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Hitzige Debatte in ARDInfluencer fordert „Social-Media-Verbot ab 60“

Podcaster Levi Penell forderte bei „Hart aber fair“ bewusst provokant ein „Social-Media-Verbot ab 60“. (Bild: WDR/Dirk Borm)

Podcaster Levi Penell forderte bei „Hart aber fair“ bewusst provokant ein „Social-Media-Verbot ab 60“.

Fake-News, Verschwörungstheorien, pornografische Inhalte und Shitstorms: Über solche Inhalte stolpern auch Kinder und Jugendliche im Internet. Wirksame Instrumente fehlen bisher. Lachen sich die Plattformen ins Fäustchen, oder ist es doch ein „Staatsversagen“?

Louis Klamroth kennt sie nur zu gut, die Online-Shitstorms mit handfesten Drohungen. Auch Content Creator und Podcaster Levi Penell sind Nachrichten wie „Ich wünschte, deine kleine Schwester wäre an Krebs gestorben“ nicht fremd, berichtete der 25-Jährige am Montagabend bei „Hart aber fair“ zum Thema „Leg doch mal das Handy weg! Sind wir machtlos gegen Social Media?“.

Solche Kommentare verstecken sich hinter Anonymität, und als Nutzer sei man machtlos. „Ich sehe das zum Teil als Staatsversagen“, regte sich Penell auf, „dass wir seit 15 Jahren schon soziale Medien haben und immer noch kein wirksames Instrument, solche klar menschenverachtenden Äußerungen auf Personen zurückzuführen und diese Personen zur Rechenschaft zu führen“.

Selbst bei rechtswidrigen Inhalten funktioniere das nicht, wusste Rechtsanwalt Chan-jo Jun aus der Praxis und zog die Plattformen zur Verantwortung: „Wenn sich die an Regeln halten und (...) radikale Inhalte - und zwar wenigstens die, die strafbar sind und im Idealfall auch die, die verfassungsfeindlich sind - nicht abbilden“, wäre das hilfreich. Dazu zähle auch, Privatadressen von Menschen oder Bildnisse zu veröffentlichen. „Da gibt es das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das von der Menschenwürde abgeleitet wird, das liegt unter der Strafbarkeitsgrenze“, erklärte er den Sachverhalt, und fügte hinzu: „Es hat kein Mensch verlangt, dass legale Inhalte, die der Meinungsfreiheit zugehörig sind, verboten werden oder entfernt werden.“

„Naja, da gibt es heftige Beispiele“, ließ der Widerspruch von Kristina Schröder (CDU) nicht lange auf sich warten. Twitter etwa hätte die Aussage „Nur Frauen menstruieren“ gesperrt, nannte die frühere Bundesfamilienministerin ein Beispiel. Den Einwurf des Juristen, dass das kein Gericht entschieden hätte, überhörte sie. „Können wir uns darauf einigen“, meinte sie, „für derartige Kinkerlitzchen sind Hausdurchsuchungen wirklich ...“

„Plattformen müssen zur Verantwortung gezogen werden für ihre Inhalte“, fand Journalistin Petra Gerster (links). (Bild: WDR/Dirk Borm)

„Plattformen müssen zur Verantwortung gezogen werden für ihre Inhalte“, fand Journalistin Petra Gerster (links).

Zu mehr kam es nicht: „Plattformen müssen zur Verantwortung gezogen werden für ihre Inhalte“, konnte die Journalistin Petra Gerster mit solchen „Einzelbeispielen“ nichts anfangen - „auch bei Misogynie, also Herabsetzung von Frauen, Antisemitismus, Rassismus - das muss verboten werden, das ist keine Meinungsfreiheit!“

„Nein“, widersprach Schröder vehement. So entstehe das Gefühl, man wolle bestimmte Meinungen aus dem legitimen Meinungskorridor hinaussperren. „Die hohe Zustimmung für die AfD ist die Reaktion darauf“, behauptete sie.

„Wir sehen, warum diese Regulierungen durchzusetzen, so schlecht funktioniert“, war für Jun dieser Schlagabtausch bezeichnend. Dass die AfD nicht wolle, das Recht gilt, sei klar. Aber auch im „bürgerlichen Lager“ seien die Menschen immer häufiger dagegen, dass Gesetze gelten und durchgesetzt werden. „Da müssen wir uns nicht wundern, dass selbst rechtswidrige Inhalte nicht entfernt werden und wir uns daran gewöhnen müssen, dass es (Anm. d. Red.: das Netz) ein krimineller Ort ist“, zog er Fazit.

Podcaster Levi Penell fordert „ein Social-Media-Verbot ab 60 oder für ältere Menschen“

Vor allem ist es ein Ort, in dem sich Kinder und Jugendliche aufhalten. 157 Minuten pro Tag befinden sie sich in sozialen Medien, zitierte Louis Klamroth Ergebnisse aus einer Studie der DAK-Gesundheit und des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Gaming und andere Internetseiten sind da noch nicht eingerechnet.

„Für mich ist das erstrebenswert, weil ich drüber liege“, gestand Nicolas Schmelzer (Lehrer an einer Gesamtschule, als „Herr Schmelzer“ auf TikTok bekannt) und appellierte einerseits für richtigen Umgang und andererseits für die Schaffung von alternativen Angeboten, damit Jugendliche soziale Medien nicht als Coping-Mechanismus benutzen. Auch Gerster sah die Aufgabe bei Eltern und Schulen, im Gespräch zu bleiben, sich nicht vor der verschlossenen Kindertür abspeisen zu lassen und Fachmedienkompetenz zu lehren. „Da rennen Sie offene Türen ein“, meinte Schmelzer, an dessen Schule einmal in der Woche eine Sprechstunde für Schüler angeboten wird.

„Leg doch mal das Handy weg! Sind wir machtlos gegen Social Media?“, lautete das Thema der „Hart aber fair“-Ausgabe. (Bild: WDR/Dirk Borm)

„Leg doch mal das Handy weg! Sind wir machtlos gegen Social Media?“, lautete das Thema der „Hart aber fair“-Ausgabe.

„Sie zeichnen das Bild, dass Kinder und Jugendliche den ganzen Tag am Handy sind, das entspricht nicht der Realität“, hielt Penell die Zahlen nicht für bedenklich. 157 Minuten seien Tagesschau und Tatort zusammen. „Machen Sie doch was in den anderen 21.5 Stunden am Tag“, forderte er die Eltern auf - und hatte dabei vor allem Kristina Schröder im Visier. Dass Jens Spahn TikTok und Instagram erst an diesem Montag als Heroin bezeichnet hatte, sei erklärbar: Bei allem Neuen und Fremden „steckt viel Skepsis dahinter“.

Diese schwappt auch auf Kinder und Jugendliche selbst über. 60 Prozent sprachen sich für komplettes Handyverbot im Klassenzimmer aus, ging aus einer vor einer Woche in Düsseldorf veröffentlichten Umfrage der Vodafone-Stiftung hervor. „80 Prozent haben sich eine stärkere Unterstützung gewünscht, 88 Prozent eine Social-Media-Sprechstunde“, kannte auch Penell die Zahlen. Genau diese Unterstützung gebe man aber weder den Schülern noch dem Lehrpersonal.

Stattdessen führe man eine Debatte, wie man die Nutzung einschränken könnte - kritisierte Klamroths künftiger ARD-Kollege. Bei 12- bis 13-Jährigen sei es falsch, sie nicht ranzulassen, sondern sie eher über Gefahren wie Fehlinformationen und den Umgang damit zu informieren. Das gelte übrigens nicht nur für Kinder, forderte der Influencer - bewusst provokant - „in der Konsequenz auch ein Social-Media-Verbot ab 60 oder für ältere Menschen“ - „... oder Aufklärung“, brach Gerster eine Lanze für Social Media. Es sei eine Möglichkeit, am Leben teilzuhaben, statt im Alter zu vereinsamen.

„Technik ist keine Naturkatastrophe, die nicht veränderbar ist, sondern wir können die Regeln vorgeben“

„Wir könnten soziale Medien wesentlich sicherer machen, bevor man sie komplett wegsperrt und sagt, ihr könnt sie nicht benutzen“, sah auch Anwalt Jun Maßnahmen wie Handyverbot oder Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige, wie sie in Australien eingeführt und in Deutschland diskutiert werden, nicht notwendig. „Technik ist keine Naturkatastrophe, die nicht veränderbar ist, sondern wir können die Regeln vorgeben“, meinte er. Technisch und juristisch möglich wären Altersverifikationen und das Ausschließen etwa von Kindern und Jugendlichen von Plattformen aber sehr wohl, daran hätten Letztere jedoch kein Interesse.

Dass Meta den Eltern die Entscheidung überlassen wollte, begrüßte zwar Mutter Schröder. Jun hingegen hatte dafür wenig übrig: „Ich habe immer den Eindruck, wenn wir über Selbstverantwortung und Medienkompetenz sprechen, lehnen sich Plattform-Betreiber zurück und lachen sich ins Fäustchen“, argumentierte er, „jetzt haben wir es zu den Problemen der Schule und Eltern gemacht (...). Ich verstehe nicht, warum WIR unsere Kinder und Jugendliche schützen sollen vor der Technik, wenn eigentlich die Technik unsere Kinder schützen soll.“

Etwas, das auch Schmelzer nicht einsieht: „Wie soll ich meinen Schülern kommunizieren, du lebst in einer Welt, in der es keine Regulierung gibt, ich kriege keinen Medienbildungs-Unterricht, um mich damit auseinanderzusetzen - komm klar!“, hob er Hilfe suchend die Hände. Kinder und Jugendliche von heute wachsen genau damit auf: „Für die ist das normal. (...) Solange wir nicht eingreifen und dann noch hingehen und verbieten wollen, lacht die Plattform viel lauter.“

Meta-Vertreter konnten dazu übrigens nichts erwidern. „Wir haben sie natürlich angefragt, aber sie wollten heute nicht kommen“, erklärte Klamroth. (tsch)