Travestiestar Ernie Reinhardt hat mit uns über seine Erfahrungen im Swingerclub gesprochen, erklärt, welche reale Zicke ihn zu Lilo Wanders inspirierte und wie lange er zum Schminken braucht.
Lilo Wanders ganz privat„Ein Hochstapler hat mich übern Tisch gezogen“

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Auch mit 70 Jahren wird Ernie Reinhardt sich noch gerne in Lilo Wanders verwandeln, verspricht er.
Sprechprobe fürs Aufnahmegerät: „Sagen Sie bitte mal etwas!“ – „Heißer, heißer, hopsasa, am schönsten ist's auf O-Mama!“ Auch mit 70 Jahren (am 22. September hat Ernie Reinhardt seinen runden Geburtstag gefeiert) blitzt im Gespräch immer wieder Lilo Wanders durch – die Kultfigur, die den Travestiestar berühmt gemacht hat.
Gerade erschien seine Biografie: „Waren Sie nicht mal Lilo Wanders?“ (17,99 Euro). Wie er vom schüchternen Jungen zur schillernden Diva wurde, erzählt er im Talk mit dem EXPRESS.
Ernie Reinhardt: so tickt der Mann hinter Lilo
Wie soll ich Sie eigentlich anreden, mit Lilo Wanders oder Ernie Reinhardt?
Ernie Reinhardt/Lilo Wanders: Das kommt immer darauf an, wie ich gerade aussehe. Im Moment bin ich privat, und damit bin ich Ernie.
Als Lilo Wanders waren Sie lange Jahre die „Aufklärerin der Nation“ mit Millionen Zuschauern. Quote mit Zote, hieß es nach der Premiere.
Ernie Reinhardt: Also, das war eine kalkulierte Schlagzeile nach der ersten Sendung, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Es war jedoch nicht das Grundkonzept. Meine Moderationsfigur Lilo Wanders war eher geprägt durch eine Zugewandtheit auch in den abstrusesten Fällen – und ich habe an die Tausend Interviewpartner auf meinem Sofa gehabt. Das waren ganz normale Menschen, aber auch Fetischisten, die ihrer Leidenschaft im Geheimen nachgegangen sind und dann erfahren haben, dass sie gar nicht so allein sind. Ich wollte jedem Menschen eine Form von Achtung gewähren. Aber natürlich gab es auch die kommerziellen Berichterstattungen von Pornodrehs und Swingerclubs, Partnertausch und Penisgröße und ich weiß nicht, was alles.
Hatten Sie im Swingerclub eigentlich Desinfektionsmittel dabei?
Ernie Reinhardt: Ich verrate Ihnen was: Ich war ein einziges Mal, ich glaube in Oberhausen, in einem Club, und der war geschlossen. Erst nach dem Ende von „Wa(h)re Liebe“ war ich einmal engagiert als Show-Act in einem Swingerclub im Odenwald. Aber, um dem Vorurteil entgegenzutreten: Ich denke, dass es gerade in so einem Club besonders sauber ist.
Hatten Sie mal richtig Ärger?
Ernie Reinhardt: Bei einer Folge zum Welt-Aids-Tag. Ein Arzt sprach über HIV, im Hintergrund wurde auf einem Monitor gezeigt, wie man ein Kondom über einen erigierten Penis zieht. Dafür bekamen wir eine Abmahnung.
Wer hat Sie eigentlich zu Lilo Wanders inspiriert?
Ernie Reinhardt: Lilo war ursprünglich eine von vielen Rollen, eine alternde, eher rücksichtslose Diva und meine Produzenten wollten eigentlich, dass ich mich wie Karl Dall benehme, also abfällig und herabwürdigend. Ich hatte mir dann als Vorbild Evelyn Künneke genommen, die mich ein paar Jahre vorher in einem Interview mal ganz schlecht behandelt hatte. Aber dann habe ich immer mehr meine eigene Persönlichkeit in die Figur reingepackt. Ich bin privat eher wie Miss Marple und schließe immer von mir und meinem Dorf auf die Welt und auf andere Menschen. Dadurch habe ich eine große Toleranz. Jeder Mensch in seiner Wirklichkeit hat ein Recht darauf, so wahrgenommen zu werden, wie er oder sie sich präsentiert.
Klappt das auch bei Ihnen im Dorf?
Ernie Reinhardt: Nach drei Jahrzehnten bin ich völlig etabliert und muss immer mit einem Dauergrinsen durch den Landkreis fahren, weil alle aufblinken, wenn sie mein Auto sehen. Es ist hier so: Bei den guten Sachen ist man dabei, bei den Dramen wird man außen vorgehalten.
Sie haben sich schon früh als Teenie geoutet. Warum?
Ernie Reinhardt: Es war unvermeidlich. Ich bin sowieso immer als Mädchen durchgegangen. An meinem 16. Geburtstag habe ich mich am Ende der Party vor Freunde und Familie gestellt und habe gesagt: „Ich bin schwul.“ Da antwortete meine Mutter nur: „Das wissen wir doch.“ So bin ich auch relativ unbeschadet durch meine Kindheit und Jugend gelangt. Ich hatte mit anderen Problemen zu kämpfen. Ich war viereinhalb, als mein Vater gestorben ist, mein Bruder war Contergankind, starb mit 17 Monaten, meine Großmutter sehr quälend an Lungenkrebs unter unserem Dach und meine beste Schulfreundin verunglückte, als ich 16 war. Ich hatte das Gefühl, alle sterben um mich herum. Dazu kam, dass meine Mutter nach dem Tod meines Vaters von einem anderen Mann schwanger war, der hat sie sitzengelassen. Wir waren arm. Ich erinnere mich, dass wir mal einen Sommer lang, da war ich 7 oder 8, nur dicke Bohnen gegessen haben. Weil einfach kein Geld da war.

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Ein Gesicht mit femininen Zügen. Das hatte Ernie Reinhard schon als Kind.
Hat Sie das geprägt?
Ernie Reinhardt: Ich denke, die lange Karriere hat sich ausgezahlt, oder? Ich bin nicht sehr vermögend, weil ich oft schlecht verhandelt habe. Man hat mich ein paar Mal über den Tisch gezogen, durch Corona habe ich die Ersparnisse verloren. Dazu kam dieser gescheiterte Hausverkauf im letzten Jahr. Meine Frau und ich hatten beschlossen, unseren großen Bauernhof im Alten Land zu verkaufen, um uns zu verkleinern. Anfangs sah alles gut aus, dann stellte sich heraus, dass der Käufer ein Hochstapler war. Also wurde alles rückgängig gemacht und ich musste sogar für den Betrüger noch die Notariatskosten übernehmen. Dabei hatte ich gedacht, ich sitze im Herbst 2024 mit einem Überschuss am Schreibtisch, muss nicht auftreten und kann in Ruhe mein Buch schreiben. Pustekuchen!
Und, wie gehen Sie damit um?
Ernie Reinhardt: Ich bin sparsam, in kleinen Dingen kleinlich. Ich schalte das Licht aus, wenn ich ein Zimmer verlasse. Aber ich habe auch schon 1000 Euro für ein Kleid für meine Frau ausgegeben.
Sie sind seit Ewigkeiten verheiratet, haben Kinder und Enkel, sind jedoch bekennend homosexuell. Ist das nicht schwer für Ihre Frau?
Ernie Reinhardt: Sie will nicht über das Private reden und hat immer darauf bestanden, eine eigenständige Person ohne Definition über mich zu sein. Das respektiere ich auch. Aber ich kann sagen: Wir sind seit über 40 Jahren glücklich verheiratet, das ist für uns eine Normalität, eine Selbstverständlichkeit. Es gibt so viele Paarungen, die ihre Besonderheiten haben und davon erfahren selbst manchmal die Nachbarn nichts.
Sie sind jetzt 70. Denken Sie daran, Lilo Wanders in Rente zu schicken?
Ernie Reinhardt: Im klassischen Sinn bin ich Rentner, doch ich arbeite natürlich weiter, nicht nur aus pekuniären Gründen. Zu sehen, dass ich den Menschen immer noch was geben kann, ist sehr beglückend.
Wie lange dauert es eigentlich, bis Sie sich in eine Frau verwandeln?
Ernie Reinhardt: Bis ich 40 war, sah ich sogar ohne Make-up aus wie eine Frau und musste mich kaum schminken. Ich bin ja keine Drag, die durch Übertreibung lebt, sondern ein Damendarsteller. Ich erinnere mich z. B., dass ich meinen großen Sohn, der damals noch kein halbes Jahr alt war, vor den Bauch gebunden hatte und mit kurzer Hose und stoppeligen Beinen durch St. Pauli lief. Ich kam ins Gespräch mit einer älteren Dame. Als wir uns verabschieden, sagte sie: „Grüßen Sie mal Ihren Mann, der muss ja froh sein, dass er so eine nette Frau hat“. Inzwischen sind meine Gesichtszüge durchs Alter und durch das Leben markanter geworden und ich brauche schon anderthalb Stunden zum Schminken.
Und wie viele Kleider haben Sie zur Auswahl?
Ernie Reinhardt: In der „Wa(h)re Liebe“-Zeit hat man mir 356 Kleider geschneidert für 545 Sendungen. Jetzt hängen vielleicht noch 80 bis 100 davon in meinem Fundus, von denen die meisten allerdings eingelaufen sind.
Das ist Ernie Reinhard, der Mann hinter Lilo Wanders
Ernie Reinhardt, Landkind aus der Lüneburger Heide, zog Mitte der Siebzigerjahre nach Hamburg, um Bibliothekswesen zu studieren. Das Studium brach er schnell ab und probierte sich stattdessen in vielerlei Rollen im Rahmen der aufkeimenden homosexuellen Subkultur der Hansestadt aus. Er ging sowohl solo als auch mit schwulen Theatergruppen auf Tournee und eröffnet 1988 mit LGBTQ-Aktivist Corny Littmann das Schmidt-Theater auf der Reeperbahn.
Bald darauf erschuf er Travestiestar Lilo Wanders, die von 1994 bis 2004 das TV-Format „Wa(h)re Liebe“ (VOX) moderierte. Lilo Wanders gilt als Aufklärerin der Nation, was Liebe, Sex und Partnerschaft angeht und ist eine Pionierin der LGBTQ-Community in Deutschland. Ernie Reinhardt ist seit über 40 Jahren verheiratet und hat drei Kinder.