„Wir wollen die Wahrheit“Verheerende Explosion mit sieben Toten bei Köln noch immer ungeklärt

Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr stehen unweit einer Zufahrt zum Chemiepark, über dem eine dunkle Rauchwolke aufsteigt.

Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr stehen unweit einer Zufahrt zum Chemiepark, über dem eine dunkle Rauchwolke aufsteigt. Am 27. Juli 2021 war es in Leverkusen zu einer verheerenden Explosion gekommen. Sieben Mitarbeiter starben, viele wurden verletzt.

Ein Tank explodiert. Sieben Menschen sterben in Leverkusen, 31 werden verletzt. Die Explosion erschütterte bundesweit. Doch Ursache und Schuldfrage sind ungeklärt. Zermürbend für die Hinterbliebenen.

Die gewaltige Detonation ist kilometerweit zu hören. Fenster klirren. Eine dichte schwarze Rauchsäule steigt auf. Am 27. Juli 2021 –vor genau vier Jahren – explodiert in einer Müllverbrennungsanlage im Chemiepark in Leverkusen ein Lagertank. Ein verheerendes Feuer breitet sich aus, weitere Tanks werden zerstört. Die Bevölkerung muss Türen und Fenster geschlossen halten, Warnstufe „extreme Gefahr“. Autobahnen werden gesperrt.

Sieben Männer kamen ums Leben, 31 Menschen wurden teils schwer verletzt. Seit jenem Dienstag um 09.37 Uhr ist für viele die Welt eine andere – insbesondere für die Angehörigen der Opfer.

Die Ursache der Katastrophe unweit von Köln ist noch immer ungeklärt. Viele Angehörige, trauernde Familien, Freunde und Kollegen haben dafür kein Verständnis. Das sei quälend und schmerzhaft, sagt die Hinterbliebene Anica (47). Sie hat ihren Bruder verloren, er war erst 37 Jahre alt. Binay (45) trauert um ihren Mann. „Wir wollen die Wahrheit.“

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Die ersten Stunden, Tage, Wochen nach dem Unglück sind den Frauen noch in allen Details präsent, lassen sie nicht los. Der Schock, die Ungewissheit, die Angst, die Verzweiflung. „Das war die reine Hölle für uns“, erzählt Anica. Tränen fließen. Ihr Bruder hinterließ neben Eltern und Geschwistern eine erst zwei Jahre junge Tochter und seine Frau.

Auch Binays Tochter war damals viel zu jung, um zu verstehen. „Ich habe ihr gesagt, dass ihr Papa im Himmel ist. Und sie wollte mit dem Flugzeug zu ihm fliegen.“ Die Kleine könne seinen Tod nicht akzeptieren. Die 45-Jährige ist in die Nähe der Eltern gezogen, hat sich mühsam, diszipliniert in eine „Lebensroutine“ zurückgekämpft, arbeitet wieder, in Teilzeit. Ihr Mann war 46 Jahre, als er starb.

Eine Gedenkstätte für die Opfer steht auf dem Werksgelände des Entsorgungszentrums von Currenta (auch: Entsorgungszentrum Bürrig) vier Jahre nach der Explosion in einem Leverkusener Chemiepark mit sieben Toten.

Eine Gedenkstätte für die Opfer steht heute auf dem Werksgelände des Entsorgungszentrums von Currenta.

Die Frauen sind enttäuscht. Genauso gehe es den anderen Hinterbliebenen, mit denen sie sich eng austauschen. Binay schildert: „Jeder trauert anders.“ Aber für alle gelte: Die Geduld sei aufgebraucht, der Frust wachse. Sie fordern Klarheit, wer die Schuld trage am Tod ihrer Männer, Väter oder Brüder. Die Hinterbliebenen könnten bis zu einer strafrechtlichen Klärung auch nicht auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld klagen.

Für Anica stellt es sich so dar: „Nach vier Jahren ist es sehr still geworden. Die Hinterbliebenen lesen und hören nichts.“ Ähnlich empfindet es Aldona (49): „Ich habe das Gefühl, als würden wir gar nicht mehr existieren. Als ob das, was uns passiert ist, keine Bedeutung hätte.“ Ihr Mann kam bei der Explosion mit 41 Jahren ums Leben, drei Kinder vermissen ihren Vater. Dass die Aufarbeitung so langwierig sei, zermürbe sie alle, sagt Binay. „Wir wissen noch immer nicht, wie unsere Liebsten gestorben sind.“

Erst ermittelte die Kölner Staatsanwaltschaft - gegen vier Beschäftigte der Chemiepark-Betreiberfirma Currenta unter anderem wegen fahrlässiger Tötung. Sie würden verdächtigt, Sorgfaltspflichten bei Lagerung und Abfallbehandlung verletzt und die Katastrophe damit ausgelöst zu haben, hieß es damals. Dann übernahm Ende 2023 eine neu eingerichtete Zentralstelle für schwerwiegende Fälle von Umweltkriminalität in der Dortmunder Staatsanwaltschaft.

Dort berichtet eine Behördensprecherin nun auf dpa-Anfrage: Der Abfallstoff, der mutmaßlich zu der Explosion geführt habe, stamme aus dem Ausland. Man warte auf ein Sachverständigen-Gutachten. Wen genau die Ermittler warum im Visier haben, machen sie nicht öffentlich: Über die Zahl der Beschuldigten und die möglichen Straftatbestände in dem sehr komplexen Verfahren könne man aktuell nichts mitteilen.

Auch bei Currenta ist nichts mehr wie vorher

Rund 100 Meter entfernt vom Unglücksort hat Currenta auf dem Werksgelände eine Gedenkstätte errichten lassen. Eine Skulptur mit sieben Säulen, mit den Namen der Getöteten. Auch für das Unternehmen sei seit dem Tag nichts wie vorher, schildert ein Sprecher. Dort, wo vor der Explosion der Tank stand, sind die spärlichen Überreste des Fundaments noch immer mit Planen abgedeckt, der Bereich ist von einem Bauzaun umgeben. Der Vorfall hatte Currenta viel Vertrauen und Ansehen gekostet.

Dem Unternehmen war es laut Sprecher ein Anliegen, die Familien in einer schwierigen Zeit schnell und unbürokratisch finanziell zu unterstützen. „Das haben wir getan.“ Weiter könne man sich dazu während der laufenden Ermittlungen nicht äußern.

Die Stadt Leverkusen beteuert, das Unglück sei nicht in Vergessenheit geraten. Rund um die Anlage gilt einer Sprecherin zufolge: „Abläufe und Prozesse wurden verbessert, Kontrollen und Anlieferbedingungen in punkto Sicherheit verstärkt betrachtet.“ Es müsse lückenlos aufgeklärt werden. Angehörige hätten ein Recht darauf.

Hinterbliebene trauern: Abschluss und Abschied sind nicht möglich

„Wir hängen noch immer am 27. Juli 2021 fest. Ich habe kein Zeitgefühl mehr“, sagt Binay. „Man verliert schon die Hoffnung. Ohne Aufklärung ist für uns kein Abschluss, kein Abschied möglich.“ Dass es nicht vorangehe, sei unerträglich für die ganze Familie, berichtet Anica. „Meine Eltern fühlen sich amputiert.“

Einige Todesopfer sind nicht in Deutschland bestattet. Umso mehr zieht es einige Angehörige zu einem Ort vor dem Tor des Entsorgungszentrums, wo sie und Kollegen der Verstorbenen Blumen und Kerzen ablegen.

Aldona möchte, dass jemand Verantwortung für die Katastrophe übernimmt. „Am meisten schmerzt mich dieses Gefühl der Straflosigkeit der Täter.“ Und Anica betont: „Kein Geld der Welt kann ein Menschenleben retten. Es geht uns vor allem um Gerechtigkeit.“ (dpa)