Betrugsvorwürfe und RotlichtgerüchteWilli Weber erzählt die Wahrheit über „Schummel-Schumi“

November 1994: Michael Schumacher wird Formel-1-Weltmeister.

Michael Schumacher feiert den WM-Titel 1994 in Adelaide mit dem Benetton-Team. Bei ihm Tom Walkinshaw (l.) und Flavio Briatore (r.) und Willi Weber (hinten r. mit Kappe).

Willi Weber, Ex-Manager von Michael Schumacher, schreibt in seiner Autobiografie „Benzin im Blut“ über seine Zeit mit der Formel-1-Legende.

Köln. Die Formel-1-Saison 1994 sollte für die PS-Beziehung zwischen Michael Schumacher, Manager Willi Weber und dem Benetton-Rennstall zur Feuerprobe werden – und das im wahrsten Sinn. Es gab Betrugsvorwürfe gegen das Team und Strafen gegen ihn, die ihm den verhassten Namen „Schummel-Schumi“ einbrachten, sowie Rotlichtgerüchte um seinen Manager. Darüber schreibt Willi Weber in seiner am 27. August im Lübbe-Verlag erscheinenden Autobiografie „Benzin im Blut“. EXPRESS darf daraus vorab zitieren:

Uns weht ein antarktiskalter Wind entgegen. Obgleich Michael zu Saisonauftakt drei Siege in Folge eingefahren hat, prasselt es von nun an von allen Seiten Kritik. Man wirft ihm vor, dass er im Kampf um seinen ersten Weltmeistertitel keinen ernstzunehmenden Gegner mehr hat. Was nicht stimmt. Und selbst wenn: Wir können uns ja keinen basteln.

Benettons Überlegenheit führt zu den aberwitzigsten Unterstellungen. So ist nach dem Frankreich-Grand-Prix in Magny-Cours plötzlich vom „Raketenstart“ die Rede, weil Michael, der von Rang drei startet, scheinbar so mühelos an den vorne stehenden Williams-Piloten Damon Hill und Nigel Mansell vorbeizieht.

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David Coulthard heizt Gerüchte um Traktionskontrolle bei Michael Schumacher an

David Coulthard, bei Williams als dritter Fahrer auf der Ersatzbank und immer zur Stelle, wenn er eine Chance sieht zu stänkern, nimmt vor laufender Kamera das Wort „Traktionskontrolle“ in den Mund und heizt damit die Gerüchte so richtig schön an. Danke auch.

Doch Gerüchte um illegale elektronische Systeme in Michaels Benetton B194 sind nicht das Einzige, was uns zu schaffen macht. Benetton rückt erst mit reichlich Verspätung und unter Androhung einer Geldstrafe die betreffende Steuerungssoftware zur Überprüfung an die FIA heraus, was unsere Glaubwürdigkeit nicht gerade untermauert.

All die Zeit ist Michael unschuldiges Opfer einer komplett gegenstandslosen Technikdebatte – eine Traktionskontrolle gibt es nämlich nicht, wie sich später herausstellt. Und würde es sie geben, seien Sie sicher: Der Fahrer ist der Letzte, der vom Team eingeweiht würde. Doch wir kommen einfach nicht aus den Negativschlagzeilen: Beim Großen Preis von Deutschland ereignet sich in der 15. Runde der schlimmste Tankunfall der Formel-1-Geschichte: Beim Abziehen des Tankrüssels spritzt eine Ladung Benzin aufs heiße Heck von Michaels Teamkollege Jos Verstappen. Innerhalb von 2,5 Sekunden steht der Wagen komplett in Flammen. Und der Mechaniker, der den rechten Vorderreifen kontrolliert, gleich mit.

Alles ein einziger orangeroter Feuerball, aus dem wie ein Wunder ein unverletzter Verstappen steigt. Auch der Mechaniker kann rechtzeitig gelöscht werden. Glück im Unglück. Doch prompt macht das nächste Quatschgerücht die Runde: Benetton soll die Tankanlage manipuliert haben. Und so geht’s fröhlich weiter abwärts auf der nach unten offenen öffentlichen Beliebtheitsskala. Michael kassiert zwei Disqualifikationen: Mal ist es eine Holzplanke am Boden des Wagens, die beim Großen Preis von Belgien zu viel Abrieb aufweist. Mal missachtet er auf Geheiß von Flavio Briatore beim Großen Preis von Großbritannien die schwarze Flagge. Für zwei weitere Rennwochenenden ist er gleich ganz gesperrt.

Die Fans gehen auf die Barrikaden. Statt in 16 Rennen kann er nur in zwölf Rennen Punkte sammeln. All das nagt nicht nur an Michaels Titelchancen, sondern an seinem Ruf. Michael ist jetzt nicht mehr der Presse- und Sponsoren-Darling, sondern der arrogante Newcomer, an dem sich die Gemüter scheiden. „Schummel-Schumi“ nennen sie ihn. Oder „PS-Rambo“. Und ich, sein Manager, stehe mehr oder minder hilflos daneben. Denn auch ich bin plötzlich nicht mehr Wilhelm Weber aus Stuttgart. Auch ich habe einen neuen Namen. Und die Presse bringt mich neuerdings mit dem Rotlicht-Milieu in Verbindung.

Rotlicht-Story um Schumi-Manager Willi Weber

Offensichtlich hat das Magazin „Der Spiegel“ irgendeine Story ausgebuddelt über mich und ein städtisch genehmigtes Bordell in der Stadt Böblingen. Der Zufall will, dass mir das Gebäude gehört, in dem sich das Etablissement befindet und das ich schon mit Puff drin in den Achtzigern gekauft habe. Ein Mietshaus halt, das gute Erträge abwirft. Jetzt will man mir eine Rotlichtvergangenheit anhängen und es so aussehen lassen, als hätte ich persönlich im Laden die Bettwäsche gewechselt.

Der Artikel erscheint mit viel Getöse. Vordergründig geht es um meine angebliche Rotlicht-Vergangenheit. Aber eigentlich ist dem Spiegel die ganze Person Willi Weber ein meterlanger Dorn im Auge: die Art, wie ich aus dem Auto steige, mir die Haare kämme, spreche, gehe, atme, findet keinen Zuspruch; und dass ich zwanzig Prozent bekomme von Michaels Einnahmen, auch dafür hätte man am allerliebsten einen Kniefall samt Entschuldigung.

Wie nicht anders zu erwarten, springen andere Medien auf den Spiegel-Zug auf. Alle, die noch eine Rechnung offen zu haben glauben, ledern los. Die große Stunde der Heckenschützen und eine schlimme Zeit für mich. 24 Stunden am Tag habe ich Sodbrennen. Ohne „Renni räumt den Magen auf“-Tabletten geht nichts mehr.

Dass Flavio Michaels Pressearbeit übernimmt, interpretiert man als Versuch, mich abzuservieren. Sollen die doch schreiben, was sie wollen. In einer stillen Stunde nimmt mich Michael zur Seite: „Willi, nur dass du es weißt: Alles, was ich bin und habe, das verdanke ich dir. Ich werde dich immer verteidigen und zu dir halten!“

Im australischen Adelaide steht das letzte Rennen der Saison bevor. Und ein Wunder bahnt sich an: Michael könnte Weltmeister werden. Nur einer kann ihm die Krone noch streitig machen: Williams-Pilot Damon Hill hat lediglich einen Punkt Rückstand auf Michael.

In sengender Hitze geht es nun Runde um Runde um den knapp vier Kilometer langen Adelaide Street Circuit. Kurz vor Ende liegt Michael vor Damon Hill, der mit seinem William regelrecht an Michaels Benetton klebt. Es kommt zum Zweikampf, Michael gibt Gas, touchiert eine Mauer, Hill wittert seine große Chance. Michael, der versucht zu retten, was zu retten ist, und seine Position zu verteidigen, fährt über Hills Vorderrad und segelt auf zwei Rädern ins Aus. Die Fans sind entsetzt, während Michael aus dem Wagen steigt und sich fassungslos an den Zaun lehnt. Aus der Traum vom Weltmeister. Wie gewonnen, so zerronnen. Ihm ist klar, dass es für Damon ein Leichtes sein wird, den einen noch fehlenden Punkt einzufahren. Zu groß ist sein Vorsprung auf die Viert-, Fünft- und Sechstplatzierten.

Dann weht die Ansage des Streckensprechers in Fetzen zu ihm hinüber: „Hill … Box … Probleme …“ Er hält Ausschau nach dem Kontrahenten, wartet. Aber kein Hill. Dafür ein Streckenposten, der ihm die Hand hinstreckt und zum Gewinn der Formel-1-Weltmeisterschaft gratuliert. Michael ist völlig perplex, weiß nicht, ob er gerade im falschen Film ist. Erst langsam fällt der Groschen: Damon ist ausgefallen. Und er, Michael, tatsächlich Weltmeister.

Unermessliche Freude, doch es nieselt Gift für Michael Schumacher

Die Freude? Unermesslich. Ich stehe in der Benetton-Box, balle die Faust. Es ist, als wären die letzten zweiundfünfzig Jahre meines Lebens nur Vorspiel gewesen für diesen einen unbeschreiblichen Moment, in dem du denkst, die Welt ist dein. Wäre das ein Film, würde es jetzt rosa Ballons vom Himmel regnen. Doch dies ist die Formel 1. Hier nieselt es Gift. „Ich habe Damon nicht absichtlich abgeschossen“, sagt Michael in die Reportermikros. Der stänkert zurück: „Michael ist unreif und führt sich auf wie eine Primadonna.“ Und schon stürzen sich alle Journalisten voller Hingabe auf die neue Fahrerfehde. Ich persönlich würde Damon Hill ja sagen: Wer die Hitze nicht erträgt, darf nicht in die Küche. Michael lässt das Gerede weitgehend unbeeindruckt. Ein echter Weltklassefahrer eben. Was kümmert’s den Mond, wenn der Hund ihn anbellt?