„Wir haben ein komplett krankes System“: Ihre Diskussion über das deutsche Rentensystem brachte Richard David Precht und Markus Lanz zu einem einhelligen Ergebnis. Sorgen machte den Podcast-Hosts auch der Vetrauensverlust der Gesellschaft in die Politik - und die Rolle von Kanzler Friedrich Merz.
Lanz und Precht rechnen mit Merz ab„Du sitzt als Bürger da und denkst, das ist irre“

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Das jetzige Rentensystem werde nicht mehr lange funktionieren, da sind sich Markus Lanz und Richard David Precht einig. (Bild: ZDF / Christian Bruch)
Am Freitag wird es ernst für Friedrich Merz: Im Bundestag wird über das vom Kanzler angeschobene Rentenpaket abgestimmt. Schon im Vorfeld bekam Merz dafür ordentlich Gegenwind - aber nicht etwa von der Opposition, sondern aus den eigenen Reihen von der Jungen Union. Im Podcast „Lanz & Precht“ warf Markus Lanz die Frage auf: „Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wenn die CDU-Jungen da jetzt auf die Barrikaden gehen: Wo sind eigentlich die Jusos? Das betrifft die ja genauso. Wo ist eigentlich die grüne Jugend?“
Darüber wunderte sich auch Richard David Precht, der gar ein „Juso-Versagen“ diagnostizierte und „forsche, aufgeweckte und eigensinnige junge Politiker“ einforderte.
Noch härter ging Lanz mit Kanzler Merz ins Gericht, der jüngst die Frage, was das 120-Milliarden-Euro-Rentenpaket nütze, mit „Nichts“ beantwortet hatte: „Dann sitzt du da als Bürger und denkst: Warte mal, wir geben jetzt 120 Milliarden zusätzlich aus. Das beschließt dieser Kanzler, der drängt darauf und auf die Frage, was das bringt, sagt er 'Nichts'? Das ist irre!“
Lanz rechnet mit Politikern ab: „Man verteidigt bretthart die eigenen Komfortzonen“

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„Wo sind eigentlich die Jusos? Wo ist eigentlich die grüne Jugend?“: Markus Lanz wundert sich, weshalb Kanzler Friedrich Merz wegen seines angestrebten Rentenpakets nur aus den eigenen Reihen Gegenwind abbekam. (Bild: ZDF / Christian Bruch)
Richard David Precht versuchte daraufhin, die Beweggründe von Merz aufzuschlüsseln. Er vermutete, der Kanzler habe selbst „keine gute Idee, was man sonst machen soll“ und könne sich obendrein „keinen Krach“ mit der SPD leisten. Sicher ist sich der Buchautor dagegen, dass das derzeit bestehende Rentensystem am Ende sei. „Es war an Voraussetzungen gebunden, die heute nicht mehr erfüllt sind“, verwies Precht auf sinkenden Geburtenzahlen, immer älter werdende Menschen und die steigende Zahl derer, die aufgrund akademischer Laufbahnen erst spät ins Berufsleben einsteigen.
Schon jetzt werde ein Viertel des Bundeshaushalts für die Bezuschussung der Rente verwendet, rechnete Precht vor und ging von einer steigenden Tendenz aus. Perspektivisch werde „möglicherweise jeder zweite Euro, den der Staat über Steuern einnimmt, für die Bezuschussung der Rente ausgegeben“, befürchtete der 60-Jährige und bilanzierte: „Wir haben ein komplett krankes System.“
In diesem Zusammenhang bemängelte Markus Lanz die Diskrepanz zwischen großen Versprechungen von Politikern und echten Taten: „Man verteidigt in Wahrheit nach wie vor bretthart die eigenen politischen Komfortzonen.“ Als Beispiel nannte er die SPD, die „eigentlich nur noch ihre linke Blase“ bediene. In der Folge entstehe ein „ungeheurer Vertrauensverlust“ und es mache sich in der Bevölkerung die Befürchtung breit, „die kümmern sich nur um sich“. Lanz sieht darin „einen mörderischen Kreislauf“.
Precht über „Problemlöser“ Merz: „Er hat es versprochen - und das ist irrsinnig fahrlässig“
Richard David Precht pflichtete Lanz bei - und machte gleichzeitig darauf aufmerksam, dass die nötige Reform des Rentensystems nicht nur ein Problem, sondern eine „gigantische Gestaltungsaufgabe“ sei. Diese dauere „mindestens ein Jahrzehnt“. Für solch einen langen Gestaltungshorizont aber hätten „unsere kurzlebigen, liberalen Demokratien mit ihren kurzen Wahlperioden weder die Kraft noch die Energie, noch in der medialen Aufregungslandschaft die Möglichkeit“, warf Precht skeptisch ein.
Über den selbst erklärten „Problemlöser“ Merz fällte er ein hartes Urteil: „Er hat es versprochen - und das ist irrsinnig fahrlässig.“ Viele Versprechen aus dem Wahlkampf habe er nicht eingehalten, was Precht zur Folgerung verleitete: „Um an die Macht zu kommen, muss man eigentlich lügen.“ Dadurch setze sich eine Abwärtsspirale des Vertrauens in Gang und der Glaube der Menschen an die Demokratie werde in Mitleidenschaft gezogen. „Wir haben das Gefühl, die verwalten den Mangel, aber sind nicht mehr in der Lage zu gestalten“, dozierte Precht weiter. „Dann wächst die Lust an der Zerstörung.“
Der Vertrauensverlust auf der einen, die Entwicklung zum Hyperindividualismus auf der anderen Seite führe laut Richard David Precht zu einem „Widerspruch in sich“, nämlich: „Man will für sich ein Maximum an Freiheit und gleichzeitig wünscht man sich eigentlich einen starken Führer, der so richtig autoritär sagt, wo es langgeht.“ Lanz hoffte daher auf eine „kreative, konstruktive Zerstörung“ des bisherigen Status quo. Sein Gesprächspartner aber blieb skeptisch: „Ich habe den Eindruck, dass diejenigen, die im Augenblick zerstören wollen, nicht gerade vor vielen guten neuen Ideen strotzen.“ (tsch)
