WDR-ModeratorinDeutliche Worte über Köln: „Wenn ich da drin stecke, kommt in mir so eine Wut hoch“

Christine Westermann schaut nach oben und gestikuliert mit der Hand.

Christine Westermann am 13. Dezember 2017. EXPRESS traf sie jetzt zum Interview.

EXPRESS.de traf WDR-Moderatorin, Autorin und Literaturexpertin Christine Westermann zum Interview. Geplaudert wurde nicht nur über die Stadt Köln.

von Horst Stellmacher (sm)

Es sollte ein kurzes, schnelles Interview werden. Es wurde ein EXPRESS-XXL-Gespräch über Jugend und Alter, Freude und Leid, Leben und Sterben – aber auch über Sex & Drugs & Rock'n'Roll.

Ein Treffen mit Christine Westermann, einer der klügsten und beliebtesten Frauen der Stadt, die kürzlich 75. Geburtstag feierte, ist immer etwas Besonderes.

Christine Westermann über ihren Geburtstag ...

Haben Geburtstage für Sie noch eine besondere Bedeutung? Christine Westermann: Hatten und haben sie. Ich habe sie immer gern gefeiert und finde Geschenke toll.

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Sehen Sie Ihrer neuen Lebenszahl – der 75 - freudig entgegen? Christine Westermann: Diese Zahlen sind von Jahr zu Jahr stärker mit Wehmut verbunden. Ich denke oft an die Worte von Schauspieler Miroslav Nemec: „Wenn du dir dein Leben wie ein Ein-Meter-Maßband vorstellst, also jeder Zentimeter ist ein Jahr, und dann abschneidest, was schon vorbei ist ...“ Mir bleibengerade noch 25 Zentimeter - aber auch nur, wenn ich 100 werde.

Ist Ihnen immer bewusst, wie alt Sie sind? Christine Westermann: Alter ist mir nicht bewusst. Wenn ich mal lüge und dabei erwischt werde, fühle ich mich auch heute noch wie zwölf. Und wenn ich aus meinem Cabrio aus Versehen mal zu lange zum Mann im Nachbarauto gucke, denke ich „Westermann, du flirtest. Dabei bist du schon weit über 70. Das ist vorbei!“ Dabei kann ich so gut flirten. Und vielleicht ist es ja auch nicht vorbei ...

Christine Westermann über das Sterben ...

Glauben Sie, dass es irgendwie im Oben weitergeht? Christine Westermann: Ich wünsche es mir. Ich hoffe es. Ein nächstes Leben fände ich auch ganz schön.

Welche Musik sollte zu Ihrem Abschied gespielt werden? Christine Westermann: Auf jeden Fall „Les feuilles mortes“, Yves Montand, jenes Lied über die Vergänglichkeit der Liebe, da spürt man die stille Sehnsucht nach Leben. Dann vielleicht das Trinklied aus „La Traviata“ und natürlich „Für mich soll's rote Rosen regnen“ von Hildegard Knef, mein Lieblingslied.

Was haben Sie sich für die nächsten Jahre vorgenommen? Christine Westermann: Ich versuche, in diese letzten Lebensjahre noch eine Menge reinzupacken, ohne sie zu überfrachten. Ich habe immer noch den Wunsch, zu studieren. Ich möchte viel reisen, aber nicht mehr die ganz großen Sachen machen. Ich habe große Lust auf Theater- und Opern-Besuche, auf Städtereisen. Ich möchte rumgucken und in das Leben der anderen schauen.

Man sagt, je älter man wird, desto mehr denkt man, die Zeit läuft schneller. Kennen Sie das Gefühl? Christine Westermann: Klar. Ich bin jetzt 75. Dabei haben wir doch gerade erst meinen 70. gefeiert.

Christine Westermann über Drogen und Alkohol ...

Möchten Sie noch mal 20 sein? Christine Westermann: Nein – auch nicht mit der Lebenserfahrung, die ich jetzt habe. Wenn ich sehe, was auf der Welt los ist, wie düster und krank sie ist – dann erwische ich mich manchmal bei dem Gedanken, dass es vielleicht sogar ganz gut ist, dass ich schon 75 bin.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie auch etwas schuld an dem Zustand der Welt sind? Christine Westermann: Nein, glaube ich nicht. Ich habe nie gegen das Gute gelebt.

Sie zählen zu den inzwischen fast sagenumwobenen „68ern“, denen man Jahre voller Sex & Drugs & Rock'n'Roll bescheinigt. Wie war's bei Ihnen? Christine Westermann: Ich zähle mich direkt nicht dazu, aber die 68er haben mir ganz sicher den Weg geebnet – auch was die sexuelle Freiheit angeht. Ich bin in den 70er Jahren erwachsen geworden und konnte viel mehr machen als meine Mutter zu ihrer Zeit ohne die Pille. Und wenn ich mich so umhöre, denke ich, ich habe auch mehr gemacht als die Leute heute. In unserem Bücher-Podcast „Zwei Seiten“ mit Mona Ameziane gab es eine Folge über Liebeskummer. Mona, die 45 Jahre jünger ist als ich, sagte, sie könne nicht mitreden. Sie habe nie Liebeskummer gehabt. Fand ich ein bisschen schade. Ich finde, er gehört zum Leben unbedingt dazu.

... Drogen? Christine Westermann: Meine Schwester hat mir mal einen Haschtee gemacht, weil ich nicht rauche, also keinen Lungenzug nehmen kann. Da habe ich anschließend meine tote Mutter über den Flur huschen sehen. Wenn Wein und Champagner zu Drogen zählen: ja. Meinen ersten und letzten Schnaps-Rausch hatte ich mit Doornkaat, da war ich 18.

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... und Rockn Roll – also die wilde Zeit, die man damals erlebt hatte ... Christine Westermann: Mein Leben war und ist voll und bunt und so soll es weiter bleiben. Aber ich würde es nicht „wild“ nennen. Im Podcast der „Zeit“ sagte ein Interviewer: „Sie hatten aber ein wildes Leben.“ Aber was war an meinem Leben wild? Ich habe in meinen ersten Büchern viel über mich erzählt – und seitdem ist es wohl auch klar, dass ich mit mehr als einem Mann geschlafen und mehr als eine Affäre hatte. Ich habe mir gedacht: „Jungs, das kann nicht euer Ernst sein, dass das wild sein soll – nur, weil man sich mit 30 noch nicht festgelegt, zwei Kinder an seiner Seite und eine Scheidung hinter sich hat.“

Sie haben einige Moden mitgemacht. Wie ist es, wenn Sie sich in TV-Sendungen von einst wiedersehen? Christine Westermann: Dann sage ich oft: „Wie schade! In den Anzug, den ich da trage, würde ich heute gern noch reinpassen!“ Ich hätte heute gern die Figur, die ich mit 25 hatte – hab es aber leider verpennt, was dafür zu tun. Dafür esse und trinke ich zu gerne. Manchmal finde ich, dass mein Gesicht schöner geworden ist – da ist jetzt so viel Leben, so viel gutes Leben drin.

Vor genau 40 Jahren zum WDR gewechselt, lange Zeit gependelt, seit 2001 fest in Köln. War Köln eine gute Wahl? Christine Westermann: Ich habe Köln liebgewonnen, bin aber nicht ganz so enthusiastisch wie andere. Das Besondere an der Stadt sind die Menschen, die mir vom ersten Tag an sehr zugewandt waren. Ansonsten halte ich mit Jörg Thadeusz, der die Stadt mal als „Architektur-Gehacktes“ bezeichnete und verstehe Biggi Wanninger, die über Köln sagte: „Aus einem Pisspott kannst du kein Mokka-Tässchen machen“.

Christine Westermann über die Stadt Köln ...

Was ärgert Sie in der Stadt aktuell am meisten? Christine Westermann: Vor allem die vielen rot-weißen Baustellenbaken, die überall rumstehen und bei denen man sich nie klar sein kann, ob überhaupt jemand weiß, dass die auch mal abgeräumt werden müssen. Wenn ich da mittendrin stecke, kommt in mir so eine heilige Wut hoch. Wenn Stadion-Sprecher Michael Trippel die Gäste mit „Willkommen in der schönsten Stadt Deutschlands“ begrüßt, hoffe ich sehr, dass er es ironisch meint.

Sie haben vor 20 Jahren Ihren Jochen geheiratet, mit dem Sie dann fest nach Köln gezogen sind. Was unterscheidet Liebe mit 75 von der Liebe mit 21? Christine Westermann: Ich glaube, die Freude, für den anderen da zu sein. Und zu wissen, dass er die gleiche Freude fühlt.

Christine Westermann über „Zimmer frei!“ ...

Sie haben bei der ZDF-„Drehscheibe“, damals einem Quoten-Erfolg, Ihre TV-Karriere gestartet. Wobei der ZDF-Intendant zuerst nicht begeistert war. Sein Kommentar: „Sie sieht aus wie ein Kalb, wenn es donnert“. Noch beleidigt? Christine Westermann: Nein, es war ja so. Hin und wieder sehe ich mich in TV-Rückblicken und denke: „Wahnsinn, dass die mich nicht schon früher vom Sender genommen haben!“ Viel wichtiger war für mich die EXPRESS-Kritik nach der ersten „Zimmer frei!“-Sendung: „Götz Alsmann – genialer Musiker, brillanter Entertainer. Christine Westermann: provinziell, hausbacken – ,Drehscheibe' eben!“ Das wurde mein Antrieb: „Leute, ich kann das besser. Ich zeige es euch!“

Sie waren in einer Zeit jung, in der es noch keine „#MeToo“-Bewegung gab. Haben Sie da auch besondere Erfahrungen gesammelt? Christine Westermann: Ja, klar, wie die meisten Frauen in unserem Beruf. Es wussten alle, und allen war klar, dass man daran nichts ändern konnte. Ich bin mal von einem Mann als „Nutte“ bezeichnet worden, weil er bei mir nicht landen konnte. Aus gleichem Grund bin ich aus einem Job geflogen. Ich habe in mehr als 50 Jahren unzählige Konferenzen erlebt, die voller sexistischer Anspielungen und Witze waren. Ich bin nie empört aufgestanden, sondern immer pflichtschuldigst sitzen geblieben, weil ich es nicht anders kannte. Mache ich im nächsten Leben anders.

Christine Westermann mit Buch-Empfehlung ...

Der 75. ist auch eine Gelegenheit, über andere Geburtstage nachzudenken. Welcher war für Sie besonders spannend? Christine Westermann: Der 50., den ich zu meiner Zeit in San Francisco erlebt habe. Ich hatte mir vorgenommen, auf eine große Feier zu verzichten, lieber Vietnam zu besuchen, ein Land, das ganz tief in meinem Herzen verankert ist. Als ich dort war, durfte ich die Orte und Städte, die mich am meisten interessierten, nicht besuchen, weil gerade ein Taifun übers Land gerast war. So bin ich am Tag meines Geburtstages zurückgeflogen, war um 17 Uhr wieder in San Francisco. In meinem amerikanischen Kühlschrank lag immer eine Dose Hering in Tomatensoße und Vollkornbrot aus einem deutschen Laden. Und so habe ich mutterseelenallein auf meinen 50. mit einem kalten Bier angestoßen. Und war happy und zufrieden. Ein Geschenk von mir an mich.

Die letzte Frage geht an die berühmteste Buch-Empfehlerin Deutschlands: Was würden Sie Frauen jenseits des Mittelalters zu Weihnachten raten? Christine Westermann: Das Buch „Kleine Kratzer“ von Jane Campbell, einer über 80-jährigen Psychoanalytikerin. Sie schreibt wunderbar über Frauen, die schon ein bisschen älter sind, die sich nach Erotik und Sex in ihrem Leben sehnen, aber erleben, dass Männer für die über 60-Jährigen keine Augen mehr haben. Liebe Frauen über 60 und drüber: bitte lest diese Geschichten und amüsiert euch über die Männer.