Ein Jahr vor Heim-EMDFB-Bosse stecken in Klemme: Flick steuert auf viertes Turnier-Desaster zu

Deutschlands Trainer Hansi Flick (2.v.l.), sitzt neben Deutschlands Assistenztrainer Marcus Sorg (l) auf der Bank.

Ratlos und erfolglos. Hansi Flick mit seinem Trainerteam beim Länderspiel am 12. Juni 2023 in Bremen gegen die Ukraine.

In einem Jahr geht die EM in Deutschland los. Der Gastgeber dürfte nicht zu den Favoriten gehören. Die Nationalmannschaft steckt unter Hansi Flick weiter in der Krise. Ein Kommentar zur Situation.

von Marcel Schwamborn (msw)

Am Mittwoch (14. Juni 2023) will Fußball-Deutschland ein großes Signal senden. Genau ein Jahr vor der Heim-EM wird es in allen zehn Spielstätten Aktionen geben. Bundeskanzler Olaf Scholz (64) und Innenministerin Nancy Faeser (52) empfangen eine DFB- und EM-Delegation im Kanzlergarten. Spieler und Trainer besuchen eine Aktion in der Frankfurter Innenstadt.

Viele gewaltige Fotos sollen entstehen. Aber das eindrucksvollste Bild hat am Montag die Nationalmannschaft in Bremen geliefert. Dieses Team erzeugt alles, nur keine Vorfreude auf das Turnier in zwölf Monaten. Statt Aufbruchstimmung zu erzeugen, spielt Deutschland das Stadion leer.

Hansi Flick beschwört Geist vom Sommermärchen 2006

Hansi Flick (58) kramte nach dem enttäuschenden 3:3 gegen die Ukraine im Gespräch mit der Presse in der Geschichte. „Viele waren schon 2006 im März dabei, da hat man 1:4 in Italien verloren, es war eine wahnsinnig negative Stimmung. Trotzdem ist es ein Sommermärchen geworden“, beschwor der Bundestrainer.

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Doch die Plattitüden, die seit 2018 zu hören sind, klingen wie eine leiernde Schallplatte: „Wir wissen, dass viel Arbeit vor uns liegt. Wir müssen diese Fehler in den kommenden Spielen abstellen. Wir müssen kompromissloser verteidigen“. Diese Erkenntnisse waren auch vor den Turnieren 2018, 2021 und 2022 da, es folgten drei Enttäuschungen.

DFB-Präsident Bernd Neuendorf (l-r), DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke sitzen neben Rudi Völler.

Jetzt ist guter Rat teuer. Das Führungstrio Bernd Neuendorf, Hans-Joachim Watzke und Rudi Völler erlebte das bittere Länderspiel in Bremen mit ernstem Blick.

Warum sollte also 2024 mit diesen Akteuren und diesem Trainer plötzlich alles besser werden? DFB-Präsident Bernd Neuendorf (61), sein Einflüsterer Hans-Joachim Watzke (63) und neuerdings auch Sportdirektor Rudi Völler (63) stecken in der Klemme. Nach dem Katar-Fiasko wurde Flick ohne große Analyse und Bedenkzeit durch die Bosse vorschnell das Vertrauen ausgesprochen.

Auch Völler sicherte Flick, der inzwischen nur noch vier der letzten 14 Spiele gewinnen konnte, sofort totale Rückendeckung zu. Deshalb dürfte nun auch niemand aus dem Trio den Daumen in Sachen Trainer senken. Bleibt auch die Frage nach den Alternativen. Jürgen Klopp (55), der im Grunde der einzige Kandidat wäre, um noch ein wenig EM-Euphorie zu zünden, hat in Liverpool bis 2026 verlängert. Julian Nagelsmann (35) flirtet mit PSG.

Geld hat der DFB ohnehin nicht. Nach den drei Turnier-Flops beläuft sich das Minus im Haushalt für dieses Jahr schon auf 19,5 Millionen Euro. Da kann auch ein Trainerteam nicht mal eben so ausgetauscht werden. Die Chance auf den echten Neuanfang wurde nach der Katar-WM vertan.

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Flick verplemperte die März-Länderspiele, sorgte nun erneut durch seine Nominierung und Aufstellung fernab des Leistungsprinzips für Fragezeichen. Die Defizite im deutschen Fußball (fehlende Stürmer, fehlende Top-Außenverteidiger, sich selbst überschätzende Möchtegern-Führungsspieler) kann auch der Bundes-Hansi nicht beheben, er verwaltet sie nur.

Stattdessen wird wild am System experimentiert. Statt die wenigen Länderspiele vor der EM zu nutzen, um wenigstens einem Stammgerüst ein paar Automatismen einzuschleifen, wirft Flick planlos Spieler auf verschiedensten Positionen ins Rennen und spricht von Erkenntnissen, die er gewinnen will. Doch in Wahrheit liegt hinter den Experimenten kein wirklicher Plan.

Ein Jahr vor der Heim-EM sollte sich Fußball-Deutschland andere Ziele setzen

Die gewisse Gleichgültigkeit, die viele Fans inzwischen der Nationalmannschaft gegenüber empfinden, ist die Quittung. Vor dem Sommermärchen 2006 sang Herbert Grönemeyer (67) „Zeit, dass sich was dreht“. Dieses Motto gilt auch für die Situation unter Hansi Flick. Nur glaubt so recht keiner daran.

Vielleicht sollte sich Deutschland darauf beschränken, 2024 ein guter EM-Gastgeber zu sein. Als Titelaspirant dürfte man in dieser Konstellation nicht ins Rennen gehen. Vielmehr riecht alles nach dem vierten Desaster in Folge.