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Interview

Bald wird er 100 Jahre altLudwig Sebus spricht über den Tod, Köln und die Forderungen an den Karneval

Ludwig Sebus steht auf seiner Terrasse.

Ludwig Sebus im Garten seines Hauses in Ossendorf. Dort steht ein Stück vom Kölner Dom, was er zum 75. Geburtstag geschenkt bekommen hat.

Sänger, Komponist und Vorzeige-Kölner Ludwig Sebus nähert sich seinem 100. Geburtstag. Im großen EXPRESS.de-Interview blickt er auf sein Leben zurück und hat wichtige Botschaften für die Zukunft.

von Marcel Schwamborn  (msw)Daniela Decker  (dd)

Er ist der Grandseigneur des kölschen Fastelovends. Mit Liedern wie „Luur ens vun Düx noh Kölle“, „Och Verwandte, dat sin Minsche“ und zuletzt „Wenn ich ne Engel bin“ mit Kasalla begeistert er alle Generationen.

Noch beeindruckender ist der Altmeister als Zeitzeuge. Wenn er von Krieg und Gefangenschaft, dem Wiederaufbau der Stadt und den Gefahren von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus erzählt, hören ihm alle gebannt zu.

Ludwig Sebus: So geht es ihm nach seinem schweren Sturz

In drei Monaten feiert der Sänger und Komponist seinen 100. Geburtstag. Mitte Februar machte sich ganz Köln große Sorgen um Sebus, denn bei einem Sturz in seinem Haus verletzte er sich schwer. Die Session war für ihn abrupt beendet.

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Beim Hausbesuch in Ossendorf erlebte EXPRESS.de nun jedoch wieder eine bestens aufgelegte Frohnatur. Während des Fernsehens strampelt er ein wenig auf dem Beintrainer. Haushälterin Inge Hellwig kriegt immer wieder einen frechen Spruch reingedrückt. Auch die Bundesliga-Chancen des 1. FC Köln interessieren ihn brennend.

Seit einem Jahr lebt auch ein Kater mit im Haushalt. „Der ist uns vor einem Jahr zugelaufen. Ich habe ihn Heino getauft, weil er so eine herrliche Stimme hat“, sagt der noch 99-Jährige mit einem herzhaften Lachen. Wenn ein kölsches Jahrhundert zu plaudern beginnt, dann hat er viel zu sagen.

Drei Monate nach dem schlimmen Sturz: Wie geht es Ihnen jetzt?

Ludwig Sebus: Viele haben schon gefragt: „Wo liegt er denn auf Melaten?“ (lacht) Ich habe immer noch ein dumpfes Gefühl im Kopf. Beim Gehen bin ich weiterhin unsicher. In der Schulter hatte ich ohnehin schon Arthrose, dann bin ich da auch noch draufgefallen. Von Kopf bis Fuß finde ich bestimmt 99 Problemchen an meinem Körper. Die Ärzte vermuten, dass beim Aufstehen mein Herz für eine Sekunde ausgesetzt hat. Deshalb wurde mir ein Gerät implantiert, um das langfristig zu kontrollieren.

Es gab damals Kritik, weil Sie nach dem Sturz ein Bild mit blutverschmiertem Gesicht veröffentlicht haben.

Ludwig Sebus: Es war gut, dass wir das Foto veröffentlicht haben. Viele haben angerufen und gesagt, dass ich doch trotzdem zu ihren Veranstaltungen kommen soll. Da war das Bild der Beleg, dass es wirklich nicht geht. Und an alle Kritiker: So etwas gehört auch zum Leben dazu.

Ludwig Sebus mit Inge Hellwig und Kater Heino.

Familienzuwachs bei Ludwig Sebus. Der Kater ist ihm und Haushälterin Inge Hellwig zugelaufen. Der Sänger hat das Tier Heino getauft.

Mit welchen Gedanken blicken Sie auf den nahenden 100. Geburtstag?

Ludwig Sebus: Die Zahl sagt mir nichts. Wichtig sind die Merkmale, die man im Leben erlebt hat. Ich habe keine Angst vorm Tod. Ich wünsche mir nur, dass es dann schnell geht und ich nicht lange leiden muss. Die seelische Haltung, die Zufriedenheit, ist das Wichtigste. Wenn man unzufrieden ist, zieht man die Krankheiten geradezu an.

Diese Einstellung bewundern alle an Ihnen. Sie strahlen immer, sind zu allen Menschen freundlich.

Ludwig Sebus: Ich habe schon schwere Malaisen, bin Pflegestufe vier. Aber wichtig ist, dass man Lebensfreude entwickelt. Ich brauche keine Bühne, keine Kamera und keine Öffentlichkeit mehr. Was ich brauche, sind Menschen um mich herum. Wenn ich Leuten mit meinen Erlebnissen und Erfahrungen helfen kann, dann freut mich das schon. Und bei den Menschen mache ich keinen Unterschied – egal ob Bürgermeister oder Toilettenfrau. Meine Devise lautet: Jeder braucht Anerkennung.

Sind Sie deshalb bei allen so beliebt?

Ludwig Sebus: Ich kenne ältere Leute, die jammern, dass sie niemand mehr anruft und sie einsam sind. Denen sage ich, dass sie auch Freundschaften in der Zeit pflegen müssen, wenn sie es nicht nötig haben.

Wie laufen denn die Vorbereitungen zum besonderen Geburtstag?

Ludwig Sebus: Ich will davon eigentlich gar nicht viel wissen. Karl Bergrath, der eine Zeitlang Obermeister der Friseur-Innung war, ist vor einer Woche beerdigt worden. Er war mein letzter Freund, weil wir gleichaltrig waren. Der wäre am vergangenen Dienstag 100 geworden. Er hatte schon alles vorbereitet, ist aber vor ein paar Wochen gefallen und hat sich vom Beckenbruch nicht mehr erholt.

Ludwig Sebus: Vor wenigen Tagen wurde sein letzter Freund beerdigt

Trotzdem ist ja einiges in Planung.

Ludwig Sebus: Gisbert Baltes hat vor über zehn Jahren bereits für den WDR einen Film über mich und mein Leben gemacht. Derzeit erstellt Dokumentarfilmer Christoph Simon einen neuen Film. Von den 18 angesetzten Drehtagen fehlen noch zwei. Ich weiß nur noch nicht, ob der Streifen zu meinem Geburtstag oder erst zu meinem Tod ausgestrahlt wird. Auch das ZDF hat sich angekündigt und will etwas über meine Lieder machen.

Wie werden Sie denn Ihren Geburtstag am 5. September verbringen?

Ludwig Sebus: Da möchte ich meine Ruhe haben. Ich werde mich mit Inge und den vier Kindern außerhalb von Köln aufhalten. Anschließend werden wir noch mal gruppenweise in der Familie zusammen feiern. Geburtstag bedeutet immer Stress, wo man mit keinem Gast ein vernünftiges Wort wechseln kann.

Ludwig Sebus beim Beintraining auf dem Sofa.

Auch mit fast 100 Jahren achtet Ludwig Sebus auf seine Fitness. Beim Fernsehen nutzt er einen Beintrainer.

Am 7. September gibt es ein Konzert in der bereits ausverkauften Philharmonie für Sie. Worauf freuen Sie sich da?

Ludwig Sebus: Was genau passiert, weiß ich gar nicht. Kasalla, die Bläck Fööss, JP Weber, Wicky Junggeburth, Et Klimpermännche und viele andere sind dabei. Es haben auch schon einige angerufen, die nachfragen, warum sie nicht im Programm sind. Die Planungen hat aber Joachim Wüst von der Großen Kölner KG übernommen. Dem habe ich gesagt: „Ich bin auf jeden Fall bei euch. Entweder von oben oder mit im Saal“ (lacht). Ich möchte eigentlich nur ein Lied singen, was alles über mich aussagt: „Alles su widder dun“.

Hat die Stadt Köln sich auch schon geäußert, wie sie Sie ehren möchte?

Ludwig Sebus: Auch da lasse ich mich überraschen. Ich habe aber eigentlich alles, was die Stadt zu bieten hat, schon bekommen. Ich stehe im Gästebuch und eine Seite hinter Queen Elizabeth II. im Goldenen Buch. Im Grunde ist mir das auch nicht wichtig. Wenn ich die Menschen erreiche, bedeutet es mir viel. Alles andere ist doch Kokolores. Als ich in den Karneval kam, habe ich einen wichtigen Rat bekommen. Man darf sich nicht zu wichtig nehmen. Mit „Dreimol Kölle alaaf“ ist alles bezahlt, dann kommt die nächste Nummer.

Planen Sie zum Geburtstag eventuell ein neues Lied?

Ludwig Sebus: Ich habe über 250 Lieder geschrieben, rund die Hälfte für mich. Mozart oder Beethoven war es nicht vergönnt, mit 99 Jahren Lieder zu schreiben, weil sie viel früher verstorben sind. Ich will es nicht ausschließen. Dazu brauche ich aber eine Idee, die ein bisschen nachhaltiger ist.

Erzählen Sie doch noch einmal von Ihren Anfängen.

Ludwig Sebus: Als Krätzchensänger hatte ich anfangs eine starke Mauer von Größen wie Karl Berbuer, Jupp Schmitz, Jupp Schlösser oder Fritz Weber vor mir. Die meisten denken zwar, dass ich nichts anderes im Leben gemacht hätte, aber für mich war der Karneval eigentlich nur ein Hobby. Ursprünglich habe ich beim Landmaschinenhersteller Lanz Industriekaufmann gelernt. Die Prüfung konnte ich zum Glück noch vor dem Krieg ablegen. In meinem Vertrag hatte ich die Garantie, dass ich nach dem Wehrdienst eingestellt werde.

1943 wurden Sie jedoch als Soldat eingezogen und kamen nach Russland.

Ludwig Sebus: Als ich dann nach fünfjähriger Kriegsgefangenschaft zurück nach Köln gekommen bin, konnte ich in der Firma direkt wieder anfangen und habe mich um den Vertrieb des bekannten Ackerschleppers Bulldog gekümmert. Später hat uns das US-Unternehmen John Deere übernommen. Insgesamt war ich 30 Jahre in der Firma, in den letzten zehn Jahren Regionalverkaufsleiter West.

Ludwig Sebus mit Tochter Ulla und Enkelin Lucia.

Zum 99. Geburtstag trug sich Ludwig Sebus in das Gästebuch der Stadt Köln ein. Mit dabei waren seine Tochter Ulla (l.) und seine Enkeltochter Lucia.

Welche Wünsche möchten Sie sich noch erfüllen?

Ludwig Sebus: Wenn man mit 99 Jahren Dinge noch nicht geregelt hat, braucht man das auch mit 100 nicht mehr zu machen. Ich möchte, wenn es irgendwie geht, morgens nicht mehr wach werden. Ich habe ein Testament gemacht. Alle vier Kinder werden gleichbehandelt. Nach meinem Tod wünsche ich mir – wie bei meiner Frau Lilo – einen offiziellen Gottesdienst, zu dem alle eingeladen sind, die sich von mir verabschieden wollen. Die Beerdigung selbst soll nur im engsten Familienkreis stattfinden. Wobei eng bei unserer Familie ja auch schon weit über 30 Personen bedeutet. Da braucht man fast schon Namensschilder (lacht).

Ein Wunsch liegt Ihnen aber doch am Herzen.

Ludwig Sebus: Ich bin dankbar dafür, dass die Jugend mir zuhört. Da sind immer alle ganz aufmerksam, wenn ich erzähle, was ich in deren Alter mitgemacht habe. In meinen 100 Jahren hat sich mehr entwickelt als in 500 Jahren im Mittelalter. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, in denen elektrisches Licht, Heizung, Duschen mit warmem Wasser und richtige Toiletten nicht selbstverständlich waren. Die wichtigste Botschaft lautet: Wenn die Unfreiheit aufhört oder man nicht mehr das sagen darf, was man will, das ist so furchtbar. Wir müssen in der Demokratie aufpassen. Man sieht an Trump, wie schnell es gehen kann, dass einer einfach Gesetze ändern kann.

Fehlt Ihnen diese Haltung inzwischen im Karneval?

Ludwig Sebus: Das umsorgt mich schon, dass es so oft nur um Party in den Sälen geht. In der Bütt muss der Finger in die Wunden gelegt werden, da sollte jeder auch zuhören. Ich habe den Wunsch, dass es weiterhin Menschen gibt, die nicht versagen und deutlich Probleme in der Welt aufzeigen und davor warnen, wohin Dinge rutschen können. Die Gleichgültigkeit ist ein Haupt-Faktor, dass so viele Despoten an die Macht kommen.

Also nicht nur „En unserem Veedel“ singen, sondern auch so handeln?

Ludwig Sebus: Die kölsche Siel zeichnet sich dadurch aus, dass man sich gegenseitig hilft. Daher der schöne Spruch „Der liebe Gott sieht alles, aber die Nachbarschaft sieht mehr“. Es geht nicht nur darum, miteinander zu feiern. Man muss auch füreinander da sein. Jeder muss begreifen, dass das Leben ein Nehmen und Geben ist. Ich wünsche mir, dass die Menschen immer noch für andere Verantwortung tragen.

Ludwig Sebus mit Volker Weininger.

Der Karneval ist seine Welt. Ludwig Sebus mit „Sitzungspräsident“ Volker Weininger bei den „Löstigen Tasmaniern“.

Wenn Sie auf die Stadt schauen: Ist das noch Ihr Köln, das sie so lieben?

Ludwig Sebus: Teilweise. In dem Tempo, wie sich die Gesellschaft technisch entwickelt hat, hat sich das menschliche Gewissen nicht entwickelt. Viel zu viele sind nur auf Eigennutz aus, es gibt zu viel Egoismus. Dafür sind viele Dinge verantwortlich, das Elternhaus beispielsweise. Wir kommen nicht umhin, dass wir uns gegenseitig stützen.

Warum ist das abhandengekommen?

Ludwig Sebus: Die Zivilisation bringt uns an den Rand der vollkommenen Zufriedenheit. Aber das Umgehen damit würdigen wir mit unserem Benehmen nicht. Wenn sich die Menschen der Stadt gegenüber ein bisschen mehr verpflichtet fühlen würden, wäre uns allen geholfen. Bei vielen habe ich den Eindruck, sie können nur noch absahnen und genießen. Und noch etwas stört mich.

Ludwig Sebus: Die kölsche Sprache sollte mehr gepflegt werden

Was denn?

Ludwig Sebus: Die kölsche Sprache sollte mehr gepflegt werden. Dass es nur einmal im Jahr einen Tag dafür gibt, ist mir zu wenig nachhaltig. Ich wünsche mir, dass auch die Chöre, die gerne kölsche Lieder singen, nach dem Auftritt Kölsch sprechen. Die Karnevalsvereine könnten beispielsweise vereinbaren, dass bei jedem Treffen in der ersten Stunde nur Kölsch gesprochen wird.

Immerhin hält die kölsche Musik die Mundart lebendig.

Ludwig Sebus: Manchmal habe ich bei den jungen Bands aber das Gefühl, dass sie mit der Sprache etwas oberflächlich umgehen. Sie können sich gerne Rat holen. Kasalla haben mich auch schon mal gefragt, ob gewisse Formulierungen richtig sind. Die Vielseitigkeit der kölschen Sprache ist enorm. Pänz ist beispielsweise ein eher negativ behafteter Ausdruck. Es gibt auch noch Jüngelche, Stoppe, Ditzje, Fetz und vieles mehr.