Der „Fußballgott“ wird 100Toni Turek – Weltmeister, Teufelskerl, Düsseldorfer Legende

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Der „Teufelskerl“ in Aktion: Als Torwart von Fortuna Düsseldorf absolvierte Toni Turek 133 Spiele. 20 Mal stand er bei der deutschen Nationalmannschaft im Kasten.

von Colja Schliewa (cos)

  • Am 11. Mai 1984 starb Toni Turek mit 65 Jahren an einem Schlaganfall. Freitag hätte er seinen 100. Geburtstag gefeiert.
  • Im strömenden Regen von Bern wurde der 35-Jährige im Juli 1954 nicht nur zum „Fußballgott“, sondern zusammen mit Fritz Walter, Helmut Rahn und Co. auch Nationalheld.
  • 60 Jahre nach dem legendären WM-Triumph wurde Fortunas Größtem vor der Düsseldorfer Arena endlich ein Denkmal gesetzt.

Düsseldorf – Fußball ist mehr als nur Sport. Er hat seinen ganz eigenen Zauber. Und bringt dadurch Mythen zum Vorschein, die unvergesslich bleiben und die Zeit überdauern. Viele Spieler werden so zu Fußball-Helden, manche sogar zu Fußball-Legenden. Einer wurde sogar zum Fußballgott. Als der Düsseldorfer Torwart Toni Turek am 4. Juli 1954 im strömenden Regen das „Wunder von Bern“ festhielt, wurde er von Sport-Reporter Herbert Zimmermann für alle Zeiten so getauft. Toni Turek machte Deutschland zum ersten Mal zum Fußball-Weltmeister, und eine Stadt dabei besonders stolz: Düsseldorf, wo er bei seiner Fortuna zwischen den Pfosten stand. An diesem Freitag wäre Toni Turek 100 Jahre alt geworden. EXPRESS erinnert an Düsseldorfs größten Fußballer und sagt: „Glückwunsch, Fußballgott!“

Die größten Geschichten fangen meistens durch einen Zufall an

Eigentlich sollte Anton „Toni“ Turek nämlich gar nicht bei der WM 1954 in der Schweiz im Tor stehen. Obwohl Bundestrainer Herberger schon seit Jahren große Stücke auf den Torwart von Fortuna Düsseldorf hielt, wollte er ursprünglich dem Essener Torwart Fritz Herkenrath in seiner Nationalmannschaft den Vorzug geben.

Zu oft hatte Turek den „Bundes-Sepp“ mit seiner geradezu aufreizend lässigen Spielweise zur Weißglut gebracht. Herkenrath befand sich allerdings mit Rot-Weiß Essen auf Südamerikareise und stand somit nicht für Deutschland zur Verfügung.

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Rückpass hätte den „Teufelskerl“ fast zum „Deppen“ gemacht

Herberger nominierte also Toni Turek als Nummer 1 – der war mit 35 Jahren der älteste Spieler seines Kaders. Wie so oft sollte er mit diesem Schachzug ein weiteres Mal sein berühmt-glückliches Händchen beweisen.

Dabei sah es im Wankdorfstadion beim Finale gegen die übermächtigen Ungarn zunächst nach allem anderen als nach einem Berner Wunder aus.

Das „Wunder von Bern“: Premiere am Flinger Broich

Wenige Sportereignisse sind so filmreif wie „Das Wunder von Bern“. Am erfolgreichsten brachte Regisseur Sönke Wortmann das Ereignis auf die Leinwand. Premiere feierte der bekennende Fortuna-Fan mit seinem Streifen 2003, als er seinen Film im Paul-Janes-Stadion am Flinger Broich laufen ließ. In der Rolle des Toni Turek: Schauspieler Jo Stock, der selbst einmal Torwart beim VfB Langenfeld war.

Nachdem bereits Wunderstürmer Ferenc Puscás in der sechsten Minute zum 1:0 für die haushohen Favoriten getroffen hatte, war es ausgerechnet Turek, der in der achten Minute einen Rückpass von Werner Kohlmeyer nicht festhielt. Zoltan Czibor stibitzte sich das Leder und bedankte sich mit dem 2:0 für Ungarn.

Morlock und Rahn sorgten für die große Aufholjagd

Für die 62.000 Zuschauer im Berner Wankdorfstadion war damit bereits die Messe gelesen. Auch in der deutschen Heimat gaben die vor den Radios und wenigen Schwarz-Weiß-Fernsehern dicht gedrängten Fans keinen Pfifferling mehr auf die deutsche Elf.

Die Herberger-Mannschaft sollte sie alle eines Besseren belehren: Nachdem Max Morlock in der zehnten Spielminute den schnellen Anschlusstreffer erzielt hatte, glich Helmut Rahn bereits in der 18. Minute nach einem Eckball aus.

Der Stoff, aus dem Fußballgötter sind…

Dann schlug die Stunde des Toni Turek. Auf das 2:2 der deutschen Mannschaft reagierten die Ungarn mit wütenden Angriffen. Seit 1952 hatte die goldene Elf der Magyaren kein Spiel mehr verloren. Was hier passierte, verlief nicht nur gegen den Plan – es war schlichtweg Majestätsbeleidigung. Immer wieder stürmten die Ungarn auf das deutsche Tor zu, deckten Toni Turek mit Schüssen ein. Doch der hielt ein ums andere Mal. So ging es mit 2:2 in die Kabine.

Herbert Zimmermanns legendäre Radio-Reportage

„Turek, du bist ein Teufelskerl, Turek, du bist ein Fußballgott“ (66. Minute)

„Sechs Minuten noch im Wankdorfstadion in Bern. Keiner wankt ... Schäfer nach innen geflankt – Kopfball– abgewehrt – aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt! Toooor! Toooor! Toooor!“ (84. Minute)

Nach der Halbzeit das gleiche Bild: Der Sturmlauf der Ungarn hielt an. Und Toni zeigte Glanzparaden, wie man sie selten gesehen hatte, brachte die Ungarn zur Verzweiflung. Schließlich fiel in der 66. Minute der berühmte Satz von Moderator Zimmermann: „Toni, du bist ein Fußballgott.“ In der 84. Minute schoss Helmut Rahn den DFB mit dem berühmtesten Tor der deutschen Fußballgeschichte zum Weltmeistertitel.

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Das Wunder von Bern ist vollbracht: Sepp Herberger, Fritz Walter und Toni Turek nach Abpfiff mit dem WM-Pokal.

Der Stoff, aus dem Fußballgötter sind…

So lebte der Held von Bern abseits des Platzes

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8. Juli 1954: Toni Turek wird in Begleitung der Fortuna-Jugend von 100.000 Düsseldorfern beim Triumphzug gefeiert.

Das „Wunder von Bern“, wie in ganz Deutschland löste es auch in Düsseldorf einen unvorstellbaren Freudentaumel aus. Deutschland Fußballweltmeister – neun Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs riss diese Sensation die Menschen aus ihrer Depression. Für viele gilt das Ereignis heute als Kickstart des Wirtschaftswunders, als „eigentliche Geburtsstunde Deutschlands“.

Die Magie des Fußballs hatte sich den Düsseldorfern in besonderem Maße offenbart. Schließlich hatte man seinen ganz eigenen Helden. Das zeigte sich nach Toni Tureks Heimkehr schließlich am 8. Juli 1954. Vier Tage nach dem WM-Sieg gegen die scheinbar übermächtigen Ungarn feierte der Fortuna-Torwart seinen eigenen Triumphmarsch.

In einem Fass der längst nicht mehr existierenden Düsseldorfer „Dieterich-Brauerei“ stehend, fuhr man den Toni an 100.000 jubelnden Düsseldorfern vorbei durch die Innenstadt.

DFB musste Verdienstausfall an die Rheinbahn zahlen

Es dauerte allerdings nicht lange, bis wieder die Bescheidenheit in den Alltag des frischgebackenen Weltmeisters einzog: Neben seinem Posten in Tor von Fortuna Düsseldorf hatte er nämlich noch einen anderen zu erfüllen: Toni arbeitete als Leiter der Registratur bei der Rheinbahn – WM-Titel hin oder her!

So kam es auch, dass sein Arbeitgeber ganz unverhohlen den DFB anschrieb: Den Verdienstausfall des Rheinbahners Turek für die vier Wochen, in denen er für das WM-Turnier in der Schweiz freigestellt wurde, das sollte schon der Deutsche Fußball-Bund übernehmen. Die fälligen 537,79 Mark wurden schließlich anstandslos überwiesen. Eine Anekdote, die der heutige Nationaltorwart Manuel Neuer wohl kaum glauben würde.

Fortunas Größter war auch ein echter Familienmensch

Toni Turek arbeitete schließlich noch bis 1973 bei der Rheinbahn. Mit seiner Frau Wilhelmine lebte er in einem beschaulichen Heim in Kaarst. In diesem Jahr erkrankte die Torwartlegende an einer rätselhaften Lähmung der Beine. Toni Turek erlitt vier Lungenembolien, magerte bis auf die Hälfte seines Körpergewichts ab.

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„Draußen nur Kännchen, Toni!“ Im Kaarster Heim gab’s von Frau Wilhelmine aber auch eine schöne Tasse Kaffee. Allerdings nicht für den Wellensittich.

Am 11. Mai 1984 starb Toni Turek mit 65 Jahren an einem Schlaganfall. Der gebürtige Duisburger wurde in Mettmann beerdigt. Neben seiner Frau Wilhelmine, die 2012 im Alter von 90 Jahren starb, hinterließ er zwei Kinder.

Gold statt Gott – Berühmte Reportage musste geändert werden

„Toni, du bist ein Fußballgott“, Reporter Herbert Zimmermann konnte bei seiner Äußerung noch gar nicht ahnen, welch hohe Wellen sie schlagen würde. Einen Fußballer zum Gott zu stilisieren, darüber empörte sich in den 50er Jahren sogar Bundespräsident Theodor Heuss in aller Öffentlichkeit.

Folge: Die Passage wurde aus der Reportage von Zimmermann persönlich durch den Satz: „Toni, du bist Gold wert“ ersetzt. Erst 1999 fand man die Originalaufnahme mit den legendären Worten wieder.

Eine Straße bekam Turek bis heute nicht

Nach Theodor Heuss wurde in Düsseldorf trotzdem eine Rheinbrücke benannt. Bei Toni Turek tat man sich da in der Landeshauptstadt schon immer bedeutend schwerer.

Nachdem die Fans bereits seit Jahrzehnten gefordert hatten, eine Straße nach dem Düsseldorfer WM-Helden zu benennen, wurde am 24. Juni 2004 (!) eine Straße mit Tureks Namen eingeweiht. Leider wurde der Weg in Unterrath nie gebaut. Schließlich entstand immerhin in Mettmann 2004 eine „Toni-Turek-Allee“ am dortigen Naturfreibad.

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Toni Tureks Sohn Hans-Jürgen bei der Enthüllung des lebensgroßen Bronze-Denkmals an der Arena am 4. Juli 2014.

Vor der Arena wurde Toni endlich ein Denkmal gesetzt

Tonis ehemaliger Arbeitgeber machte es in Düsseldorf besser: Seit 2009 freut sich jeder Fortuna-Fan, wenn er die „Turek-Straßenbahn“ erwischt. Aufschrift: Das berühmte „Teufelskerl“- und „Fußballgott“-Zitat.

Auch die Fortuna ehrte ihren Weltmeister-Torwart 2012, nannte die Geschäftsstelle in „Toni-Turek-Haus“ um.

Am 4. Juli 2014, exakt 60 Jahre nach dem „Wunder von Bern“, wurde an der Düsseldorfer Arena eine Bronze-Statue im Beisein seines Sohnes Hans-Jürgen Turek enthüllt. Noch im Januar will Fortuna Düsseldorf zu Toni Tureks Ehren mit einem Sondertrikot auflaufen.