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ZDF-Doku zeigt dramatische Flucht einer jungen Frau vor ihrem Mann„Wenn er sie erwischt ...“

Miriam Peters (35) hilft Frauen, die von ihrem Partner misshandelt werden, bei der Flucht. (Bild: ZDF/Hanna Lenz)

Miriam Peters (35) hilft Frauen, die von ihrem Partner misshandelt werden, bei der Flucht. (Bild: ZDF/Hanna Lenz)

Frauen und Mädchen werden überdurchschnittlich oft Opfer von häuslicher Gewalt. Besonders auf dem Land finden sie kaum Unterstützung. Eine 37°-Reportage begleitet Sozialarbeiterin Miriam Peters, die das ändern will. Mit ihrer mobilen Beratungsstelle steht sie Frauen bei - und hilft bei der Flucht.

Mit zitternden Händen wischt sich eine junge Frau die Tränen aus dem Gesicht. Nur mit einem kleinen Koffer und der Kleidung, die sie trägt, wagt sie die Flucht vor ihrem gewalttätigen Partner. Hilfe bekommt sie dabei von Sozialarbeiterin Miriam Peters. Die 35-Jährige und ihre „Land-Grazien“ sind im ländlichen Schleswig-Holstein oft die einzige Anlaufstelle für Betroffene.

In der 37°-Reportage „Tatort Land: Rettung aus häuslicher Gewalt“ begleitet das ZDF Peters bei ihrer Arbeit. Eins wird dabei schnell klar: Es fehlt beim Schutz vor häuslicher Gewalt auf dem Land an allen Ecken und Enden.

Laut BKA wurden 2023 insgesamt 360 Frauen Opfer eines Femizids. 155 von ihnen wurden von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht. Gleichzeitig fehlen in Deutschland jährlich 14.000 Frauenhausplätze, erklärt Peters. Sie gründete vor fünf Jahren die mobile Beratungsstelle „Land-Grazien“. Das Projekt finanziert sich aus Spenden und privaten Fördermitteln. Die mangelnde Unterstützung der Politik macht die Sozialarbeiterin wütend: „Die Frauen werden systematisch vergessen. Und vor allem die Frauen, die hier in den ländlichen Regionen leben.“

„Wenn er sie erwischt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er sie heute töten wird“

Peters hat vor fünf Jahren die „Land-Grazien“ gegründet. Mit der mobilen Beratungsstelle unterstützt sie Opfer häuslicher Gewalt im ländlichen Schleswig-Holstein. (Bild: ZDF/Hanna Lenz)

Peters hat vor fünf Jahren die „Land-Grazien“ gegründet. Mit der mobilen Beratungsstelle unterstützt sie Opfer häuslicher Gewalt im ländlichen Schleswig-Holstein. (Bild: ZDF/Hanna Lenz)

Mit ihrem Beratungsmobil fährt Peters zu den Opfern, bietet Gespräche und Unterstützung überall dort an, wo die Frauen sie brauchen - und der Kontrolle ihres Partners zumindest kurzzeitig entkommen können. Wenn Reden nicht mehr reicht, hilft Peters, wie etwa bei der jungen Frau, auch bei der Flucht.

„Es geht heute um Leben und Tod“, weiß sie. „Wenn er sie erwischt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er sie heute töten wird. Oder zumindest so zurichten wird, dass sie sich nie wieder trauen wird zu gehen“, erklärt die Sozialarbeiterin angespannt. Ersteres konnte sie in einem Fall gerade noch verhindern, erzählt Peters später. Nach langem Warten habe sie die Polizei gerufen - zum Glück: Als die Beamten eintrafen, würgte der Mann seine Frau bereits.

Auch dieses Mal wartet sie lange in ihrem Auto am vereinbarten Treffpunkt. Gedanken wie, „Ist jetzt wieder was passiert zu Hause?“ oder „Geht heute alles gut?“ schießen ihr durch den Kopf.

Flucht vor dem gewalttätigen Partner: „Wenn ich diesen Zug verpasse, dann wars das für mich“

Die Beratungsgespräche führt Peters in ihrem umgebauten Auto und überall dort, wo die Frauen der Kontrolle ihres Partners entfliehen können. (Bild: ZDF/Hanna Lenz)

Die Beratungsgespräche führt Peters in ihrem umgebauten Auto und überall dort, wo die Frauen der Kontrolle ihres Partners entfliehen können. (Bild: ZDF/Hanna Lenz)

Über eine Stunde warten Peters und die Kameras auf die junge Frau. Endlich kommt sie über die Straße zum Auto gerannt. Dann, erklärt die Sozialarbeiterin, funktioniere sie erst einmal. Sie drückt aufs Gas und hat die Umgebung genau im Blick: „Werden wir verfolgt? Fährt irgendjemand neben uns? Fährt irgendjemand hinter uns?“

„Ich war kurz vorm Aufgeben, sag ich ehrlich. Ich dachte so für mich: Das ist die letzte Chance, die ich irgendwie bekommen könnte. Und wenn ich diesen Zug verpasse, dann wars das für mich“, erklärt die Frau schließlich. Immer wieder bedankt sie sich bei Peters, dass sie nicht einfach wieder weggefahren ist. Die Frau ist vom ZDF unkenntlich gemacht und ihre Stimme nachgesprochen worden - zum Schutz vor ihrem kontrollierenden und gewalttätigen Partner. „Irgendwie ist mir übel, aber ich bin auch erleichtert“, gesteht sie nach einiger Zeit.

Während der Fahrt weist Peters die Frau mit ruhiger Stimme an, die Ortungsdienste ihres Handys auszuschalten. „Nicht, dass er dich findet“, warnt sie. Schließlich kommen die beiden an einem Bahnhof an. Von dort geht es für die junge Frau in ein Frauenhaus in ein anderes Bundesland. Den Platz haben die „Land-Grazien“ für sie gefunden.

Auf dem Land sind Opfer von häuslicher Gewalt isoliert: „Sie haben Todesängste“

Die „Land-Grazien“, das sind Peters (rechts), vier Mitarbeiterinnen und einige ehrenamtliche Helferinnen. Gemeinsam sind sie rund um die Uhr für Betroffene da. (Bild: ZDF/Tom Fritzsche)

Die „Land-Grazien“, das sind Peters (rechts), vier Mitarbeiterinnen und einige ehrenamtliche Helferinnen. Gemeinsam sind sie rund um die Uhr für Betroffene da. (Bild: ZDF/Tom Fritzsche)

Das ruhige Land-Idyll kann für Opfer von partnerschaftlicher Gewalt schnell zum Gefängnis werden. Denn zwischen Feldern und kleinen Dorfstraßen gibt es kaum Möglichkeiten, auch nur eine Beratungsstelle in der nächsten Stadt zu erreichen - von einer Flucht ganz zu schweigen. Schlechte Verkehrsanbindungen, Kontrolle durch den Partner und kaum Unterstützung: Die Frauen sitzen fest. „Sie haben Todesängste, sie sind verzweifelt, sie suchen nach einem Ausweg und nach einem anderen Leben“, das erfährt Peters bei ihrer Arbeit wieder und wieder.

„Ich wohne in einem kleinen Dorf und hier gibt es niemanden“, schreibt beispielsweise eine Betroffene an die „Land-Grazien“. Und weiter: „Alle kennen meinen Mann und ich glaube, alle würden zu ihm halten, weil ich noch nicht lange hier wohne und er schon seit Geburt. Wenn ich gehe, wo soll ich denn hin?“

Unzählige solcher Nachrichten erreichen die „Land-Grazien“ jeden Tag aus ganz Deutschland. Inzwischen bieten Peters, ihre vier Mitarbeiterinnen und einige ehrenamtliche Helferinnen online bundesweit Hilfe an und haben den Radius ihrer mobilen Beratung erweitert. Ungefähr 40 solcher Gespräche führen die „Land-Grazien“ in der Woche. Mittlerweile haben die „Land-Grazien“ sogar eine eigene Schutzwohnung.

Sozialarbeiterin Miriam Peters: „Ich habe auch schon Mordrohungen bekommen“

Doch nicht alle unterstützen Peters' Arbeit. „Ich wurde schon mal im Supermarkt angegangen, dass ich doch bitte aufhören soll, die ganzen Frauen aufzuwiegeln“, erzählt die Sozialarbeiterin.

Einige gehen noch weiter: „Ich habe auch schon Morddrohungen bekommen. So was wie: 'Hey, bald kriegen wir dich!'“ Ihr Ehemann erinnert sich außerdem: „Es waren auch schon Männer bei uns vorm Haus.“ Deshalb standen Peters, ihr Mann und die beiden Kinder bereits unter Polizeischutz.

Angst macht ihr das nicht, aber „es verunsichert mich und es lässt mich auch daran zweifeln, ob der Job das Richtige ist“, gesteht sie. „Dann kommt aber wieder der Trotz hoch, der ganz klar sagt: 'Ne Leute, noch habt ihr mich nicht so weit, dass ich damit aufhöre!'“

„37° Tatort Land: Rettung aus häuslicher Gewalt“ ist am Dienstag, 25. November, um 22.15 Uhr im ZDF und bereits vorab in der Mediathek zu sehen. (tsch)