Kommentar zum StammtischFC-Bosse halten an einem denkwürdigen Abend ihr Versprechen

1. FC Köln: Stammtisch in den MMC-Studios mit rund 1200 Mitgliedern.

FC-Mitgliederstammtisch in den MMC-Studios am 10. Januar 2024, von links: Geschäftführer Sport Christian Keller, Präsident Werner Wolf, Geschäftsführer Finanzen Philipp Türoff und Moderator Jan Henkel.

Wie geht der 1. FC Köln mit einer der größten Krisen der Klubgeschichte um? Am Mittwochabend gab es Antworten. Es wurde ein in dieser Form einmaliger Auftritt einer Führungsriege.

von Uwe Bödeker (ubo)

Der 1. FC Köln hatte Redebedarf. Am Mittwochabend kamen knapp 1200 Mitglieder zum FC-Stammtisch in die MMC-Studios nach Köln-Ossendorf.

Die Bosse wurden teilweise gegrillt, doch sie beantworteten jede Frage aus dem Publikum. Es wurde ein denkwürdiger Abend. Ein Kommentar.

Mitglieder nehmen FC-Bosse ins Kreuzfeuer

Schon bei der Anreise wurde deutlich, dass es besondere Stunden in der Geschichte des 1. FC Köln werden würden. Am Mittwoch (10. Januar 2024), machten sich knapp 1200 Fans auf zum FC-Stammtisch.

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Vor den MMC-Studios bildete sich ein langer Stau, die Veranstaltung begann fünf Minuten später. Ab 18.05 Uhr wurde dann Tacheles geredet. Präsident Werner Wolf versprach den Mitgliedern gleich zu Beginn: „Hier bleibt keine Frage unbeantwortet.“ Dieses Versprechen wurde dann auch eindrucksvoll gehalten. Es wurde ein Marathon-Abend über fünfeinhalb Stunden. Erst gegen 23.30 Uhr war dann wirklich auch die letzte Frage beantwortet.

Die Reihen hatten sich da schon stark gelichtet, etliche Fans waren bereits abgereist. Die Kölner Führungsriege blieb aber bis zum Schluss hoch konzentriert und erklärte viele komplexe Zusammenhänge in aller Ruhe. Ein wirklich beeindruckender Auftritt aller Beteiligten.

Abgeschlossen wurde die Veranstaltung kurz vor Mitternacht mit dem gemeinsamen Singen der FC-Hymne. Was sich zuvor ereignete, ist in dieser Form wohl einzigartig im Profi-Fußball gewesen.

Moderator Jan Henkel, seit über 25 Jahren als Sportjournalist tätig und lange in Italien lebend, staunte zwischenzeitlich: „Diese Offenheit habe ich so noch nie erlebt im Profi-Fußball.“ Und: „So ein Abend wäre in Italien undenkbar.“

Der FC ist spürbar anders – das Klub-Motto füllten die Protagonisten um Präsident Werner Wolf und Geschäftsführer Christian Keller mitsamt den anwesenden Mitgliedern in den MMC-Hallen mit Leben, wie selten zuvor.

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Fakt bleibt aber: Die Situation des 1. FC Köln ist mehr als besorgniserregend. Trennung von Kult-Coach Steffen Baumgart, drohender Abstieg, finanzielle Engpässe und dann auch noch die Transfersperre über zwei Perioden. Kein Wunder, dass viele FC-Mitglieder unzufrieden mit der Führung sind. Der Vorstand und die Geschäftsführung wurden teilweise auch regelrecht gegrillt.

Die gesamte Diskussion verlief jedoch sachlich und konstruktiv, sie wurde aber teilweise knüppelhart geführt. Aus dem Publikum kamen viele konkrete Fragen und Aufforderungen: „Warum sind Sie noch im Amt?“, „Machen Sie sich endlich gerade!“, „Welche persönlichen Verfehlungen werfen Sie sich vor?“

Präsident Wolf räumte mehrfach Fehler ein und entschuldigte sich für die Fehleinschätzungen im Fall Potocnik, die letztendlich zur Transfersperre führten. Wer genau im Vorfeld von FC-Seite für die unerlaubte Anstiftung zum Vertragsbruch von Potocnik gesorgt haben könnte, blieb zwar offen, aber die FC-Bosse kündigten eine genaue Aufarbeitung der Vorfälle rund um das Transferdesaster an. In spätestens drei bis vier Monaten sollen alle Fakten den Mitgliedern präsentiert werden.

Wolf wollte nicht vorgreifen, da „dies Konsequenzen haben kann.“ Involviert waren damals auch der Vorstandsberater Jörg Jakobs und Ex-Geschäftsführer Alexander Wehrle. Warum der FC die Sache mit Olimpija Ljubljana nicht außergerichtlich klären konnte, wurde auch deutlich. Vize-Präsident Carsten Wettich betonte, dass die FC-Bosse verantwortlich seien für das Geld der Mitglieder des FC – da könne man eben keine Schmiergelder zahlen oder unlautere Geschäfte eingehen.

Keller bekommt Applaus für Selbstkritik

Auch das hochemotionale Thema Baumgart-Trennung und der schwache Kader wurden plausibel erläutert. Der Coach sei zu Beginn der Saison davon überzeugt gewesen, mindestens 50 Punkte zu holen, er schielte laut Wolf sogar nach Europa mit dem vorhandenen Kader. Doch als die Ergebnisse ausblieben, geriet Baumgart ins Wanken. Schlussendlich fehlte ihm die Überzeugung und es kam zur unausweichlichen Trennung.

Der hart kritisierte Keller sprang dann auch über seinen Schatten, nachdem er gefragt wurde, warum er noch im Amt sei: „Wir haben über Scheiße bauen und das Zugeben gesprochen. Es ist mir als Verantwortlicher nicht gelungen, die beiden Abgänge von Jonas Hector und Ellyes Skhiri zu ersetzen. Das ist einfach mal ein Fakt. Das Ergebnis zählt, das ist im Fußball nun mal so. Es ist mir nicht gelungen, die beiden zu ersetzen, Punkt. Aus.“ Keller schonungslos selbstkritisch – das sorgte für großen Beifall.

Die Bosse machten dann in der Folge auch klar, dass es beim FC um das finanzielle Überleben des Klubs ging und geht. Eine Landesbürgschaft über 30 Millionen Euro sowie weitere Schulden müssen zurückgezahlt werden. Wenn der Klub dies nicht machen würde, drohe die Insolvenz, weil Köln dann als zahlungsunfähig eingestuft würde.

Ein Investoren-Einstieg wurde erneut, wie auch von den Mitgliedern gewollt, kategorisch ausgeschlossen. „Wir sind nicht bereit, Teile an Investoren zu verkaufen. Das ist unsere Freiheit und die will ich behalten“, sagte Wolf. Dennoch sei der Klub gut aufgestellt für die Zukunft, weil die finanziellen Möglichkeiten ab Sommer 2024 schon deutlich besser seien. Selbst wenn es in die 2. Liga gehen würde, wäre der Klub finanziell stabil. Auch weitere Fan-Anleihen seien denkbar – so könnten die Fans und Mitglieder dem FC finanziell unter die Arme greifen.

Die Erläuterungen der FC-Bosse sorgten bei den Mitgliedern für viel Verständnis. Denn Wolf und Keller wirkten im Gegensatz zur viel kritisierten Pressekonferenz Ende Dezember nahbar (Wolf: „Da blieb vieles oberflächlich“), verständnisvoll (Wolf: „Ich teile eure Sorgen, die Situation ist extrem belastend“) und doch in einer der größten Klub-Krisen strukturiert und klar im Handeln.

Es wurde an diesem Abend deutlich, dass das Fußballgeschäft kein Wunschkonzert ist. Es gibt Situationen, die zum Business dazugehören. Sportliche Schieflagen, Trainer-Trennungen, Transfertheater, finanzielle Engpässe. Das große Problem beim FC: alle Baustellen sind zeitgleich vorhanden.

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Gibt es dafür einen Schuldigen? Diese Frage konnten die FC-Bosse zwar nicht ausräumen, doch sie machten deutlich, dass es keine Schwarz-Weiß-Malerei gibt. Die Zusammenhänge sind sehr komplex, wer einen Klub der Größenordnung des FC führt, muss sich seiner Verantwortung bewusst sein. Keller stellte klar: „Ich kann nicht mehr ins finanzielle Risiko gehen, mit dem Vorstand neben mir, weil wir hier zwei Aufgaben haben, die sind viel größer als einen Spieler zu holen, mit dem alle zufrieden sind. Die erste Aufgabe: die Insolvenz des 1. FC Köln zu verhindern. Die zweite: Wir müssen den Mitarbeitenden, die da sind, einen sicheren Arbeitsplatz bieten. Das sind nämlich nicht alles Fußball-Millionäre. Der Großteil bekommt ein ganz normales Gehalt. Das sind unsere obersten Pflichten. Um dem gerecht zu werden, da lasse ich mich gerne steinigen. Wenn wir den Auftrag erfüllt haben und das haben wir bisher, dann kümmern wir uns um das Sportliche.“

Mit den FC-Bossen tauschen wollte an diesem und nach diesem FC-Abend jedenfalls niemand mehr.

Jetzt ruhen die Hoffnungen darauf, dass die Mannschaft unter dem neuen Trainer Timo Schultz die Klasse hält. Den Glauben daran hat die gesamte Führung und auch zahlreiche Fans und Mitglieder. Das wurde mehr als deutlich am Mittwochabend.

Schon am Samstag wird die Mannschaft die geballte Power der FC-Familie im ausverkauften Stadion im Nacken spüren. Es sind schwierige Zeiten, aber durchstehen kann sie der FC nur „zesamme“.