Blut, Kot, offene Wunden und Menschen, die auf der Straße kollabieren: Am Kölner Neumarkt eskaliert die Drogen-Krise. Anwohner und Geschäftsleute schlagen Alarm – die Zustände sind unerträglich.
Verwahrlosung, Kot, BlutKölner Neumarkt versinkt im Drogen-Elend

Copyright: Arton Krasniqi
Ein Junkie schläft sein Rausch vor dem Eingang eines Mehrfamilienhauses an der Thieboldsgasse aus.
Montags ist der Horror-Tag am Neumarkt. Dann rückt eine Reinigungsfirma an, um die Spuren der Nacht zu beseitigen: Spritzen, Scherben, Essensreste. Mit dem Hochdruckreiniger werden Bierlachen, Blut, Kot und Urin weggespült. Erst dann trauen sich die ersten Kundinnen und Kunden in das Sanitätshaus Stortz. Geschäftsführer Walter Schuch sagt: „Manche kommen schon gar nicht mehr.“
Sein Geschäft liegt eingeklemmt zwischen dem Drogenkonsumraum im Gesundheitsamt und der Substitutionsambulanz in der Lungengasse. Was hier nachts passiert, ist kaum zu ertragen.
Schuch zeigt in seinem Büro Videos seiner Überwachungskamera. Bilder, die man nicht mehr vergisst. Darauf zu sehen: Ein Mann in Lederjacke sitzt an die gläserne Eingangstür gelehnt, die Hose halb heruntergelassen. Er schiebt sich die Jacke hoch, sein Rücken ist von oben bis unten mit blutigen Pusteln übersät. „Krätze im fortgeschrittenen Stadium“, sagt Schuch. „Hochansteckend.“
Kurz zuvor habe ein Mann auf dem Gehweg gelegen, aus seinem offenen Bein seien Maden gekrochen. „Wir erleben hier am Neumarkt ein Sozialexperiment allerbrutalsten Ausmaßes“, sagt Schuch, der auch Vorstand der Bürgerinitiative Neumarkt ist. Sein Fazit ist erschütternd: „So schlimm wie jetzt war es noch nie.“
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Ein Satz, den man am Neumarkt in diesen Tagen von allen hört: vom Kölner Polizeipräsidenten, vom Sozialdezernenten, von Anwohnern und Anwohnerinnen, Geschäftsleuten, Streetworkern, Passanten und Passantinnen und auch von den Drogensüchtigen selbst.
Problemveedel Neumarkt: Es muss sofort etwas passieren!
Und alle sind sich einig: Es muss sofort etwas passieren. Die befürchtete Crack- und Fentanyl-Welle hat Köln erreicht und den Neumarkt endgültig in ein Elendsviertel verwandelt, geprägt von Gewalt, Gesundheitsrisiken und Müll.
Die Szenen, die sich täglich abspielen, sind schockierend: An einem heißen Samstagnachmittag entblößt sich ein Mann vor dem Rautenstrauch-Joest-Museum und verrichtet sein Geschäft auf dem Radweg – direkt vor den Augen eines Jungen und seines Vaters.
Drei Tage später, 15.00 Uhr in der Thieboldsgasse. Anwohner Yassir Frayje muss einen Mann aus seinem Vorgarten wecken. „Hey Kollege“, ruft Frayje, „das ist kein Schlafplatz. Bitte steh auf, sonst muss ich die Polizei holen.“ Der Mann torkelt davon und legt sich fünfzig Meter weiter auf den heißen Asphalt. „Letztens“, sagt Frayje, „lag jemand quer vor meiner Eingangstür, ich musste über ihn drübersteigen, um ins Haus zu kommen.“ Er lacht bitter. Wegen seiner vierjährigen Tochter will er nur noch wegziehen.
Sein Nachbar, Issa Abu Daher, berichtet von Süchtigen, die auf seiner Mauer Crack rauchen und sich Spritzen setzen. Eine Frau erzählt, zwei Obdachlose hätten ein Zelt in ihrem Garagenhof aufgeschlagen. Als ihr Mann drohte, sie mit einem Gartenschlauch zu vertreiben, hätte einer gerufen: „Spritz mich nass, dann leg ich hier Feuer.“

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Walter Schuch, Geschäftsführer vom Sanitätshaus Stortz, fordert langfristige Lösungen und Ad-Hoc-Maßnahmen, um die desolate Situation rund um den Neumarkt zu verbessern.
Mittwoch, 16.00 Uhr am Josef-Haubrich-Hof: Geschrei, eine Schubserei. Ein Mann kocht Heroin auf Alufolie. Auf einer Bank ziehen ein Mann und eine Frau an Crackpfeifen, während eine Gruppe Kinder mit bunten Schwimmnudeln vorüberzieht.
Besonders krass ist die Lage im Parkhaus Cäcilienstraße. Der Gestank nach Fäkalien ist beißend, an den Wänden klebt Blut, Kot liegt vor den Wänden. Der Betreiber hat ein ganzes Parkdeck gesperrt. Das Museum Schnütgen warnt auf seiner Website vor „hygienischen Problemen“ und empfiehlt, woanders zu parken. Eine Kapitulation vor dem Elend.
Nachdem Polizeipräsident Johannes Hermanns den Drogenkonsumraum am Neumarkt als gescheitert bezeichnete und neue Lösungen wie eine ärztlich verordnete Abgabe von Drogen an Schwerstabhängige vorschlug, ist die Debatte in der Kölner Politik neu entfacht.
Walter Schuch fordert Ad-hoc-Maßnahmen: Die sichtbare Drogenszene müsse reduziert werden, und zwar „unter Wahrung rechtlicher und humanitärer Aspekte“. Sein Vorschlag: den Innenhof der Substitutionsambulanz als geschützte Aufenthaltsmöglichkeit herzurichten, statt Autos darin zu parken.
Denn auch darin sind sich alle einig: Den Dealern und Dealerinnen muss das Handwerk gelegt werden, aber den Suchtkranken muss geholfen werden. „Man muss sie behandeln, statt sie auf der Straße sich selbst zu überlassen“, sagt Schuch. Die ganze Stadtgesellschaft sei gefordert. „Alle, die Köln lieben“, findet er, „müssen diese Stadt wieder zu einer Stadt mit Gefühl machen.“ (red)