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Führung durch Kölner Drogen-SzeneEx-Junkie: „War froh über diesen Platz“

Markus vor seinem letzten Schlafplatz auf der Straße

Markus vor seinem letzten Schlafplatz auf der Straße in Köln.

Vom Drogensumpf zum Stadtführer: Markus (41) war jahrelang crack- und heroinabhängig, lebte auf der Straße. Heute kämpft er gegen das Elend am Kölner Neumarkt und hat eine drastische Warnung für alle.

„Willkommen in der Casa de Markus“, sagt Markus (41) und zeigt mit seinem Gehstock mit Totenkopf-Griff auf eine unscheinbare Nische in der Breite Straße. Hinter einer Glastür mit der Aufschrift „Notausgang! Bitte unbedingt freihalten“ war früher sein Zuhause. Sein letzter Schlafplatz auf der Straße, nur wenige Meter vom berüchtigten Kölner Neumarkt entfernt.

Neun Jahre ist das her. „Ich war froh, diesen Platz gehabt zu haben“, erzählt er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ heute. Der Ort bot Schutz vor Regen, er fühlte sich durch Kameras sicher. Und: „Der Weg zu den Drogen war auch nicht weit.“ Wenn er heute daran zurückdenkt, wird ihm schlecht. „Dann wird mir ganz anders.“

Der Kölner Neumarkt ist seit Jahrzehnten ein Brennpunkt der Drogenszene. Doch die Lage eskaliert, seit die Billig-Droge Crack alles überschwemmt. Der Platz ist bundesweit zum Schandfleck geworden, ein Symbol für Elend und Kriminalität.

Markus, heute 41, ganz in Schwarz, war mittendrin. Er hat hier gelebt, konsumiert, geschlafen. Doch der Neumarkt war für ihn nicht nur die Hölle, sondern auch der Ort seiner Rettung. Hier traf er die Frau, die ihm aus der Sucht half. Heute will er etwas zurückgeben. Zusammen mit dem Instagram-Kanal „koeln.trash“ bietet er Führungen an, um aufzuklären. Seine Mission: „Wir wollen verhindern, dass Köln zum Shithole wird.“

Besondere Führungen über die Drogenszene am Neumarkt

Dabei hätte alles anders kommen können. Markus wuchs als Adoptivkind in einem gutbürgerlichen Haus auf, der Vater Richter, die Mutter Lehrerin. „Ich hatte wirklich alle Möglichkeiten“, sagt er nachdenklich.

Doch der Druck war zu groß. „Meine Eltern wollten aus mir etwas machen, was ich nicht war. Dagegen habe ich rebelliert – und irgendwann ist es eskaliert.“ Mit elf der erste Joint, der Beginn einer langen Suchtkarriere. „Ich dachte: Dieses Gefühl will ich für immer. Mein Selbsterhaltungstrieb war komplett ausgeschaltet.“

Der Absturz war rasant. Mit elf ging er freiwillig ins Kinderheim, mit 15 landete er im Heim für schwer erziehbare Kinder, nahm Ecstasy und Speed. Mit 18 war er auf sich allein gestellt. „Ich war ein dummes Kind in der freien Welt und kannte nur Drogen“, erzählt er. Er begann zu dealen, nahm Heroin, später Kokain und Crack.

Markus war jahrelang Crack- und Heroinabhängig. Heute gibt er Rundgänge über den Neumarkt.

Markus war jahrelang crack- und heroinabhängig. Heute gibt er Rundgänge über den Neumarkt.

Wegen Betrugs landete er im Knast. Nach der Entlassung der totale Absturz. „Ein halbes Jahr später war ich schwerstabhängig auf der Straße“, sagt Markus. Ein Jahrzehnt lang lebte er auf der Straße, sieben Jahre davon im Drogen-Hotspot Frankfurt.

„Ich habe viele Leute sterben sehen und wusste, was mir blüht“, so Markus. Eines Morgens wachte er auf und ein letzter Funke Überlebenswille flammte auf. Er floh vor dem Crack aus Frankfurt nach Köln. Die Hoffnung: eine kleinere Szene, bessere Hilfe, kein Crack.

Doch als er 2016 in Köln ankam, der Schock: „Es war krass, wie sehr der offene Konsum auf der Straße angekommen war.“ Heute sei es noch schlimmer: „Crack macht den Neumarkt zur Hölle. Die Szene ist aggressiver – und komplett anders, als ich sie kannte.“

„Szene verlagert sich einfach nach Ehrenfeld“

Auf einer Bank in der Zeppelinstraße, einer weiteren Station seiner Tour, fand sein Leben eine entscheidende Wendung. „Für mich ist das ein schicksalhafter Ort.“ Hier kam er 2016 mit einer Frau ins Gespräch, die ihm Geld gab. Sie kam wieder, jeden Tag. Es war der Beginn einer Liebe, die ihn von der Straße holte. „Heute besteht kaum noch Gefahr, rückfällig zu werden. Aber es bleibt ein Kampf.“

Am Neumarkt angekommen, zeigt Markus auf die aufgereihten Wagen der Polizei und winkt ab. Eine Passantin fragt erschrocken: „Was sollen denn die ganzen Polizistinnen und Polizisten hier?“ Markus' knappe Antwort: „Die jagen die Suchtkranken weg.“ Für ihn ist das keine Lösung. „Dafür verlagert sich die Szene nun einfach nach Ehrenfeld.“

Markus glaubt, dass Polizeipräsenz alleine nicht viel bringen wird.

Markus glaubt, dass Polizeipräsenz alleine nicht viel bringen wird.

Was also tun? Markus befürwortet das „Zürcher Modell“ mit Drogenhilfszentren, in denen auch ärztliche Hilfe und sogar Kleinhandel möglich sind, um die Szene von der Straße zu holen. Doch das dauert.

Als Sofortmaßnahme schlägt er einen Hilfs-Bus am Neumarkt vor. Dort könnten Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen helfen und der Bus als Postadresse für Behördengänge dienen. „Das könnte für viele ein erster Schritt aus der Sucht sein“, ist Markus überzeugt.

Mit seinen Touren will er die Augen der Menschen öffnen. „Wenn ich zeige und erzähle, was ich erlebt habe, entsteht ein größeres Bewusstsein für die Lage“, hofft er. Sein bescheidenes Ziel: „Wenn ich so nur eine Person von den Drogen abhalten kann, dann habe ich schon gewonnen.“

Wer an einer Führung teilnehmen möchte, kann sich unter https://koelntrash.simplybook.it/v2/ melden. Eine Führung kostet für Erwachsene 20, für Studentinnen und Studenten 15 und für Schülerinnen und Schüler 10 Euro. (red)