Souverän, informiert und nicht aus der Ruhe zu bringen - so wirkte Bundeskanzler Friedrich Merz nach seiner ersten Woche im Amt bei Maybrit Illner. Vom ungeduldigen Oppositionsführer war keine Spur. Der CDU-Politiker präsentierte sich als Opa der Nation - und zitierte sogar „Mutti“ Merkel.
Nach „Mutti“ MerkelMerz präsentiert sich bei Maybrit Illner als „Großvater der Nation“

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Friedrich Merz sprach bei Maybrit Illner über seine erste Woche als Bundeskanzler.
Deutschland ist in guten Händen. Bei seinem ersten Talkshowauftritt als Bundeskanzler wollte Friedrich Merz am Donnerstagabend bei Maybrit Illner Sicherheit und Zuversicht verbreiten. Dass er vor einer Woche erst nach einem zweiten Wahlgang ins Kanzleramt einziehen durfte, schien vergessen: Der 69-Jährige gab sich souverän, entspannt - und erinnerte damit eher an seine Vorgängerin Angela Merkel als an den ungeduldigen Oppositionsführer der letzten Jahre.
Mit „Wir schaffen das!“ hatte diese 2015 den Zusammenhalt Deutschlands angesichts der Flüchtlingswellen heraufbeschworen. Die Aussage von Merz am 15. Mai 2025 klang verblüffend ähnlich: „Können wir in diesem Land gemeinsam die Ärmel aufkrempeln und sagen, wir packen das jetzt mal an und schaffen das. Ich glaube, das geht.“
Von dieser Überzeugung ließ er sich auch von Maybrit Illner nicht abbringen, die ihn eine gute Stunde zu Themen wie Ukraine, Migration, Wirtschaft, Klima und der Zusammenarbeit mit der Linken sowie der AfD befragte. Dass er nicht zu allen abschließende Antworten parat hatte, konnte er erklären: „Wir sind seit gut einer Woche im Amt“, da könnte man nicht in wenigen Tagen Lösungen erwarten.
„Es sind Prozesse, es wird dauern“, vernahm die Moderatorin an diesem Abend öfter. Genauso wie den Begriff der „gewaltigen Kraftanstrengungen“, die Merz auch seinem Kabinett abverlangte: „Ich lege diese Maßstäbe zuallererst bei uns selbst an“, versicherte er.
Friedrich Merz: Großvater der Nation
Die Nachrichten des Tages zeichneten ein anderes Bild, kam Illner auf zahlreiche sich widersprechende Äußerungen etwa zu Taurus-Lieferungen oder der Abschaffung des Lieferkettengesetzes zu sprechen. „Wie kann man gleich so streiten?“, wollte sie wissen. Sie hätte bloß einige Meldungen herausgenommen, winkte Merz ab, generell herrsche eine „gute Arbeitsatmosphäre“.
„Dass man am Anfang einer Regierung den einen oder andere Punkt setzt, der einem selbst wichtiger als dem Koalitionspartner ist, das ist normal“, fuhr er fort. Die Koalition bestehe einfach aus drei unterschiedlichen Parteien, die „die unterschiedlichen Auffassungen nicht an der Garderobe abgegeben hätten“. Die Ziele und großen Vorhaben des Koalitionsvertrags würden entsprechend umgesetzt. „Wir sprechen mit einer Stimme“, betonte Merz immer wieder.
„Dass die großen Länder Europas mit einer Stimme sprechen“, dieses Ziel hätte auch seine europäische Ukraine-Initiative erreicht. Auf das Treffen von vier europäischen Staats- und Regierungschefs in Kiew, verbunden mit einem Ultimatum und einem Sanktionspaket gegen Russland, war Merz stolz. Den sofortigen Frieden hätte er ohnehin nicht erwartet. „Der Prozess wird über Wochen und Monate dauern“, machte er sich keine Illusionen. Immerhin würde das Sanktionspaket nächsten Dienstag in Brüssel beschlossen, ein Weiteres wäre genauso in Vorbereitung wie eine ähnliche Initiative im amerikanischen Senat. „Das wäre nicht der Fall, wenn es nicht die Gespräche gegeben hätte“, betonte er und wollte zudem - wo immer möglich - mit den USA zusammenarbeiten.
Ob Putin sich über dieses 17. Sanktionspaket nicht „totlache“, meinte Illner. Die Europäer hätten schließlich mehr Geld für Öl und Gas aus Russland ausgegeben, als für die Ukraine-Hilfen. Da reagierte Merz empört: „Aber Frau Illner, das ist doch das Wesen eines solchen komplexen Prozesses!“, rief er aus und holte zur Geschichtsstunde aus: Kriege würden meist durch militärische Erschöpfung auf mindestens einer Seite beendet. „Da sind wir noch nicht“, gestand er ein, wollte sich aber einen Vorwurf nicht machen lassen: „Jetzt soll mal jemand sagen, wir hätten uns in den letzten Tagen nicht genügend diplomatisch bemüht, diesen Krieg zu beenden.“
Ob er durch die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern auch militärisch ein Ende des Kriegs herbeiführen wollte, blieb hingegen offen. Hatte er sich als Oppositionsführer noch lautstark dafür ausgesprochen, zeigte sich Bundeskanzler Merz plötzlich zugeknöpft. „Der Taurus wird hochgejazzt bis unterhalb der atomaren Schwelle“, argumentierte er schwammig. Das wäre falsch. Großbritannien und Frankreich lieferten bereits angemessene Marschflugkörper, zudem müsste man zuerst ausbilden. Mehr wollte er dazu nicht sagen. Schließlich weigerte er sich, den strategischen Fehler der Ampel fortzusetzen, öffentlich über Waffenlieferungen zu diskutieren. „Putin kann doch auch Deutsch und guckt die Tagesschau“, erklärte er - oder eben das ZDF, ergänzte er.
Grenzkontrollen für „Übergangszeit“: „Die Kontrollen sind möglich, rechtlich zulässig und werden durchgeführt“
Nach der Außenpolitik ging Maybrit Illner zu einem weiteren wichtigen Thema im Regierungsprogramm, der Migrationspolitik. Innenminister Alexander Dobrindt hatte am ersten Tag Grenzkontrollen auf Grundlage des Deutschen Asylgesetzes angeordnet. „Die Kontrollen sind möglich, rechtlich zulässig und werden durchgeführt“, betonte Merz, machte sich aber gleichzeitig als „wirklich überzeugter Europäer“ für die Errungenschaft der offenen Grenzen stark. Deshalb wären die jetzigen Maßnahmen nur für eine „Übergangszeit“ angedacht, bis eine gemeinsame europäische Lösung umgesetzt wäre.
„Wahnsinnig schnell gehen“ sollte es auch beim dritten Schwerpunktthema Wirtschaft. Das hatte die Regierung versprochen - allein konkrete Maßnahmen blieb sie noch ausständig. „Das Wichtigste ist Planungssicherheit“, wiederholte Merz in der Talkshow Gesagtes der Vergangenheit, „die Verlässlichkeit wollen wir so schnell wie möglich schaffen“. Das soll durch Abschreibungen, die gestaffelte Absenkung der Körperschaftssteuer, das Ende des Lieferkettengesetzes und den Rückbau der Bürokratie passieren. Außerdem würde man Instrumente schaffen, um private Investitionen anzulocken - denn „500 Milliarden Euro pro Jahr klingen viel“, auf zehn Jahre verteilt wäre es offensichtlich nicht genug.
„Wir machen Klimaschutz jetzt anders“
„Die Wirtschaft ist besprochen, doch was tun Sie für die einfachen Leute?“, traf Illner mit ihrer nächsten Frage einen wunden Punkt. Damit von Brutto mehr Netto übrig bliebe, müsste zu einem kleinen Teil über Steuern nachgeholfen werden. Einen Großteil würde aber die Reform der Sozial- und Rentenversicherung ausmachen, wusste Merz. Aber: „Ich gebe zu, wir hätten über eine Reform der Sozialversicherung mehr in den Koalitionsvertrag schreiben müssen. Dazu hatte die Zeit nicht gereicht. Das werden wir nachholen müssen.“ Man könnte schließlich nicht auf dem „Rücken der jungen Generation das austragen, was die Generation ihrer Eltern versäumt hat zu tun“, zitierte er aus seiner eigenen Antrittsrede, „diese Generation der Eltern bin ich auch“.
An seine Verantwortung als Vater und vor allem Großvater erinnerte ihn Illner und brachte das Thema Klimaschutz zur Sprache. Die Ampel hätte auf Druck der Grünen Klimaschutz „so überhöht, so übermoralisiert, dass sich die Menschen vom Thema abgewandt haben“, ätzte Merz auf seine Vorgänger. „Wir machen Klimaschutz jetzt anders“, betonte er, „nicht mit dem erhobenen Zeigefinger“ und indem man die Unternehmen „nicht aus Deutschland“ treibe.
Zur AfD: „Wir könnten dieser Partei keinen besseren Gefallen tun als mit einer Verbotsdebatte oder einem Verbot“
Die meisten dieser Vorhaben wären mit der Mehrheit in der Koalition umzusetzen, gab sich Merz bis zum Schluss optimistisch. In Verhandlungen mit der Linken oder der AfD sah er sich nicht, äußerte aber Vorbehalte gegen ein Parteienverbot von Letzterer. „Wir könnten dieser Partei keinen besseren Gefallen tun als mit einer Verbotsdebatte oder einem Verbot“, appellierte er daran, sich inhaltlich auseinanderzusetzen, um Rechts- und Linkspopulismus nicht zu erstarken.
Ob die Regierung Erfolg haben werde, weil sie muss, wollte Illner abschließend wissen. „Nein, weil sie es will und entschlossen ist, dieses Land besser zu führen als in der Vergangenheit“, widersprach Merz und geriet ins Schwärmen: So divers, so unterschiedlich wäre noch keine Bundesregierung zusammengesetzt gewesen. Zwei wären in Russland geboren und hätten eine spannende Einwanderungsgeschichte. Eine Ministerin wäre schwanger, und „ich, der Großvater“, lächelte er und seine Augen leuchteten. Das überzeugte sogar Maybrit Illner: „Ein Bundeskanzler, der offensichtlich ein Fan seines Kabinetts ist“, meinte sie. Wäre nur die Frage, wie sehr die Bevölkerung ein Fan der Regierung werde. (tsch)