„Entmenschlichend“LGBTIQ-Aktivist in der Türkei festgenommen – Bericht macht fassungslos

Migranten und Flüchtlinge versammeln sich hinter einem Drahtzaun an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei in der Nähe des geschlossenen Grenzübergangs Kastanies.

Ein LGBTQI-Aktivist hat über seine Erfahrungen im Zuge einer Festnahme in der Türkei ausgepackt. Das Symbolfoto zeigt Migranten an der griechisch-türkischen Grenze.

Nach seiner Festnahme in der Türkei spricht ein LGBTIQ-Aktivist über diese „entmenschlichende“ Erfahrung. Sein Bericht macht fassungslos.

von Steven Salentin (sal)

Es sind Zustände, die man nicht einmal seinem ärgsten Feind wünscht. „Es war eine entmenschlichende Erfahrung“, sagt ein LGBTIQ-Aktivist im Rückblick auf seine Festnahme im vergangenen Mai in der Türkei. Eine Erfahrung, die sein Leben völlig verändert hat.

Um seine Geschichte zu erzählen, muss man etwas weiter ausholen. Laut den Vereinten Nationen leben Ende 2021 mehr als vier Millionen Geflüchtete in der Türkei – ein Großteil von ihnen stammt aus Syrien, rund 322.000 kommen aus anderen Ländern wie Afghanistan, dem Irak und dem Iran. Einer von ihnen ist besagter Mann, den wir im Folgenden der Einfachheit halber Ali nennen.

LGBTIQ-Aktivist soll in Türken-Gefängnis aus Toilette trinken

Ali, mit 19 Jahren verfolgt und aus dem Irak geflohen, setzt sich in seiner neuen Heimat Istanbul für Menschen mit dem gleichen Schicksal wie dem seinen ein, kümmert sich vor allem auch um LGBTIQ-Geflüchtete. Doch als die Spannungen zwischen Einheimischen und Geflüchteten in der Türkei zunehmen, gerät er in das Visier der Polizei.

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Als er eines Tages eine Gruppe minderjähriger Afghanen besuchen will, diese aber nicht mehr aufzufinden ist, passiert es: Ali, der angibt, ein Freund der eigentlich dort Wohnenden zu sein, wird in der Wohnung von hereinstürmenden Polizistinnen und Polizisten festgenommen. Ab diesem Moment hat er keinen Kontakt mehr zu seinem Umfeld. „Sie nahmen uns allen die Telefone weg“, erinnert Ali sich im Gespräch mit „watson“. Auch von einem öffentlichen Telefon darf er nicht telefonieren, um seine Familie oder seinen Anwalt zu informieren.

Es beginnen vier Tage der Qual – mit Zuständen, die für Außenstehende kaum nachzuvollziehen sind: Ali wird von Gefängnis zu Gefängnis gefahren, überall widerfährt ihm Schreckliches: In einem Raum schlafen 30 Personen auf dem Boden, viele von ihnen werden ohne Grund mit Stöcken geschlagen – selbst während sie schlafen. „Wenn ich Durst hatte, sagten sie mir, ich solle aus der Toilette trinken“, berichtet Ali.

Auch in anderen Gefängnissen und während der Transporte ist Wasser Mangelware. Dass es in einem Container eine Toilette gibt, klingt in diesem Zuge nach reinem Luxus. Aber: 13 Personen müssen sich vier Doppelbetten teilen.

Situation spitzt sich zu – Ali auf Medikamente angewiesen

Dass die Gefangenen unter solchen Bedingungen die Kontrolle über ihren Körper verlieren oder einfach zu schwach sind, um diese zu wahren, liegt auf der Hand. In einem Bus pinkelt sich ein Mann in die Hose. Und auch bei Ali wird es mit fortschreitender Dauer immer dramatischer. Denn: Er ist auf Medikamente angewiesen – die ihm verwehrt werden.

Nach vier Tagen kommt aus dem Nichts die Erlösung: Ali wird wortlos freigelassen. Doch sein Leben ist nicht mehr dasselbe wie zuvor, das Erlebte hat Narben hinterlassen, sein Denken verändert.

„Jetzt kann ich nicht mehr aus meiner Nachbarschaft gehen. Ich vermeide Hauptstraßen und Plätze, um Polizeikontrollen zu umgehen. Diese Verhaftung hat einen großen Tribut von mir gefordert und meine rechtliche, sowie psychische Situation stark beeinträchtigt“, erklärt er dem Portal.

Und trotzdem: Seine Arbeit möchte Ali fortführen, ist „entschlossener denn je“. Irgendwann möchte er dann nach Kanada auswandern. In „eine Gesellschaft, in der ich so sein darf, wie ich bin“. (sal)