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Mit Hitler in den TodDas Geheimnis hinter diesem Kölner Haus

Eckhaus Luxemburger Str./Hochstadenstraße in Köln

Von der früheren Schokoladenfabrik Hewel & Veithen zeugt das historische Eingangsportal, um das herum nach dem Krieg ein Neubau entstand.

In der Reihe Kölner Geheimnisse geht es um die wenig bekannte Biographie des Kölner Unternehmersohns Walther Hewel. Der hochrangige Nationalsozialist und SS-Mann erlebte an der Seite von Adolf Hitler die letzten Tage im Berliner Führerbunker. EXPRESS.de war auf seinen Spuren in Köln.

Der Brief ist datiert auf den 22. Dezember 1943. Der deutsche Diplomat und Staatssekretär Walther Hewel, geboren am 25. März 1904 in Köln, ein Nazi der ersten Stunde, 1923 Putschist mit Hitler, Mitglied der SS, Sohn eines Kölner Schokoladenfabrikanten, von dessen Firma an der Luxemburger Straße 34 das opulente Eingangsportal die Zeit überdauert hat, schreibt aus dem Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ in Rastenburg in Ostpreußen: „Liebe Mutter und liebe Thesi, das 5. Kriegsweihnachten!“ Es wird noch ein sechstes Kriegsweihnachten geben. Weihnachten darauf ist der Verfasser des Briefes bereits tot.

Wer war Hewel? Die Spurensuche beginnt im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Köln (RWWA). Hewels Vater Anton gründete im Jahr 1875 die Firma „Hewel & Veithen“. Das Unternehmen stellt Schokolade her, Spezialmarke Rhenus, und „diätetische Präparate nach Dr. Lahmann“.

1883 zieht die Fabrik aus der Jahnstraße im Mauritiusviertel in die Gegend hinter dem Barbarossaplatz. In unmittelbarer Nähe der jetzigen Szenetreffs „Blue Shell“ und „Luxor“ an der Luxemburger Straße entsteht eine stattliche Fabrik. Der ehemalige Eingang zur Verwaltung ist heute die Tür zur Kneipe „Schmelztiegel“. Zum Portal gehören zwei Steinfiguren, die weibliche hält eine Kakaofrucht in der Hand.

Die Familie Hewel wohnt in der Immermannstraße 8 in Lindenthal. Vater Anton stammt aus Wehlen an der Mosel, Mutter Elsa ist eine geborene Freigräfin von Lindenfels. Das Paar hat drei Kinder: Sohn Walther und die Töchter Maria Theresia und Elsa Anitta – letztere heiratet 1932 den Ökonomen und Nazi-Gegner Karl Brandt und emigriert in die USA.

Firmenbroschüre Hewel & Veithen

Eine Zeichnung der Fabrik: Im Vordergrund das Verwaltungsgebäude, dahinter die Produktionshallen und rauchende Schlote

Walther besucht ein Kölner Realgymnasium, macht 1923 Abitur und schreibt sich im Fach der Wirtschaftsingenieurwissenschaften an der Technischen Hochschule München ein. In der Hauptstadt der rechtsextremen Bewegung beginnt sich der junge Kölner für die Ideen Adolf Hitlers zu begeistern, der seit 1921 Anführer der NSDAP ist.

Der Kölner Student ist als Fahnenträger in den vordersten Reihen dabei, als Hitler und seine Putschisten am 9. November 1923 in München mit Waffengewalt die „nationale Revolution“ ausrufen. Dieses Mal scheitern die Nazis noch. Wegen Beihilfe zum Hochverrat wird Walther Hewel zu einem Jahr und drei Monaten Festungshaft verurteilt. In Landsberg ist er Mithäftling von Hitler. Ende 1924 wird Hewel begnadigt.

Das Haus Luxemburger Straße 34 nach dem Zweiten Weltkrieg

Der Eingang zur ehemaligen Verwaltung der Schokoladenfabrik Hewel & Veithen wurde in der Zeit nach dem Krieg zugemauert.

Der Systemfeind, der das Studium zugunsten einer Kaufmannslehre abbricht, erlebt, wie sein Vater in Köln in wirtschaftliche Schieflage gerät. Die Kölner Archivdokumente zeigen, dass Hewel in den Jahren 1925 und 1926 Mitinhaber von „Hewel & Veithen“ wird – bis später Anton Veithen sämtliche Anteile an der Schokoladenfabrik übernimmt.

Hewel bewohnt zeitweise das wohlhabende Kölner Viertel Marienburg, er lebt im Haus Unter den Ulmen 142. Dr. Ulrich Soénius, Direktor des RWWA, benennt ein Detail: „Das Haus gehörte dem namhaften jüdischen Fabrikanten Ottmar Strauß, der Mitgründer und Teilhaber der Kölner Firma Otto Wolff, einem der führenden deutschen Stahlhandelshäuser, war.“ Der in der Weimarer Republik einflussreiche Industrielle verkaufte bereits im Jahr der Machtergreifung 1933 auf Druck des neuen Regimes seinen Firmenanteil weit unter Wert und ging später ins Exil in die Schweiz.

Gruppenbild mit Adolf Hitler

Walther Hewel, direkt hinter Hitler stehend, im Stab von Adolf Hitler im Juni 1940

Nach dem Ausscheiden aus dem väterlichen Betrieb entfaltet sich Hewels Karriere. Zwischen 1926 und 1936 hält er sich als Kaufmann im Ausland auf, ist Angestellter eines britischen Plantagenunternehmens in Niederländisch-Indien, dem heutigen Indonesien. Er wird Mitglied in der nationalsozialistischen Auslandsorganisation, der NSDAP/AO.

Zurück in Deutschland wird Hewel, dessen Kontakt zu Hitler wohl nie abgebrochen ist, quasi über Nacht zum Spitzendiplomat im Auswärtigen Amt: Er steigt auf zum Chef des persönlichen Stabes von Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop, wird Verbindungsbeamter zum Führer und Reichskanzler Adolf Hitler – und befindet sich jetzt in dessen engster Umgebung.

Als der britische Außenminister Neville Chamberlain im Herbst 1938 Hitler besucht, ist es Hewel, der dem Gast die Landkarte der Tschechoslowakei vor der Nase ausbreitet. Der Weg in den großen Krieg ist vorgezeichnet.

Der Kölner ist Akteur im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“

Hewel wird auch anwesend sein, als fünf Jahre später, am 13. Januar 1943, im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ erneut Karten auf den Tisch gelegt werden. Diesmal sind es Karten von Stalingrad. Sie zeigen die schwierige Situation der deutschen 6. Armee unter General Paulus. Der „Führer“ ist außer sich.

Walther Hewel vermutlich mit Geschäftskollegen und Freunden

Dieses Foto zeigt Walther Hewel (kniend) mutmaßlich in seiner Zeit als Kaufmann in Niederländisch-Indien (heute Indonesien).

Als Hewel jenen eingangs zitierten Brief an die Mutter und die Schwester schreibt, sind seine Heimatstadt Köln, die Reichshauptstadt Berlin und viele andere deutsche Städte nach zahllosen Luftangriffen der Alliierten bereits schwer getroffen. Bei einem dieser Angriffe – vermutlich in Berlin – waren Elsa und Thesi Hewel mit dem Leben davongekommen, wie aus dem zwei Tage vor dem Weihnachtsfest verfassten Schreiben hervorgeht. In diesem dankt Hewel „dem Allmächtigen“ dafür, dass seine Angehörigen „in einer grauenhaften Bombennacht“ und „wie durch ein Wunder [...] erhalten geblieben sind“.

Der Brief, der aus drei eng beschriebenen Seiten besteht, ist von einem weitläufigen Familienmitglied im März 2021 dem NS-Dokumentationszentrum in Köln überlassen worden. Er zeugt von Walter Hewels innerer Aufgewühltheit – und auch von der fürchterlichen Verirrung Deutschlands und der NS-Fanatiker, wie Hewel einer war.

Der Kölner in Hitlers Hofstaat vermag in zunehmend düsterer militärischer Lage im Diktator noch immer den Erlöser zu sehen. Er schreibt, vom „Führer“ strahle „heilige Zuversicht“, der „fanatische Glaube an den Sieg“ und die „eiskalte Gewissheit von der Richtigkeit seines Handelns“ aus – über die ganze Nation bis zum letzten Soldaten im Schützengraben und „alle, die ein offenes Herz haben, und auf die kommt es an.“

Doch selbst Hewel sieht in der zweiten Hälfte des Kriegsjahres 1944 klarer. Als ständiger Vertreter von Außenminister Ribbentrop vertritt der SS-Diplomat jetzt die Position, dass die Kriegssituation an der Ostfront einen Friedensschluss mit den Westmächten unbedingt erfordere.

Hitlers persönlicher Adjutant Otto Günsche wird den „Botschafter“, wie er ihn nennt, gegenüber Ermittlern im Nachkriegsdeutschland mit den Sätzen zitieren: „Worauf wartet der Führer? Er muss einen Entschluss fassen und einen Ausweg finden.“

Dr. Ulrich Soénius am Haus Luxemburger Straße 34

Dr. Ulrich Soénius, Direktor des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs, steht am Eingangsportal der Verwaltung des früheren Unternehmens „Hewel & Veithen“. Heute geht es hier in die Gaststätte Schmelztiegel.

Der „Führer“, verantwortlich für die größten Menschheitsverbrechen, verbringt die letzten Wochen bis zu seinem Tod im Bunker der Berliner Reichskanzlei. Unter den Getreuen ist auch Hewel. Erst, als das am Tag zuvor getraute Ehepaar Hitler sich erschossen hat, brechen die letzten Verbliebenen aus dem Bunker aus, durch die russischen Reihen und ihre Artillerie.

Die Gruppe gelangt durch einen U-Bahnschacht bis zum Bahnhof Friedrichstraße, dann über eine Fußgängerbrücke, die neben der umkämpften Weidendammer Brücke über die Spree führt, an das andere Ufer. Nach Günsches Schilderungen war es Hewel und den anderen am Mittag des 2. Mai 1945 gelungen, „über den Stettiner Bahnhof hinaus zu einer Brauerei“ durchzustoßen.

Als russische Soldaten das Gelände erreichen und die Männer auffordern, die Waffen niederzulegen, zerbeißt Walther Hewel eine Zyankalikapsel. Im selben Moment greift er zu seiner Pistole und erschießt sich. So ist es auch in Bernd Eichingers Endzeit-Film „Der Untergang“ (2004) dargestellt. Im Sommer zuvor hatte Hewel seine Ehefrau Blanda Ludwig in einem Schloss in der Nähe von Salzburg geheiratet.

Der Archivar und Historiker Ulrich Soénius glaubt, dass der SS-Brigadeführer und Top-Diplomat Hewel bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen angeklagt worden wäre, „weil er auf hoher Ebene in die Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt war“.

Die Schokoladenfirma „Hewel & Veithen“ wurde 1972 liquidiert.

Cover Kölner Geheimnisse Band 2 von Ayhan Demirci und Maira Schröer

Cover Kölner Geheimnisse Band 2 von Ayhan Demirci und Maira Schröer

Diese Geschichte stammt aus dem neuen Köln-Buch „Kölner Geheimnisse Band 2/ 50 neue spannende Geschichten aus der Dom-Metropole“, das im Bast-Verlag erschienen ist (192 Seiten, 24 Euro). Sieben Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes sind es diesmal die Autoren Ayhan Demirci und Maira Schröer, die sich auf die Spuren Kölner Geschichte begeben haben und ausgehend von Objekten und Relikten in der Stadt von außergewöhnlichen Begebenheiten erzählen.