Einem Bericht zufolge sollen mehr als 100 russische Kommandeure ihre eigenen Leute erpresst, gefoltert und sogar getötet haben. Ein Projekt sammelt die schrecklichen Berichte von Augenzeuginnen und Augenzeugen.
Putins Offiziere töten RussenBerichte legen schrecklichen Verdacht nahe

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Russische Soldaten feuern einen BM-21 Grad-Mehrfachraketenwerfer auf ukrainische Stellungen.
Russische Kommandeure sollen seit Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine ihre eigenen Soldatinnen und Soldaten misshandelt, gefoltert und sogar getötet haben.
Recherchen des im Exil arbeitenden russischen Medienportals „Verstka“ legen nahe, dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handelt. Die Reporterinnen und Reporter haben 101 Offiziere identifiziert, gegen die schwere Anschuldigungen erhoben werden.
Das Projekt mit dem Namen „Die Nuller“ von „Verstka“ dokumentiert schwere Verfehlungen in der russischen Armee und hat eine Datenbank mit Informationen über Soldaten erstellt, die ihre eigenen Kameradinnen und Kameraden „auslöschen“ oder „nullifizieren“ sollen.
Die Informationen stammen aus verschiedenen Quellen, darunter Telegram-Kanäle, Familien von vermissten Soldaten sowie Berichte von Kameradinnen und Kameraden.
Fünf verdächtige Offiziere sollen Auszeichnung erhalten haben
Was laut den Recherchen oft als Disziplinarmaßnahme von Vorgesetzten wegen Ungehorsams oder Trunkenheit begann, soll sich später zu brutalen Exekutionen entwickelt haben. Oftmals seien persönliche Konflikte zwischen den Soldatinnen und Soldaten und ihren Vorgesetzten der Hintergrund gewesen. Das Portal gibt an, Hunderte solcher Berichte gesammelt zu haben. Bei den mutmaßlichen Tätern soll es sich um Offiziere handeln, die als Zugführer oder Bataillonskommandeure dienten, in einigen Fällen sogar Divisionen befehligten.
Besonders brisant: Fünf der verdächtigen Offiziere sollen die hohe Auszeichnung „Held Russlands“ erhalten haben. Eine unabhängige Überprüfung dieser Angaben ist nicht möglich. Von offizieller russischer Seite gab es bislang keine Stellungnahme.
Die genaue Zahl der Opfer ist unklar. Einige Soldatinnen und Soldaten sollen zur Bestrafung in Angriffe geschickt worden sein, die für viele den sicheren Tod bedeuteten. Laut „Verstka“ werden bei solchen Attacken so lange neue Kräfte vorgeschickt, bis eine gegnerische Stellung eingenommen ist – ohne Rücksicht auf Verluste. Die Recherchen ergaben auch, dass Soldatinnen und Soldaten vor diesen Angriffen ihre Bankkarten abgeben und ihre PIN verraten mussten.
Ein harsches Vorgehen gegen die eigenen Leute scheint in der russischen Armee keine Seltenheit zu sein. Bereits im September 2024 sorgte ein Kommandant einer tschetschenischen Einheit für Aufsehen, weil er mit der Leistung seiner unterstellten Soldaten unzufrieden war.
Generalmajor Apti Alaudinow griff die gefangen genommenen Tschetschenen direkt an: Sie hätten es „nicht verdient, zu leben“. Es sei eine „Schande“, dass es überhaupt zu ihrer Gefangenschaft gekommen sei, so der Kommandeur laut einem Bericht der US-Denkfabrik ISW weiter. Stattdessen hätten sie ihre ukrainischen Bewacherinnen und Bewacher provozieren und angreifen sollen, um von diesen erschossen zu werden.
In einem anderen Bericht schildern zwei anonyme Soldaten dem Portal „Verstka“ das Vorgehen eines hochdekorierten Kommandeurs mit dem Kampfnamen „Pioneer“. Dieser soll persönlich auf die Füße derjenigen geschossen haben, die sich weigerten, an Kamikaze-Einsätzen teilzunehmen. Verwundete, die von Einsätzen zurückkehrten, habe er in Lastwagen in den Ural zurückgeschickt. Wer sich weigerte, wurde demnach mit Maschinengewehrfeuer beschossen.
Von einem weiteren Kommandeur namens „Bootsmann“ wird berichtet, er fälsche Verträge und töte Zivilistinnen und Zivilisten, die Zeuginnen oder Zeugen seiner Verbrechen werden. Der Offizier soll zudem verwundete Soldatinnen und Soldaten misshandeln und in besetzten Gebieten plündern. Ermittlungen gegen ihn seien bisher erfolglos geblieben.
Getötete Soldatinnen und Soldaten würden oft als vermisst gemeldet oder ihre Leichen in Waldstücken verscharrt, so das Portal. Es sei sogar vorgekommen, dass sie so erschossen wurden, dass es wie eine Kriegsverletzung aussah, schreibt das Portal unter Berufung auf Berichte von russischen Soldatinnen und Soldaten.
Seit Kriegsbeginn hat die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft Russlands mehr als 12.000 Beschwerden über solche Übergriffe erhalten, wobei die Zahl seit der zweiten Hälfte des Jahres 2023 weiter anstieg. Viele dieser Beschwerden werden jedoch nicht bearbeitet. Laut „Verstka“ soll es eine inoffizielle Anordnung geben, Fälle von Misshandlungen nicht strafrechtlich zu verfolgen. (red)
