Ein Fall, der selbst den erfahrenen Richter fassungslos machte: Eine Kölner Mutter täuschte ihre eigene Entführung vor. Vor Gericht kam jetzt die ganze tragische Wahrheit ans Licht.
Absurder Prozess in KölnUrsprünglicher Plan von Mutter noch düsterer

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Die Angeklagte verdeckt im Amtsgericht Köln ihr Gesicht vor den anwesenden Pressefotografen und Pressefotografinnen. Rechts: ihre Verteidigerin Susanne Cziongalla.
Es ist ein Montagmorgen im Februar, 9.42 Uhr, als das Leben von Tiefbau-Spezialist Domenico R. (Name geändert) aus den Fugen gerät. Auf seinem Handy ploppt eine WhatsApp-Nachricht vom Handy seiner Frau auf, doch die Zeilen stammen von einem Fremden.
„Hallo Amore, wie viel ist dir deine Frau wert? Ich sage 5000 Euro“, steht da. Ein Schock!
Der angebliche Entführer fordert sofort 2500 Euro, am Nachmittag soll die gleiche Summe nochmal fließen. Als Lösegeld für seine Frau! Weitere Nachrichten erhöhen den Druck massiv: „Wir brauchen keine Polizei, wenn du deine Frau sehen möchtest“ und „Ich warte nur auf das Geld und dann kannst du deine Frau abholen.“
Um seine Drohung zu untermauern, schickt der Erpresser eine Sprachnachricht. Darin fleht die Stimme seiner Frau: „Gebt ihm, was er möchte, ich möchte nach Hause.“ Für Domenico R. bricht eine Welt zusammen. Er hatte bereits erfahren, dass seine Frau nicht bei der Arbeit aufgetaucht war. In heller Panik überweist er die geforderten 5000 Euro auf das Konto seiner Frau.
„Du kannst deine Frau vor dem Kölner Dom abholen“
Das Geld wird kurz darauf an einem Sparkassen-Automaten mit ihrer EC-Karte abgehoben. Am nächsten Morgen die erlösende, aber merkwürdige Nachricht: „Du kannst deine Frau vor dem Kölner Dom abholen.“ Die längst alarmierte Polizei eilt sofort zur Kathedrale. Dort finden die Beamten und Beamtinnen die Vermisste – bleich, zitternd und seltsam nervös. Bei ihr finden sie die 5000 Euro. Der ganze Schwindel fliegt auf.
Die Entführung: frei erfunden! Die Erpresserin: sie selbst! Die junge Mutter hatte die Nacht in einem Hotel verbracht. Wegen schwerer räuberischer Erpressung und Vortäuschens einer Straftat landet sie vor dem Schöffengericht in Köln, ihr droht eine Gefängnisstrafe.
Doch was im Prozess ans Licht kommt, ist eine Geschichte voller Verzweiflung. Nach außen hin die perfekte Ehefrau und Mutter, litt die 33-Jährige unter Depressionen, einer Spiel- und Kaufsucht. Ein Schuldenberg von 20.000 Euro hatte sich aufgetürmt. Zahlungsdienste wie Paypal und Klarna machten Druck.
Ursprünglicher Plan der Kölnerin noch düsterer
Mit brüchiger Stimme gesteht die Angeklagte: „Ich konnte mit niemandem darüber sprechen, ich fühlte mich ganz allein und wollte doch nur funktionieren und niemandem zur Last fallen.“ Ihr ursprünglicher Plan an jenem Tag sei noch viel düsterer gewesen: „Ich wollte mich umbringen, mit dem Auto gegen eine Wand fahren.“
Ihre Anwältin Susanne Cziongalla schildert ein herzzerreißendes Detail: In den Tagen vor der Tat sei sie zu ihren Söhnen (drei und acht Jahre alt) „extra ruppig“ gewesen. „Damit ihre beiden Kinder sie nicht zu sehr vermissen.“ Warum sie sich dann doch für die absurde Entführungs-Lüge entschied, kann sie selbst nicht mehr erklären.
„Ich bin froh, dass alles rausgekommen ist“, sagt die 33-Jährige. Sie fühle sich befreit und sei jetzt in Therapie. Das größte Glück: Ihr Ehemann hält zu ihr. Als die Polizei sie in die Psychiatrie brachte, „hat mein Mann mich sofort besucht und gesagt: ‚Wir fangen jetzt nochmal bei null an‘.“ Im Gerichtssaal reicht er ihr eine Apfelschorle – ein kleines Zeichen großer Verbundenheit.
Kölner Richter spricht mildes Urteil
Richter Rolf Krebber zeigte sich von der Leidensgeschichte beeindruckt. Trotzdem betonte der Vorsitzende die Schwere der Tat. Sie habe ihren Mann in Todesangst versetzt und einen riesigen Polizeieinsatz ausgelöst. Eine eigene Ermittlungsgruppe wurde eingerichtet, Spürhunde und Telefonüberwachungen kamen zum Einsatz.
Das Urteil: ein Jahr und zwei Monate Haft, ausgesetzt zur Bewährung. Die Staatsanwältin, die vier Monate mehr gefordert hatte, prüft noch, ob sie in Berufung geht. Richter Krebber gab der Frau mit auf den Weg: „Ich bin überzeugt davon, dass Sie keine Straftaten mehr begehen.“ Die Schulden hat inzwischen ihr Mann beglichen. (red)
