Die Welt befindet sich in vielerlei Hinsicht in turbulenten Zeiten. Bei „Markus Lanz“ äußerte sich Joachim Gauck aktuell nicht nur deutlich zur deutschen Kriegstüchtigkeit, sondern er fand auch kritische Worte in Bezug auf die israelischen Militärschläge in Gaza. Worte, die ihm nicht leicht fielen.
„Das sage ich quasi unter Tränen“Joachim Gauck übt Kritik an der israelischen Regierung
Vor seiner alljährlichen Sommerpause lud ZDF-Moderator Markus Lanz den ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck zum traditionellen Einzelgespräch ein. Dabei sprach er nicht nur über die Investitionen in die deutsche Bundeswehr, sondern auch über die steigende Popularität autoritärer Regimes. Auf die Frage, warum das Autoritäre plötzlich wieder „so attraktiv“ zu sein scheint, antwortete Gauck nüchtern, dass sich „das große Versprechen der Freiheit“ für viele Menschen als große Enttäuschung entpuppt habe. Das Ergebnis? „Eine große Unsicherheit“.
Gauck erklärte in dem Zusammenhang: „Es ist nicht eine Gegnerschaft schon zur Demokratie, aber eine Fremdheit. (...) Fremdheit ist immer mit Ängsten verbunden.“ Er ergänzte mit ernster Miene: „Wenn diese Ängste dann von der demokratischen Mitte nicht aufgenommen werden, (...) dann ist das ein weites Feld für die Populisten aller Couleur.“ Hinzu komme „eine Sehnsucht danach, doch stärker behütet zu sein“.
Markus Lanz nahm dies zum Anlass, konkret nachzuhaken: „Sollte die AfD verboten werden?“ Der Politiker schüttelte entschieden mit dem Kopf: „Nein! (...) Ich finde, dass wir sie dann ja noch größer machen.“ Lanz ließ jedoch nicht locker und wollte weiter wissen, ob eine Zusammenarbeit zwischen Union und AfD potenziell denkbar wäre. Auch hier wiegelte Gauck ab, denn: „Eine anständige Union kann mit dieser AfD nicht koalieren. Wir wissen nicht, was in 20 Jahren sein wird. (...) Aber im Moment: Nein!“
In dem Zusammenhang äußerte der Ex-Bundespräsident deutliche Kritik an der vergangenen Regierung und sagte: „Es gibt immer ein Protestwähler-Potenzial, wenn die Regierenden nicht stringent regieren. (...) Gestalten heißt auch Wagnisse eingehen. Aber abwarten, was geschieht, und das als Regieren bezeichnen, das ist hochproblematisch.“
Joachim Gauck: „Ich hasse diesen Krieg und ich hasse Kriege“
Ähnlich deutliche äußerte sich Gauck auch zur geplanten Aufrüstung und Milliarden-Investitionen in die Bundeswehr. Laut des Politikers bereite ihm nicht etwa die „militärische Schwäche“ Deutschlands große Sorgen, sondern vielmehr die mentale Schwäche. „Es ist nicht ein Krieg, der droht, sondern ein Krieg, der existiert - und der existiert in Europa“, warnte Gauck. Er ergänzte, dass es ihn deshalb „nervös“ mache, wenn er merke, dass einige Bürger die Kriegsbedrohung nicht ernst nehmen: „Ich will mit Leuten darüber reden. Und das Reden soll bedeuten: Aufwachen! Nicht das Wort Zeitenwende immer mal wieder zitieren, aber die tatsächlich erforderliche Wende im Inneren, (...) die verschieben wir.“

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ZDF-Moderator Markus Lanz wollte in seiner Sendung unter anderem von Joachim Gauck wissen, ob die AfD verboten werden sollte. (Bild: ZDF / Markus Hertrich)
Dass „ein Teil der Bevölkerung (...) die Warnungen“ als „übertrieben“ abtue, bezeichnete Gauck als Verschleierung der „tatsächlichen Bedrohungslage“. Dennoch merkte er energisch an: „Ich hasse diesen Krieg und ich hasse Kriege! Ich sehe noch die Angst in den Augen meiner Großeltern als kleines Kind.“ Gerade deshalb brauche es „ein neues Bewusstsein davon, was diese Freiheit wert ist“.
In dem Zusammenhang sprach Lanz die junge Generation an, die sich von der Politik nicht verstanden und übergangen fühle. Joachim Gauck gab daraufhin ehrlich zu: „Deshalb brauchen wir ein neues Bewusstsein davon, dass die Welt nicht besser wird, wenn wir nur die ältere Generation im Blick haben bei unseren politischen Entscheidungen.“ Zeitgleich machte der Politiker keinen Hehl daraus, dass sich die Verfasstheit der deutschen Bevölkerung grundlegend ändern müsste.
Gauck sprach von einer „Kultur des Verdrusses“, die in bestimmten Kreisen fälschlicherweise für „intelligent“ gehalten werde. „Mir reicht es manchmal“, so Gauck streng. Der Ex-Bundespräsident fügte hinzu, dass den Deutschen „das Vermögen abhandengekommen“ sei, „an uns selber zu glauben, als Personen, die imstande sind, das Gelingen zu organisieren. (...) Da gibt es ein Defizit in diesem Land. Das Land glaubt zu wenig an das, was es selber geschaffen hat“.
Joachim Gauck: „Meine Kritik an der israelischen Politik, (...) das muss ich aus mir rauspressen“
Ähnlich energisch und emotional sprach Joachim Gauck auch über die jüngsten Geschehnisse im Gazastreifen. Der Politiker erklärte zunächst, dass er immer an der Seite Israels stehe und machte deutlich, dass es sich für ihn um eine Herzensangelegenheit handle. Dennoch konnte Gauck die Militärschläge in Gaza nicht gutheißen. Er sagte, dass er „entsetzt“ über das Handeln der israelischen Regierung sei und stellte klar: „Es ist für mich ein unverantwortliches Handeln. Und es ist für mich deshalb unverantwortlich, weil es nicht verhältnismäßig ist.“
Mit zittriger Stimme gab Gauck weiter zu, dass ihm das Thema schwer zusetze. „Meine Kritik an der israelischen Politik, (...) das muss ich aus mir rauspressen. Das sage ich quasi unter Tränen“, so Gauck. Er ergänzte vorsichtig: „Wenn diejenigen, auf die man so viel Hoffnung gesetzt hat, (...) wenn man dann sieht, dass dieses Land, dem man sich so verbunden fühlt, auf diese Abwege gerät, dann ist da nicht nur Zorn, sondern auch einfach eine tiefe Traurigkeit in einem.“ Dennoch machte der Politiker deutlich, dass er sich mit seiner Kritik nicht zurückhalten wolle, denn: „Wenn du eine Herzensfreundschaft hast, wirst du deinem Herzensfreund manchmal auch Widerspruch zumuten.“ (tsch)