Hochzeit 1969Gastarbeiter-Paar seit 50 Jahren in Köln, jetzt kam ihr großer Tag

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Lindenthals Bürgermeisterin Helga Blömer-Frerker (CDU, Mitte) hat am 20. September 2019 Antonio (l.) und Anna de Bellis eingebürgert.

Köln – Es ist Freitag, der 20. September 2019, um 10.36 Uhr beginnt in der sechsten Etage des Bezirksrathauses Lindenthal die Zeremonie: Wir werden eingebürgert, wir werden Deutsche, meine Frau Anna und ich. Als Bezirksbürgermeisterin Helga Blömer-Frerker uns die Einbürgerungsurkunden überreicht, dazu eine Ausgabe des Grundgesetzes, ist dies ein besonderer Moment. Ciao, Italia!

Als Gastarbeiter nach Deutschland

Ich bin am 13. März 1961 nach Deutschland gekommen, als einer der Gastarbeiter, die nur angeworben wurden, um hier zu arbeiten. Und bei denen man davon ausging, dass sie irgendwann wieder in ihre Heimat zurückkehren würden.

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Antonio de Bellis (vorn links) an seinem Arbeitsplatz in der Glasbläser-Abteilung bei Bayer.

Zu diesem Zeitpunkt hatte mein Dorf Biccari, es liegt in der Provinz von Foggia in Apulien, 7000 Einwohner. Alle lebten von der Landwirtschaft, da es keine Unternehmen gab.

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Kölner Gastarbeiter: 50 Cent Lohn – pro Tag

Ich arbeitete ebenfalls in der Landwirtschaft, als Saisonarbeiter verdiente ich etwa 500 bis 1000 Lire pro Tag, das wären heute etwa 25 bis 50 Cent. Mein Arbeitstag begann um fünf Uhr morgens und endete gegen 20 oder 21 Uhr.  Manchmal habe ich auch auf Baustellen gearbeitet.

Abends half ich bei einem Barbier aus und erlernte auch dieses Handwerk, denn im Süden ging man zur Rasur und zum Haare schneiden regelmäßig zum Barbier. So konnte ich im Winter ein wenig Geld verdienen.

Gastarbeiter in Köln: Angst vor dem Medizin-Test

1960 fingen die Menschen an, nach Mailand, Frankreich und Deutschland auszuwandern und zu diesem Zeitpunkt bewarb ich mich für einen Gastarbeitervertrag für Deutschland. Ziemlich schnell wurde ich eingeladen, in Neapel den medizinischen Dienst aufzusuchen.

Wir fuhren mit vier Freunden, alles junge Männer aus Biccari, nach Neapel und hatten große Angst, dass uns eine Krankheit verkündet würde und wir nicht einreisen dürften. Nur gesunde Menschen hatten eine Chance.

Gastarbeiter kommen nach Deutschland: „Wir wählten Köln aus“

Offenbar waren wir alle gesund, wir durften nach Deutschland, Wirtschaftswunderland. Drei von uns wählten Köln aus, da ein Bruder eines Freundes bereits in Köln arbeitete. Wir unterzeichneten noch in Italien einen Arbeitsvertrag mit der Firma Blivers Baugesellschaft mbH, Köln-Deutz.

Vier-Bett-Zimmer und 30 Mark zum Einkaufen

Als wir drei Männer am 13. März 1961 am Hauptbahnhof in Köln eintrafen, hat der Geschäftsführer der Firma uns mit einem Transporter abgeholt und nach Höhenhaus in die Berliner Str. 361 gefahren. 

Es handelte sich um ein Mehrfamilienhaus und in jedem Zimmer wurden zwei bis vier Personen untergebracht. Wir hatten Glück, dass wir zusammen untergebracht wurden. 

Bei unserer Ankunft haben wir eine Anzahlung von 30 D-Mark erhalten, damit wir unsere Einkäufe tätigen konnten.

Sprachprobleme führten zu Frustration

Am 17. März 1961 haben wir die Arbeit aufgenommen und wir brauchten etwa zwei Wochen, bis wir uns an die Verhältnisse gewöhnt haben – auch waren die fehlenden Sprachkenntnisse ein Hindernis und natürlich die Sehnsucht nach der Familie und unseren Freunden führte zu Frustration, sodass wir in Erwägung gezogen haben, zurück in die Heimat zu fahren.

Aber wir sind geblieben, weil es in Biccari keine Perspektive gab und die Firma Blivers uns 2,47 D-Mark pro Stunde bezahlte.

Von der Baustelle in die Werkstatt

Nach zwei Wochen Baustelle wurden wir den Werkstätten zugeteilt, da man hier Arbeitskräfte benötigte. Hier wurden Stahlgitter hergestellt, die man für die Produktion der Zementblöcke benötigte. Die Firma Blivers hat Einfamilienhäuser gebaut, die aus Zementblöcken bestanden.

Der Lohn in den Werkstätten war geringer als auf der Baustelle, aber uns blieb nichts anderes übrig, als diese Tätigkeit zu akzeptieren – Beschwerden über den geringeren Lohn führten ins Leere.

Nach zwei Jahren wurden wir wieder auf der Baustelle eingesetzt, in Worringen. Hier wurden wir auch in einem Haus untergebracht.

Kölner Gastarbeiter: Neuer Job mit alten Bekannten

Nach drei Jahren habe ich mir eine private Unterkunft gesucht und den Arbeitgeber gewechselt. Ich fing in der Fabrik VEDAG in Mülheim an, da hier bereits einige Männer aus Biccari arbeiteten.

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Antonio de Bellis, kurz nachdem er in Köln seine erstes eigenes Zimmer privat angemietet hatte.

Wir wurden sehr gut bezahlt. Der Gestank in der Fabrik war unerträglich und schlug auf meine Gesundheit, sodass ich nach wenigen Jahren wieder zurück auf die Baustelle ging, um an der frischen Luft zu arbeiten.

Der Barbier vom Kölner Rudolfplatz ...

Da ich samstags nicht arbeitete, suchte ich mir eine zweite Beschäftigung als Barbier im Herzen von Köln, am Rudolfplatz.

Unter der Woche habe ich nach der Baustelle auch privat Haare geschnitten und zwar für 2,50 D-Mark pro Person. Das war damals viel Geld.

Jedes Jahr bin ich an Weihnachten nach Biccari zu meinem Vater gefahren und blieb bis Februar, da in Köln Schnee lag und auf den Baustellen nicht gearbeitet wurde.

... und von Stammheim

Irgendwann zog ich dann nach Stammheim und hatte Glück, dass es hier einen Barbier gab, der mich mit Kusshand nahm, zumal der Salonbesitzer schwer krank war und mit meiner Unterstützung seine Kunden halten konnte. Wie gewohnt ging ich dieser Tätigkeit am Abend und an den Samstagen nach. Nach seinem Tod wurde der Salon geschlossen und die Kunden bediente ich privat weiter.

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Antonio de Bellis in seinem Nebenberuf als Barbier.

1969 – Anna Cistone!

1969 habe ich durch eine Freundin meine Frau kennengelernt – Anna! Anna Cistone! Sie stammt aus Roseto Valfortore, ein Nachbardorf von Biccari.

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Wie viele Menschen aus den italienischen Dörfern arbeitete auch Anna Cistone (Mitte) in der Stadt – in ihrem Fall Neapel. Einmal pro Woche bekam man damals frei – Anna fuhr dann mit ihren Freundinnen nach Capri und machte am Strand die Männer verrückt...

Anna hat mich gefragt, ob ich nach Neapel ziehen möchte, da sie eine Arbeitsstelle für mich gefunden hatte. Darüber musste ich erst einmal nachdenken.

Vor exakt 50 Jahren erstmals gemeinsam in Köln

Zwischenzeitlich bin ich zurück nach Deutschland gegangen und Anna nach Neapel. Wir schrieben uns Liebesbriefe und haben oft miteinander telefoniert. Mit 34 Jahren habe ich ihr einen Heiratsantrag gemacht, Anna war 28 – und sie hat ihn zum Glück angenommen.

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Anna de Bellis (r.) kurz vor ihrer Abreise nach Deutschland.

Am 20. August 1969 haben wir in Italien geheiratet. Nach vierwöchiger Hochzeitsreise sind wir gemeinsam am 20. September 1969 nach Deutschland gefahren – und dass die Einbürgerungszeremonie genau 50 Jahre nach diesem ersten gemeinsamen Tag in Deutschland stattfindet, ist wirklich ein großartiger Zufall.

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Anna und Antonio de Bellis im Stammheimer Schlosspark – kurz nach ihrer ersten gemeinsamen Ankunft in Köln.

Anna fing in der Küche bei Bayer an

Anna langweilte sich zu Hause in unserer Kölner Zwei-Zimmer-Wohnung und hat sich dann auch eine Arbeitsstelle gesucht – und bei Bayer in Leverkusen gefunden. Nach einer ärztlichen Untersuchung wurde sie am 3. März 1969 in der Küche eingestellt.

Die Angst vor der Ausweisung

1971 wurde unsere Tochter Maria Giovanna geboren und in diesem Jahr haben wir in Italien ein Haus in Lucera gekauft, auch weil wir eine Sicherheit wollten, falls uns Deutschland ausweisen würde. Diese Angst der Ausweisung hatten wir stets mit uns geführt. Gott sei Dank durften wir bleiben.

Tochter Teresa ist Ratsfrau der CDU

1972 wurde Teresa Elisa geboren und mit ihrer Geburt konnte Anna nicht mehr weiter arbeiten, da ihre Mutter, die Oma unserer Kinder, zurück nach Italien wollte. In eine Krippe wollte Anna die Kinder nicht geben. Teresa kennen heute viele Kölner als Ratsfrau der CDU.

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CDU-Ratsfrau Teresa de Bellis (links) ist mächtig stolz auf ihre Eltern Antonio (2.v.l.) und Anna de Bellis (r.), die mit der Überreichung der Einbürgerungsurkunden durch Bürgermeisterin Helga Blömer-Frerker (CDU) – und exakt 50 Jahre nach ihrer ersten gemeinsamen Ankunft in Köln – Deutsche geworden sind.

Seitdem hat Anna nebenher in verschieden Haushalten geputzt.

Auf Annas Drängen zu Bayer gewechselt

Im September 1972 bin ich dann auf Drängen meiner Frau zu Bayer gewechselt. Der Stundenlohn betrug 7,20 D-Mark – auf der Baustelle verdiente man 6,20 D-Mark. Bei Bayer arbeitete ich im Drei-Schicht-Dienst.

Drittes Kind, Vier-Zimmer-Wohnung in Stammheim

Am 11. November 1974 haben wir von der GAG eine Vier-Zimmer-Wohnung in Stammheim gemietet, auch weil meine Frau unser drittes Kind erwartete. In dieser Wohnung lebten wir bis 2015.

Bei Bayer bin ich in den Glasbläser-Bereich gewechselt und bestand die zweiwöchige Probezeit. In dieser Abteilung arbeite ich 22 Jahre lang, bis zu meiner Rente, die ich am 01. April 1999 mit 64 Jahren antrat.

Die Entscheidung, in Köln zu bleiben

Da Anna nicht zurück nach Italien wollte, ist die Entscheidung gefallen, in Köln bei unseren Kindern und Enkeln zu bleiben.

Vergangenes Jahr haben wir unser Haus in Italien verkauft und somit die letzte Verbindung zur Heimat aufgegeben. Darüber sind wir aber nicht traurig, da unsere Familie in Köln lebt.

„Köln ist unsere Heimat“

Anfang 2019 verspürten wir den Wunsch, echte Deutsche, Kölner zu werden – ich nach 58, Anna nach 50 Jahren als Italiener in Deutschland.

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Antonio (r.) und Anna de Bellis (M.) bei der Einbürgerungszeremonie mit Lindenthals Bürgermeisterin Helga Blömer-Frerker (CDU)

Ciao, Italia! Keine doppelte Staatsbürgerschaft. Köln ist unsere Heimat, unser Zuhause, hier sind wir glücklich! Und wir danken allen, die uns dabei geholfen haben!