Marie sich im Urlaub („Ja, auch den haben wir ganz regulär, 28 Tage im Jahr bei einer Sieben-Tage-Woche“) auf ihr Rad schwingen kann.

Vermisst sie denn gar nichts? „Wenn morgens schon vor fünf der Wecker klingelt, würde ich mich manchmal gern umdrehen, wie früher mal den Morgen mit einer Tasse Kaffee im Bett rumlümmeln.“ Aber das Morgengebet auslassen? Niemals!