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„Maybrit Illner“Reichinnek und Spahn: hitzige Debatte

Zum Thema Bürgergeld kontrontierte Linken-Politikerin Heidi Reichinnek CDU-Mann Jens Spahn mit einer Menge von Vorwürfen. (Bild: ZDF / Jule Roehr)

Zum Thema Bürgergeld kontrontierte Linken-Politikerin Heidi Reichinnek CDU-Mann Jens Spahn mit einer Menge von Vorwürfen. 

In den Sozialkassen Deutschlands klaffen Löcher in Millionenhöhe: Können sie durch die Kürzung des Bürgergelds wirklich gestopft werden? Darüber entbrannte bei Maybrit Illner am Donnerstagabend eine heftige Diskussion - besonders zwischen Heidi Reichinnek und Jens Spahn.

Wenn Heidi Reichinnek (Linken-Fraktionsvorsitzende) und CDU-Politiker Jens Spahn aufeinandertreffen, ist eine hitzige Debatte vorprogrammiert. Erst recht, wenn es um Themen wie das deutsche Sozialsystem geht. Tatsächlich ließ der Clash bei der ersten Sendung von „Maybrit Illner“ nach der Sommerpause zur Frage: „Wer rettet den Sozialstaat?“ nicht lange auf sich warten.

Schon in der Eröffnungsrunde zeigte sich, dass nicht nur bei Pflege- und Krankenkassen, bei Arbeitslosenversicherung und Rente Milliardenlöcher in den Kassen klaffen. Tief sind auch die Gräben zwischen den beiden Parteien: „Wir brauchen Wachstum, um uns das Sozialsystem leisten zu können“, argumentierte Jens Spahn. Um die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, habe die Regierung bei den Steuern begonnen. Im nächsten Schritt wolle man Energiekosten senken und Bürokratie abbauen.

Reichinnek wirft Spahn vor: „Sie suchen Sündenböcke“

„Die Diskussion, dass wir uns das Sozialsystem nicht leisten können, stimmt nicht“, widersprach die Linke-Politikerin prompt, „wir können uns soziale Ungerechtigkeit nicht leisten.“ Die Bundesregierung würde mit den angekündigten Reformen auf dem Rücken derer sparen, die am wenigsten haben. „Jetzt geht es los“, entfuhr es Reichinnek, als der Unionsvorsitzende aufs Bürgergeld zu sprechen kam. In diesem Bereich hatte Bundeskanzler Merz Kürzungen von zehn Prozent und damit jährlich rund fünf Milliarden Euro gefordert.

Jens Spahn betonte: „Jetzt ist nicht die Zeit, die Steuern zu erhöhen.“  (Bild: ZDF / Jule Roehr)

Jens Spahn betonte: „Jetzt ist nicht die Zeit, die Steuern zu erhöhen.“

„Wer arbeiten kann, aber einen Job nicht annimmt, gehört nicht zu den Schwächsten“, argumentierte Spahn auf der Linie seines Parteichefs. „Das kennen wir schon“, ließ sich Reichinnek davon nicht beeindrucken. Es sei faszinierend, dass sich Spahn an wenigen Personen aufreibe. Sie wünsche sich eine ähnliche Leidenschaft für bessere Kita-Bedingungen und andere unterstützende Maßnahmen.

Statt Scheindebatten über Kürzungen zu führen, sei es sinnvoller, den Mindestlohn zu erhöhen oder die Erbschaftssteuer einzuführen, warf sie ihm vor, sich nicht um die Menschen zu kümmern. Vom Kürzen des Bürgergelds habe niemand etwas. Doch, Gerechtigkeit - war Spahn anderer Meinung. „Da kann ich mir viel für kaufen“, konterte Reichinnek zynisch und warf ihm vor: „Sie suchen Sündenböcke, ich suche Lösungen!“ Weiter polterte sie, wenn die Menschen von Kürzungen des Bürgergelds bei Wenigen „keinen Cent mehr haben, warum sind Sie gegen den Mindestlohn, der armutsfest ist. Das hätte den Menschen konkret geholfen. Dann wäre die Stimmung auch besser.“

Spardebatte oder Frage der Gerechtigkeit? Reichinnek und Spahn sind uneins

Das letzte Wort war in dieser Diskussion damit aber längst nicht gefallen: Es sei „zuallererst eine Frage der Gerechtigkeit“, konnte Spahn endlich doch noch „zwei Sätze am Stück sagen“. Das Bürgergeld bringe im Land den größten Vertrauensverlust, unter anderem weil die Hälfte der Empfänger nicht deutsche Bürger seien - und dieses „Gerechtigkeitsempfinden, das kann man Wegreden oder Adressieren.“ Deshalb plädiere er dafür, Anreize richtig zu setzen, Sanktionsregime einzuführen und gegen den sozialen Missbrauch des Systems anzugehen. Kurz: Es sei weniger eine Spardebatte, sondern es gehe um Gerechtigkeit.

Wie wird das Sozialsystem in Deutschland wieder gerechter? Unter anderem über dieses Thema debattierte am Donnerstagabend die Diskussionsrunde bei „Maybrit Illner“. (Bild: ZDF / Jule Roehr)

Wie wird das Sozialsystem in Deutschland wieder gerechter? Unter anderem über dieses Thema debattierte am Donnerstagabend die Diskussionsrunde bei „Maybrit Illner“. (Bild: ZDF / Jule Roehr)

„Wo Missbrauch stattfindet, muss er adressiert werden“, sprang Ökonom Jens Südekum Spahn zur Seite. Beim Einsparungspotenzial durch Kürzungen in diesem Bereich müsse man aber die Erwartungen dämpfen. Von den derzeit 5,5 Millionen erwachsenen Bürgergeldempfängern befinden sich die Hälfte bereits in Ausbildung oder Arbeit. Wollen sie mehr arbeiten, dann werde das vom Bürgergeld abgerechnet und dann bleibe von „1 Euro brutto mehr netto nichts übrig“.

Hier brauche es eine bessere Abstimmung der einzelnen Sozialsysteme aufeinander, forderte Südekum. Zudem hätten 90 Prozent der 1,7 Millionen arbeitslosen Bürgergeldempfänger keine Ausbildung, seien krank oder es fehlen Sprachkenntnisse. Diese unter Druck in den Arbeitsmarkt zu bringen, sei keine nachhaltige Lösung. Hier brauche es eine intensivere Betreuung, die aber Geld kostet.

„Spiegel“-Mann Feldenkirchen sieht „Jahrhundertaufgabe“ für Regierung

Um eine Reform des Bürgergelds komme man laut Jens Südekum nicht herum. Doch um das größte Haushaltsloch in der Geschichte der Bundesrepublik zu stopfen, sei „Wachstum das A und O“: „Die erste Assoziation ist nicht kürzen, sondern dafür zu sorgen, dass viel Geld vernünftig ausgegeben wird“, sah er im Investitionssondervermögen und der Aufhebung der Schuldenbremse wichtige Weichen dafür. Jetzt brauche es einen „Herbst der Reformen“ im Sinne von „Entbürokratisierung und Beschleunigung“, forderte er.

Von diesem Investitonsprogramm verspreche sich auch er viel, betonte „Spiegel“-Journalist Markus Feldenkirchen und gab zu bedenken: „Aufs Ausgeben konnte man sich schnell verständigen, die massive Reform der beitragsfinanzierten Sozialversicherung ist eine Jahrhundertaufgabe.“ Hier Schritte zu setzen, habe die Koalition im Zeitplan aber weit nach hinten verschoben. Diese müssen aber zukunftssicher gemacht werden, betonte er, „da muss die Union über den Schatten springen und sich endlich an Vermögens- und Erbschaftssteuer herantrauen.“ Das wäre eine „Riesenchance für diese Regierung (...), um der AfD diesen Geifer zu nehmen“, meinte er.

Jens Spahn macht deutlich: „Jetzt ist nicht die Zeit, die Steuern zu erhöhen“

Die ungleiche Vermögensverteilung im Land sei der eigentliche Kern des Ungerechtigkeitsgefühls im Land, gab Heidi Reichinnek zu bedenken. „Was ist gerecht“, meldete sie sich zu Wort, „wenn Menschen einen Mindestlohn haben, der nicht armutsgerecht ist?“ Hier liege eine Diskrepanz zwischen wenigen Vermögenden und der arbeitenden Masse: Deutschland sei ein „Hochsteuerland beim Lohn, aber nicht beim Vermögen“.

Leistung und Arbeit seien in Deutschland zu hoch besteuert, pflichtete ihr Ökonom Südekum bei und empfahl, insbesondere leistungsloses Erben zu besteuern. Das sei aber Ländersache. „Eine wichtige Bedingung sind Unternehmensübergänge ohne Substanzverlust“, warf Spahn ein und machte damit eine Tür auf - allerdings nicht für die Vermögenssteuer, wie er betonte. Auch wenn er zugab, die Vermögensverteilung sei ein Problem.

Trotzdem wurde nach den Ausführung Spahns deutlich: Es braucht Geduld. Erst in der Mitte der Legislaturperiode stellte er eine Steuerreform in Aussicht: „Jetzt ist nicht die Zeit, die Steuern zu erhöhen.“ So habe man es im Koalitionsvertrag vereinbart, und auf dieses Programm wollen sich die Parteien konzentrieren. „Wir brauchen einen langen Atem, aber dann kriegen wir auch das Vertrauen wieder“, zeigte sich Spahn überzeugt. (tsch)